SCIALLA! von Francesco Bruni eröffnet das italienische Filmfestival Verso Sud 18 (bis 10. Dezember) im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt am Main, Teil 2/2

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ulrike Stiefelmayer, die seit 13 Jahren das Programm von Verso Sud verantwortet, gemeinsam mit der Mannschaft von Made in Italy aus Rom, hatte das vollgestopfte Auditorium dieses schönen roten Kinos im Deutschen Filmmuseum begrüßt, den Regisseur des Eröffnungsfilms vorgestellt – der nun wiederum mit seinem Eröffnungssatz „Ich bin ein Frankfurter“ alle Lacher, alle Historiker und Wurstspezialisten dazu auf seiner Seite hatte - und Christiano Cottafavi das Wort überlassen, der als Generalkonsul der Republik Italien in Frankfurt derzeit auch die Leitung des Italienischen Kulturinstituts ausübt.

 

 

Wie filmerprobt er selber ist, entnahm man seinen Worten über die Filme des Festivals und den im Laufe des Festivals nach Frankfurt kommenden Gästen. Unter den Filmen in Originalsprache mit deutschen Untertiteln mit dem Schwarz-Weiß-Film CESARE DEVE MORIRE der Brüder Taviani auch die Gewinner des Goldenen Bären, den wir zur BERLINALE sahen und berichteten (Link unten).

 

Nach Ende des Films freute sich Francesco Bruni sichtlich über den Beifall, verwies aber darauf, daß er hauptamtlich Drehbuchautor bliebe, denn zum Regisseur wurde er nur, weil keiner dieses Drehbuch verfilmen wollte. Auf den Titel sei er gekommen, weil seine Kinder „SCIALLE!“ so fünfzigmal täglich von sich gegeben hätten. Die Bedeutung sei wechselnd, das Wort passe immer, wenn einer etwas locker nehmen solle. Also eigentlich eine Grundhaltung dem Leben gegenüber, was dem Geist seiner Komödie geradezu widerspreche. Er habe hier einen nachlässigen Fünfziger zum ernsthaften Vater gemacht. Er wolle die derzeit öffentlich nicht gut behandelten Väter in ihrer Vaterrolle stärken. Seine Komödie sei eine Aufforderung, wahrer seinen Kindern gegenüber zu werden, eben nicht locker zu bleiben, was ja nur Bequemlichkeit und Weggucken und mangelnde Konfliktbereitschaft zum Kern habe.

 

In seinem Debütfilm legte er wert auf eine familiäre Atmosphäre. Er wollte die Welt abbilden, die er kenne und die Leute um sich haben, die ihn mögen. So ist die Lehrerin im Film seine Ehefrau, die Gegend von Rom diejenige, in der er wohnt, die Schule im Film sei die seines Sohnes etc. Er habe einen Film nach seinem Geist gemacht und seiner Welt, obwohl er ein unbeschriebenes Blatt gewesen sei, denn er habe nie am Set mitgearbeitet, wenn seine Drehbücher verfilmt wurden. Die Bemerkungen aus dem Publikum betonen immer wieder, daß heute in Filmen – wie in vielen Familien – die Abwesenheit des Vaters Thema sei und die Mütter dies alles alleine bewältigen müßten. „Sie schaffen eine schöne Figur des Vaters!“

 

Das sieht Francesco Bruni genauso und beschreibt noch einmal mit Worten die Neugeburt des Vaters Bruno im Film. Am Anfang ist er alt und traurig. Der habe bisher nur Innenschau betrieben und mache nun Erfahrungen mit dem Jungen, die ihn zwingen, nach außen zu schauen und dadurch auch seine Verantwortung zu erkennen. So werde aus einem Unzufriedenen einer, der mit der Vaterrolle wieder jung werde. Tatsächlich profitiere der Vater von dem dann produktiven Zusammenleben von Vater und Sohn mehr. Bruno sei lebendig geworden und habe wieder Erwartungen.

 

Zwischen Publikum und Francesco Bruni – die Übersetzerin hat alles schnell und sicher ins Deutsche gebracht, denn nicht nur die Antworten waren italienisch, sondern die allermeisten Fragen und Kommentare aus dem Publikum auch – entspann sich eine Diskussion um die Rolle des Kinos in Italien heute. Italienische Filme kümmerten sich nicht um die Gesellschaft, bildeten diese nicht ab. Der Regisseur dagegen findet, daß heutige Filme schon sehr lange die Gesellschaft nacherzählen und nannte verschiedene Regisseure mit ihren Werken, zum Beispiel auch CORPO CELESTE von Alice Rohrwacher, in diesem Festival zu sehen (am So, 2.12. und Mo 3.12.) sowie SETTE OPERE DI MISERICORDIA von Gianluca De Serio, Missimiliano De Serio (am Do 6.12. und Sa 8.12.).

 

Aber die Italiener schauen nicht gerne in den Spiegel. Sie sehen lieber phantastische Welten, bunt und platt.“ Es gäbe die guten Filme, aber sie blieben unbeachtet und bildeten in der Filmwelt so etwas wie indianische Reservate. Dagegen hätten die Filme großen Erfolg, die „als Komödien bringen: schöne Frauen, schöne Orte, schlechte Witze.“ Solche Filme gebe es vor allem zur Weihnachtszeit, weil Italiener nicht gerne über sich nachdenken.

 

Nachfragen galten auch den Schauspielern. Weil in der Tat der Film einfach authentisch wirkt, wird eine Ähnlichkeit der Filmfigur Luca mit dem Darsteller unterstellt. „Der Junge ist anders als Luca. Nicht frech, fröhlich und faul, eher schüchtern und zurückhaltend.“ Nach den ersten Probeaufnahmen habe er gewußt: Der ist es. Über die gegenwärtige Filmszene in Deutschland und deutsche Regisseure habe er keine Kenntnisse. In seiner Ausbildung sind sie alle hochgehalten worden, die deutschen Regisseure der Siebziger Jahre: Fassbinder, Herzog, Reitz. An „Das Leben der anderen“ und „Good bye Lenin“ erinnere er sich auch.

 

P.S. Nicht zu vergessen, der Beginn des Films. Da rotiert ein ganz schmales längliches Metall im Nichts und man muß sofort an die Sequenz in 2001: ODYSEE IM WELTRAUM denken. Dann vergrößert sich alles und man erkennt eine Nähnadel mit einem Öhr, eindeutig eine Sticknadel, denn diese haben so ein ovales Öhr. Und während man sich noch wundert, marschiert von rechts kommend doch tatsächlich ein Kamel und schreitet elegant durch dieses Nadelöhr!

 

 

INFO:

 

Überblick Programm

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kino/1143-freitag-30-november-bis-montag-10-dezember

 

 

Unsere Berichterstattung über Cesare Deve Morire zur Berlinale 2012 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kino/426-cesare-deve-morire-caesar-muss-sterben

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kino/453-den-goldenen-baeren-erhalten-paolo-a-vittorio-taviani-fuer-cesare-deve-morire

 

 

www.deutsches-filminstitut.de

www.deutsches-filmmuseum.de