Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. Oktober 2017, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt (Weltexpresso) – Das ist ein Film, der die alte Bundesrepublik atmet. Aber wirklich aus jeder Pore. Nicht das Westdeutschland der armen Leute, sondern das gute Leben, das sich eine gewisse Mittelschicht mit elterlichem Erbe gönnen kann.
Wir sind im heiß-schwülen Sommer des Jahres 1976 in einem großen Gartengebiet am Rande von München. Gemeinschaftsgarten heißt das, weil ein Zaun mehrere Grundstücke umfaßt, auf dem einzelne Familien ihre Hütten, Datschen oder bessere Häuser gebaut haben. Das alles klingt sowohl nach Nähe wie auch nach zu viel Nähe, aus der leicht Streit entsteht. Erst recht, wenn es sich nicht um verschiedene Familien handelt, sondern um einen größeren Familienverband, der Anlaß hatte, zusammenzukommen.
Es ist nämlich die Prinzipalin, Oma Sophie gestorben, deren Beerdigung eben begangen wurde, wo wir als Zuschauer schon anwesend sind, und die den Anlaß bietet, daß sich die Familienteile nun im gemeinsamen Garten versammeln. Was mit dem Erbe anfangen, zu dem eben das Gartengelände gehört. Zwar wurden bisher sehr oft die Wochenende, und immer die Ferien hier verbracht, aber die Kinder, also die Urenkel der gestorbenen Oma finden das auf Dauer langweilig und würden schon mal gerne in die weite Welt.
Aber um Kinder geht es erst mal nicht, nicht um die kleineren Kinder zumindest, sondern um die Kinder der Sophie, denn nach dem Tod der Mutter werden erst einmal die zurückgehaltenen Konflikte deren Töchter virulent. Da gibt es einmal Ilse, ziemlich eingefroren in ihren Gefühlen, die sie nie leben konnte, denn sie war es, die Muttertochter, die all die Jahre die alte Mutter gepflegt hatte und auch zuvor von dieser gegängelt und unfair behandelt worden war. Überhaupt hat die Mutter ihren Kopf nicht nur gehabt, sondern diesen auch durchgesetzt, was für Tochter Mathilde nicht zutrifft, denn die hat sich frühzeitig der mütterlichen Dominanz entzogen.
Und dann gibt es noch den Bruder der beiden: Erich. Der ist mit seiner Frau Frieda da, schweigt gerne und hält sich grundsätzlich raus. Mit beiden sind deren Kinder mitgekommen, also die dritte Generation, die wir kennenlernen. Das sind Bernd und Gitti mit ihren jeweiligen Partnern und den gemeinsamen Kindern, also die vierte Generation. Aber da stocken wir schon, denn hier gibt‘s deutliche Risse in der Großfamilie. Denn nur Bernd kann mit seiner Frau Eva ein ordentliches Familienleben vorführen, seine Schwester Gitti dagegen kommt in der Regel ohne ihren Mann, nur mit Tochter Inga. Und auf die beiden ist eingeschränkt Bernd, aber ganz deutlich Eva eifersüchtig, nämlich neidisch darauf, daß die elterliche Sorge den beiden, Gitti und Inga stärker gilt als ihr und ihrer Familie.
Doch das Spiel von Abgrenzung, Neid, Mißgunst und groben Reaktionen ist sogar schon in der vierten Generation angekommen, denn als Bernd/Evas Kinder Jana und Lorenz im Sommerhaus ankommen, da stürmen sie als erstes in die größte Attraktion im Garten: dem Baumhaus, das sie schnell besteigen und der nachkommenden viel kleineren Inga die Bodenklappe vor der Nase zuschlagen.
Das mußte von den Personen her geschildert werden, weil man sich nun die gespannte Stimmung vorstellen kann, die zudem vom Tod der Mutter stark beeinflußt ist, aber auch mit der Überlegung, was jetzt mit dem Grundstück mit den 1,2, ja drei Sommerhäusern anzustellen ist. Weiterbetreiben oder verkaufen? Wer hat welche Interessen?
Doch das ist nur die familieninterne Problematik, die in der Schwüle des sogenannten Jahrhundertsommers durch eine schreckliche Nachricht ausgeweitet wird. In der Nachbarschaft ist ein Mädchen verschwunden, die von Polizei und den Medien intensiv gesucht wird. Nach ihr , dieser Nina, wird im Radio gefahndet und die Zeitungen sind voll davon. Das wirkt vor allem auf die Mädchen angsterregend und Jana ist sicher, daß sie den Entführer und potentiellen Mörder gleich in diesem schwarzen Mann im Nachbargarten ausgemacht hat. Nein, der ist nicht schwarz von Hautfarbe, sondern nur so undurchsichtig und verdächtig schon deshalb, weil er Zeitungsartikel über das verschwundene Kind sammelt und in seinem Garten verschiedene Puppenteile herumliegen.
Es ist das Atmosphärische, was hier so stimmt. Das Drehbuch legt den einzelnen genau die banalen Sätze in den Mund, wie Familien sich verständigen, um keinen Konflikt austragen zu müssen. Aber wir erleben auch mit, wie festgefahrene Strukturen aufgeweicht werden, wenn die Koordinaten sich ändern. Ilse, die bisher nur die Mutter im Sinn hatte, ist nun entlastet, kann sich anderen Menschen öffnen, mit diesen Kaffee trinken wie mit Frau Fischer, mit der sie sich schnell befreundet und geradezu aufblüht.
Doch dann passiert etwas, das nun allen den Boden allen entzieht.
Foto: ©
Info:
VOR DER KAMERA
THOMAS LOIBL (Bernd)
LAURA TONKE (Eva)
MAVIE HÖRIGER (Gitti)
URSULA WERNER (Ilse)
GÜNTHER MARIA HALMER (Erich)
CHRISTINE SCHORN (Frieda)
INGE MAUX (Mathilde)
JOHANNES SILBERSCHNEIDER (Herr Buchner)
EMILIA PIESKE (Jana)