Filmheft
Berlin (Weltexpresso) - Was hat Sie davon überzeugt, die Regie bei SIMPEL zu übernehmen?
Markus Goller: Was mich angezogen hat, war, einen Menschen zu zeigen, der ohne die Masken, die wir alle haben, durchs Leben läuft; der völlig frei ist, und wie ein kleines Kind hundertprozentig auf das, was um ihn herum passiert, reagiert. Das fand ich spannend.
Im Mittelpunkt der Geschichte stehen Simpel und Ben - wie verhalten sich die beiden Brüder zueinander?
Ben hat eine Aufgabe, und die ist, auf seinen Bruder aufzupassen. Das ist sein Lebensinhalt. Er liebt seinen Bruder und braucht ihn – aber er muss lernen, dass es für ihn auch ein Leben außerhalb seines Bruders und der damit selbstauferlegten Aufgabe gibt, und loslassen. Für sich. Simpel ist am Ende derjenige, der ihm den Schritt abnimmt.
Wie hat sich das Zusammenspiel von David Kross und Frederick Lau entwickelt?
Wunderbar! Beide sind Menschen, die sehr auf die Situation reagieren. Das heißt, wir drehen natürlich schon nach Buch, versuchen aber immer die Momente, die beim Drehen der jeweiligen Situation entstehen, einzufangen. Die besten Dialoge entstehen aus der Situation heraus. Wenn die Schauspieler die Figuren sind, sie leben. Und da sind David und Freddie die Meister. Die zwei sind klasse miteinander, das hat sich schon in der ersten Drehwoche gezeigt, als wir am Wattenmeer bei Jever die Angangsszenen des Films gedreht haben: wo sie herkommen, wie sie zusammen sind, was die Konstellationen sind. Das ist sehr schön geworden, ihnen nimmt man die Bruderliebe und das gegenseitige Aufeinander-angewiesen-Sein gut ab.
Hat es den beiden beim Dreh am meisten Spaß gemacht, sich im Watt zu wälzen?
Ich glaube nicht, dass das sehr viel Spaß gemacht hat, denn da war es sehr kalt. David ist da wirklich in der Unterhose im Wattenmeer bei Temperaturen um den Gefrierpunkt rumgeschlingert. Leider sieht man die Kälte im Film nicht.
Lassen Sie den beiden viel Raum für Improvisationen?
Das ist bei mir immer so. Improvisationen innerhalb des Handlungsrahmens sind wichtig. Die Figuren entwickeln sich ja in dem Moment, wo man spielt. Da merken wir was funktioniert und was nicht.
Gilt das Improvisieren auch für die ganz spezielle Sprache, die Simpel spricht?
Ja, klar. Wir haben ein paar Situationen erst beim Proben entdeckt und sie noch dazu gepackt. Das hat sich so schon in eine andere Richtung entwickelt, als es im Buch beschrieben war.
Buch und Film haben aber durchaus gemeinsam, dass Simpels Behinderung einfach eine Tatsache ist, von der aus sich alles Weitere entwickelt...
Genau. Es geht überhaupt nicht darum, die Behinderung zu „glorifizieren“. Simpel ist eben genau so, wie er ist, und er reagiert eben auf das, was so passiert. Und wenn das nicht gut ist, dann reagiert er negativ, in ganz verschiedenen Stufen, je nachdem,wie stark die Energie ist, auf die er trifft und was es für ihn bedeutet. Wir wollen nicht, dass man über ihn lacht, sondern dass der Humor aus der Situation herauskommt.
Steht SIMPEL für Sie auch in der Tradition des Buddy Movie?
Es ist natürlich eine andere Konstellation, aber vom Gefühl her ist es schon ein bisschen Buddy Movie. Dadurch, dass es zwei Brüder sind, sind die Vorzeichen andere, aber wir gehen mit engsten Vertrauten auf die Reise, die ihr Abenteuer durch die gemeinsame Liebe und die daraus resultierende Geborgenheit und Sicherheit untereinander bestreiten.
Trotz der Schauplätze an der Küste und in Hamburg ist SIMPEL kein ausgesprochen norddeutscher Film, oder?
Das war nicht unsere Intention. Unser Setting ist visuell zwar ganz klar norddeutsch, wir haben aber versucht, die Story und die Charaktere universell zu gestalten. Mit ein paar Nebenrollen wollten wir dem Ganzen einen norddeutschen Akzent geben. Die Geschichte könnte aber auch überall spielen, ganz anders als beispielsweise in meinem Film „Eine ganz heiße Nummer“, wo die Figuren und die Story ganz klar einen bayerischen Hintergrund haben und den auch brauchen.
Wie haben Sie als Bayer die ostfriesische Landschaft erlebt?
Es war eine Beziehung, die sich entwickelt hat. Wir haben Locations bei ständig gruseligem Wetter gesucht; wir waren im Dezember und Januar unterwegs und dann ist da oben einfach gar nichts los. Es ist wirklich tote Hose. Aber es ist landschaftlich wahnsinnig schön. Die Weite ist das Abgefahrene daran. Alles ist flach, du kannst unendlich gucken - ein bisschen wie in Amerika.
Wie passt Aria, der Ben und Simpel auf der Flucht vor den Behörden begegnen, zu den beiden?
Wir haben Aria als junge Frau in der großen Stadt konzipiert, die eigentlich alles dort machen kann, alles hat, eigentlich mitten im Leben steht, aber eben auch sehr allein ist. Ben und Aria sind komplementäre Figuren, die beide eine Leerstelle im Leben haben, aber es nicht eigestehen. Ich mag es gern, wenn die Frauenfiguren rough, selbstbewusst sind. Emilia Schüle gibt das der Aria.
Wie haben Sie die Rolle des Vaters angelegt?
Sie war nicht schwer zu besetzen; ich hatte immer Devid Striesow im Kopf, auch wenn er vielleicht relativ jung dafür erscheint. Ich finde Devid faszinierend: Er hat diese Ambivalenz - warm und liebevoll auf der einen Seite, bestimmt, klar und unberechenbar auf der anderen. Devid ist super als Vater, der ja nicht einfach nur ein Böser ist, sondern ein Riesenproblem durch sein Leben schleppt: Er glaubt, schlecht dazustehen, wenn er ein Kind mit einem Makel hat, anstatt es anzunehmen. Diesen Zwiespalt versuchen wir herauszuarbeiten.
Wie passt SIMPEL zu ihren bisherigen Filmen?
Jeder Film ist anders - Das Besondere ist natürlich die Geschichte, sind die Figuren. Ich versuche immer, vom Gefühl her zu kommen und mich in die Charaktere hineinzuversetzen. Situationskomik kriegt man nur aus der Wahrhaftigkeit der Figur heraus und nicht, weil’s jetzt gerade lustig sein muss. So sehe ich das Leben halt auch: als Weg, auf dem wir alle wachsen müssen. Dabei passieren auch Sachen, die nicht so sind, wie wir sie gerne hätten, aber im Prinzip ist es etwas sehr Heiteres. So versuche ich, die Geschichten, die ich erzähle, anzugehen.
Foto: © Verleih
Info: Entnommen dem Presseheft
Info: Entnommen dem Presseheft