Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ein Film über STILLE, das müßte ja auch ein stiller Film sein, einer, der einem die Dimension von Stille fühlbar macht, einen die STILLE in die Knochen fahren läßt, eine STILLE, die durch Mark und Bein geht. So schildern nämlich Menschen, die völliger STILLE ausgesetzt waren, die SITLLE an und für sich.
Das aber ist eine künstliche oder an ganz wenigen Orten der Erde erlebbare Stille. Um die geht es im Verlauf des Films auch einmal, aber das Eigentliche sind die Momente, wo aus den Geräuschen der Welt Momente der Stille entstehen, was fast immer gekoppelt ist mit dem Stillstand, der in Bewegungen der Welt eintritt. Die meisten dieser stillen Momente muß man sich hart erarbeiten. Doch zuvor muß man erst ausprobieren, ob man die reine Stille überhaupt aushält. Schließlich sind wir von einer unaufhörlichen Lärmkulisse begleitet, behütet durch eine Kakophonie kann man zynisch sagen, dem die Stille als echte Herausforderung gegenübersteht.
So erfahren einige die Komposition 4‘33 experimenteller Stille, mit der der Film beginnt und exakt 4 Minuten und 33 Sekunden anhält, wobei auf der Leinwand wogende Natur, Wind, Bewegung zu sehen sind. John Cage hat diese nicht nur öfter aufgeführt, sondern seine Komposition ist auch in drei Sätzen üblichen Musikstücken angeglichen, wobei der Beginn des neuen Satzes durch Schließen des Klavierdeckels angezeigt wird. Eine sehr eigenartige Wirkung, die naturgegeben in der Wirklichkeit im Konzertsaal sehr viel eindrucksvoller ist, als auf der Leinwand. In Deutschland war John Cage einige Jahre vor seinem Tod 1992 immer wieder in Frankfurt, wo Uraufführungen seiner Werke stattfanden und eben auch die STILLE aufgeführt wurde.
Hört man der STILLE zu, wird deutlich, daß auch in einem Saal, wo die Menschen sich bemühen, keinen Mucks zu tun, jede Kleinigkeit ein großes Echo hervorruft. Selbst das Atmen des Nachbarn. Das ist das eine. Das andere ist, daß bei äußerer STILLE innere Geräusche für das innere Ohr hörbar werden. Damit ist nicht ein Tinnitus gemeint, sondern vom Herzschlag über Darmgeräusche die Bewegungen in unseren Körpern, die angesichts vom Lärm der Welt sonst unhörbar sind.
Patrick Shen hatte den Film seit 2013 in einer Finanzierungskampagne überhaupt möglich gemacht. Zwei Jahre hat er eine filmische Reise auf der Suche nach Stille durch die Welt unternommen und Aufnahmen in acht Ländern gemacht, in den Kontinenten Amerika, Asien und Europa,wobei er regionale und lokale Besonderheiten aussuchte. Die Länder sind die USA, England, Deutschland, Belgien, Japan, China, Taiwan, Indien. Grundsätzlich fällt auf, daß er beim Dreh eher einfache Mittel wählt und die STILLE nicht stilisiert, aber gerade dadurch die Bereitschaft zum Zuhören stärkt. Denn der STILLE muß man zuhören, sich auf sie einlassen, sozusagen sie gewähren lassen und in sich aufnehmen. Im Kino, wenn gemeinsam der STILLE gelauscht und dazu noch zugesehen wird, fällt auf, wie oft Leute gähnen müssen. Das nun wiederum ist kein Zeichen für Langeweile oder Luftmangel, sondern hat mit den Entspannungsmomenten zu tun, die sich schon physiologisch einstellen, wenn Körper und Geist zur Ruhe kommen. Erstaunlich. Komisch auch.
Denn beim Zuschauen sind nicht nur – im Kino ein normaler Vorgang – die Augen, das Gehör, der Geist, das Gemüt involviert, sondern der ganze Körper, der auf STILLE anders reagiert als bei Handlungen auf der Leinwand und Geräuschen aus den Lautsprechern.
Den Film nachzuerzählen ist unsinnig. Aber die Situationen in den acht Ländern, kurz darzustellen, ist sinnvoll. Die Spannung stellt sich durch Gegensätze her. So wird zum einen eine echofreie Kammer der Orfield Labs in Minneapolis mit der Kamera betreten, die als stillster Ort der Erde bezeichnet wird. Dagegen steht dann die wilde Festzeit in Mumbai, von der gesagt wird, sie sei die lauteste Stadt auf dem Erdball. In Kyoto wird im berühmten Urasenke Teehaus Tee getrunken, wobei die Zeremonie das Wesentliche ist. Erneut in Amerika hört man den Lärm der Hochgleise, die das Lernen in New Yorker Schulen erschweren. Natürlich gehören die quasi beruflichen Schweiger zur STILLE dazu: Trappisten, Zenerprobte und sogenannte ‚stumme Wanderer‘, die ihr Schweigegelübde durch Wandern erfüllen.
Auch der Film übt STILLE. Denn wie der Klavierdeckel in Cages Komposition die Sätze trennt, so werden die unterschiedlichen Stationen, wo Gespräche über die STILLE geführt werden, mit einer Schweigeminute eingeleitet.
Foto: © Verleih
Info:
FESTIVALS & AUSZEICHNUNGEN
CPH:DOX
SXSW – South by Southwest full frame documentary film festival
Sheffield Doc/Fest
Dallas International Film Festival: Best Documentary Feature
Ashland Independent Film Festival: Best Editing Feature Length Documentary
Atlanta Film Festival
Cleveland International Film Festival
Sarasota Film Festival
CAST & CREW
Regie: Patrick Shen
Produktion: Patrick Shen, Andrew Brumme, Brandon Vedder Ko-Produzentin: Cassidy Hall
Schnitt: Patrick Shen Bildgestaltung: Patrick Shen und Brandon Vedder
Musik: Alex Lu Ausführende Produzenten: Andrew Brumme, Larry Finegold, Michael Coleman, Poppy Szkiler
Beratung/ Schnitt: Nathaniel Dorsky
Verleih: mindjazz pictures