f mordimSerie: Die anlaufenden Filme in deutschSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 9. November 2017, Teil 12

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Einer der berühmtesten Romane von Agatha Christie mit vielfachen Verfilmungen wird 2017 erneut in Starbesetzung unters Volk gebracht – da fragt man sich, warum? Aber der Zuschauer will lieber wissen, wie sie denn ist, diese Neuverfilmung. Kurz und klar: prominent besetzt, im Ablauf relativ eng an die Handlung des Buches orientiert, Umbenennung einiger Personen, opulent in der Winterlandschaft fotografiert, exzellente Kostüme, großes Bohei – und alles wie mit dem Holzhammer serviert.

Damit soll ausgedrückt werden, daß der Zuschauer nichts anderes mehr zu tun hat, als ein fertiges Gericht zu verspeisen, das überwürzt ist und der Zuschauer bald einen Sättigungsgrad erreicht, wo man aber immer weiteressen muß. Wie schade, denn so kann man den Film nur wegen des Spektakels anschauen, den die Ansammlung so vieler berühmter und doch eigentlich auch hervorragender Schauspieler mit sich bringt. Doch o weh, eine so gute Schauspielerin wie Penélope Cruz, die hier die nach Spanien versetzte Missionarin darstellt, wird völlig verhunzt, dazu muß man nur einmal anschauen, wie grandios in der Verfilmung von 1974 diese Rolle Ingrid Bergmann spielt. Unglaublich. Allein ihretwegen lohnt es, diesen Film erneut anzusehen, der ja schon deshalb eigentlich nicht mehr spannend ist, weil man um die Lösung weiß. Aber gute Filme und gute Geschichten können auch mit dem Wissen um den Mörder einfach spannend bleiben.

Ingrid Bergmann ist deshalb unser Beispiel für Schauspielkunst, weil da nichts dick Aufgetragenes ist, sondern ein subtiles Spiel mit Mimik, einer Haltung einer älteren Frau, die sich für ihre Existenz ständig entschuldigt, höflich, fast unterwürfig. Diesen Gestaltungsspielraum muß aber ein Regisseur seinen Schauspielern gönnen. Hier hat man den Eindruck, daß die Regie alles erst mal eine Nummer größer anlegt, als im Roman vorgesehen ist. Daß wir zu Filmbeginn eine frei erfundene Szene in Jerusalem erleben, wäre ja gut, wenn es etwas brächte. Aber sowohl der Religionenvergleich, um den es inhaltlich geht, wie auch der Vorgang des Eiermessens, der immer wieder wiederholt werden muß, weil Poirot nur zwei Eier mit den identischen Größen essen wird, weshalb ein kleiner Knabe, putzig aufgebrezelt, ständig neue servieren muß, das wirkt – tja, wie soll man es sagen, das wirkt kunstgewerblich und schmeckt nicht nach Filmkunst.

Ja, wir haben verstanden,! Wir haben verstanden, daß dieser Hercule Poirot ein Zwangscharakter ist und ein Synästhetist dazu, der auf vieles überempfindlich reagiert, dazu ein Bild von sich selbst und ein Bild von sich selbst in der Welt hat, das er ständig überprüfen und im Gleichgewicht halten muß. Allerdings geht Regisseur und Hauptdarsteller Brannagh über die beschriebene Romanfigur weit hinaus und macht sie dadurch nicht witziger, intelligenter, schlitzohriger, sondern tumber und nur zwanghaft an Äußerlichkeiten orientiert. Dieser Hercule Poirot, dessen Vorname von der germanischen Rasse der Engländer und Amerikaner immer Herkules ausgesprochen wird, was er als ‚Ercül‘ korrigiert, das kommt ja einmal, zweimal, dreimal lustig rüber, aber dann wird‘s peinlich. Und solche Peinlichkeiten, weil zu dick aufgetragen, zu oft wiederholt, gibt es immer wieder. Dabei hat dieser Poirot doch einen Charme, der aber nur zutage tritt, wenn man ihn auch läßt.

Das fängt schon mit dem Schnurrbart an. Der Film widmet sich zum großen Teil eben den Äußerlichkeiten der Figuren. Das geht ganz unterschiedlich aus, abgesehen davon, daß vieles Geschmacksfrage ist. So ist ja Mrs. Hubbard im Buch nur eine ältere Frau, die durch die Nachbarschaft mit dem Abteil, in dem der Mord geschah, bei der Aufklärung der Tat immer wieder im Mittelpunkt steht. Michelle Pfeiffer macht daraus einen großen Auftritt, das hat schon was, weil sie auf einmal eindeutig als Anführerin der ganzen Tat da steht. Doch, auch im Buch gibt es am Schluß den Versuch, den Mord auf sich zu nehmen, aber im Film ist die Rolle der Großmutter der ermordeten Daisy die einer Rachegöttin, die gleißend mit ihren unsichtbaren Feuersäulen alles verbrennt. Sie ist die einzige Person, die wirklich mehrere Facetten ihrer Persönlichkeit zeigen kann, was korrespondiert mit dem Hintergrund von Mrs. Hubbard, die ja eine berühmte und hochdekorierte Schauspielerin war. Und das verlernt man nie!

Aber was haben Drehbuch und Regie nur mit Mr. Hardman gemacht. Das ist doch der Freund des Dienstmädchens der Armstrongs, der nun zum österreichischen Professor wird, eine leere Figur, der keine Gestalt annimmt, wie eine Karikatur wirkt, was schon etwas heißt, wenn sein Darsteller Willem Dafoe heißt. Nein, wir wollen nicht alle diese Personen durchleuchten und abklopfen. Es geht mehr um das Prinzip. Das nämlich heißt groß, größer, am größten. Nur ein Beispiel: Im Roman und den anderen Verfilmungen langt ein heftiges Schneewehen, den Zug zu stoppen und ihn einschneihen zu lassen. Aber bei Braghan muß noch ein Gewitter her, das über den Bergen ja besonders attraktiv zu filmen ist und den Zug außer Kraft setzt.

Unaufhörlich gewinnt man den Eindruck, daß mit noch mehr Farbe, noch mehr Kostümen, noch mehr auffälligen Kameraeinstellungen unser Blick geleitet werden soll, statt daß wir munter mit unseren Augen in der Gegend (Leinwand) herumschauen und uns selber einen Reim machen. Wir sind wie schon erwähnt, Abnehmer, möchten aber gerne eigene Gedanken fassen können. Das haben wir dann getan, und uns den alten Film von 1974 - charmant, charmant – angesehen und dazu noch den ORIENTEXPRESS aus der „Agatha Christie: Poirot-Collection“, wo David Suchet den belgischen Meisterdetektiv gibt, der nun völlig anders gestrickt ist, als Albert Finney, wobei einem erst dann so richtig auffällt, daß sich Kenneth Brannagh sehr an Lumets Film von 1974 orientiert, nur leider nicht so gut ist. Demnächst mehr davon.

Ach so, die Geschichte. Wer sie immer noch nicht kennt, soll die beiden vorangegangenen Artikel lesen und dann auch die Besprechungen der beiden noch folgenden Verfilmungen.

Foto: © Verleih

Info:

Kenneth Branagh: Hercule Poirot
Penélope Cruz: Pilar Estravados
Willem Dafoe: Mr. Hardman
Judi Dench: Prinzessin Natalia Dragomiroff
Johnny Depp: Edward Ratchett
Josh Gad: Hector MacQueen
Derek Jacobi: Edward Masterman
Leslie Odom Jr.: Dr. Arbuthnot
Michelle Pfeiffer: Caroline Hubbard
Daisy Ridley: Mary Debenham
Lucy Boynton: Gräfin Elena Andrenyi
Sergei Polunin: Graf Rudolph Andrenyi
Olivia Colman: Hildegarde Schmidt
Tom Bateman: Bouc
Marwan Kenzari: Pierre Michel
Manuel Garcia-Rulfo: Biniamino Marquez