SCIALLA! von Francesco Bruni eröffnet das italienische Filmfestival Verso Sud 18 (bis 10. Dezember) im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt am Main, Teil 1/2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Nach dem zündenden und umjubelten Auftakt des 18. Festivals des Italienischen Films mit SCIALLA!, erläutert Regisseur Francesco Bruni – ein versierter erfolgreicher Drehbuchschreiber, der das erste Mal Regie führt – was sein 15 jähriger Hauptdarsteller mit seinem Ausspruch meint: schwul seien diejenigen, die so romantischem Zeug anhängen, von Liebe und so.
So nämlich habe ihm sein eigener Sohn diesen Spruch erklärt, den er wie andere Aussprüche aus der Jugendsprache in diesen Film transportierte. Sein Sohn allerdings habe sich soeben verlobt. So vergehen die Zeiten und die Werte ändern sich. Davon und von noch viel mehr handelt dieser so leichte wie gehaltvolle Film des Francesco Bruni. Sagen wir es gleich. Filmisch braucht diese Geschichte nichts weiter, als gut abfotografiert zu werden, denn sie erzählt sich wie von alleine, so stark ist die Handlung, so individualpsychologisch die Charaktere und so allgemeingültig die Aussage, daß Generationen erst einmal gegeneinanderstehen und eine gemeinsame Sprache – hier zwischen Vater und Sohn – gefunden werden muß, damit man sich versteht und dann miteinander leben kann.
Aber wie das Drehbuchautor und Regisseur Francesco Bruni mit seinen Schauspielern, von denen noch dazu viele sich selber spielen, das hinbekommt, ist phänomenal. Man lacht fast ununterbrochen in diesem Film, der sich auch Komödie nennt, dabei geht es um ernsthafte Dinge. Luca (Filippo Scicchitano), der 15jährige hat nur die Mutter, die nun nach 15 Jahren dem überraschten, ja verwirrten Bruno (Fabrizio Bentivoglio) – einst Lehrer, dann ambitionierter Schriftstelleraspirant, jetzt Verfasser von VIP-Biographien – mitteilt, daß diese einmalige Nacht damals ihn zum Vater gemacht habe und sie jetzt seine Hilfe brauche. Sie will beruflich ein halbes Jahr nach Mali und er soll sich um Luca kümmern, den er als faulen, total desinteressierten Nachhilfeschüler schon kennt.
Gesagt, getan. Luca zieht bei ihm ein und beide wollen voneinander so wenig wissen, wie es geht. Denn Luca will in seinen eigenen Augen cool sein und Bruno bleibt nur gleichgültig und emotionslos. Bis Bruno in die Schule zitiert wird und ihm Lucas Lehrerin dessen Faulheit und unmögliches Benehmen mit der Konsequenz des Sitzenbleibens vor die Füße knallt. Wirklich gekonnt, wie Bruni nun im Film seine Hauptakteure um ihre eigene Achse dreht und an die Kandare nimmt. Bruno weckt Luca, bereitet ihm Frühstück, fährt ihn auf seinem Moped gegen dessen Widerstand zur Schule, zwingt ihn täglich stundenlang mit ihm zu lernen. Schon hier ist eine der psychologischen Grundwahrheiten wunderbar in Bildern und Verhaltenssequenzen wiedergegeben: wer etwas wirklich will, sich wirklich einsetzt, erreicht auch den anderen. Denn Luca läßt sich immerhin formal darauf ein, nun verläßlich in die Schule zu gehen und zu lernen.
Dagegen steht seine Gang (zwei Mitschüler) mit Kontakten zur Drogenszene – weshalb er auch Dealer werden will, wie er provozierend äußert - , denn der Kriminelle, der die Jugendlichen über Drogenproben an Jugendliche als Mittäter funktionalisiert, führt ein hartes Regiment, hat aber neben der Peitsche auch Zuckerbrot: Eingang in die coolsten Discos der Stadt Rom. Und möglichst cool zu sein, das ist Ideal dieser Jugend. Das kommt so ungeheuer gut rüber, daß 'cool sein' eine variable Größe ist, die diesen Jugendlichen aber als Norm vorgesetzt, geglaubt und im eigenen Verhalten ausgeübt wird.
Und dann passiert etwas. Erst etwas Schlimmes, wodurch Luca in große Gefahr gerät und bei Bruno Hilfe sucht. Der will zwar helfen, aber vor richtigen Gangstern, das sind diese Drogenmuftis, steht ein grauer, müder Schreiberling nicht gerade doll da. Und da passiert das Schöne, was sich jeder weitere Schreiber in seinem ganzen Leben wünscht. Brunos Liebe zur Literatur, die er anderen vermitteln konnte, ist mehr wert – als eine halbe Fabrik, haben Brecht/Weill formuliert –, hier mehr wert als dicke Kanonen, viel Rauschgift und eine ganze Schlägertruppe. Und wie herzerwärmend das auf die Leinwand gebannt ist, das gibt so manchem Lehrer und manchem Schreiber hoffentlich jahrelang Auftrieb. Luca und alle anderen erfahren auf jeden Fall, worauf es im Leben ankommt. Nicht mit dem Holzhammer, auch nicht mit der Moralkeule, aber durch einen einfach gut gemachten Film. Fortsetzung folgt.
P.S. Nicht zu vergessen, der Beginn des Films. Da rotiert ein ganz schmales längliches Metall im Nichts und man muß sofort an die Sequenz in 2001: ODYSEE IM WELTRAUM denken. Dann vergrößert sich alles und man erkennt eine Nähnadel mit einem Öhr, eindeutig eine Sticknadel, denn diese haben so ein ovales Öhr. Und während man sich noch wundert, marschiert von rechts kommend doch tatsächlich ein Kamel und schreitet elegant durch dieses Nadelöhr!
INFO:
Überblick Programm
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kino/1143-freitag-30-november-bis-montag-10-dezember
Unsere Berichterstattung über Cesare Deve Morire zur Berlinale 2012
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kino/426-cesare-deve-morire-caesar-muss-sterben
www.deutsches-filminstitut.de
www.deutsches-filmmuseum.de