VERSO SUD 23, das Festival des italienischen Films vom 1. bis 12. Dezember im Deutschen Filmmuseum ehrt Daniele Luchetti, Teil 4
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das Liebenswerte an diesem Festival, das zum 23. Mal in Frankfurt stattfindet, ist diese Mischung aus exakter Planung und einem leichten Chaos, das kurz zuvor eintritt, so daß alles mögliche durcheinandergerät, aber die Eröffnung immer pünktlich beginnt.
Und damit das auch die ganzen Tage bis zum 12. Dezember bleibt, hat das Festival eine neue Regelung eingeführt, die nämlich heißt, daß alle bestellten Karten zwei Tage vor dem Filmtermin abgeholt sein müssen. Dadurch nämlich ist es jetzt möglich, auch noch kurzfristig auf der Suche nach einer Karte fündig zu werden, denn es waren in der Vergangenheit immer viel zu viele Karten dann nicht abgeholt worden, so daß einerseits Plätze leer blieben und andererseits Filmwillige keine Karten mehr bekamen, weil offiziell ausverkauft war. Auch bisher konnte das Filmmuseum das ganz gut managen, aber dadurch kam es zu Verspätungen des Filmanfangs und zu Ärger bei denen, die zu spät kamen und deren Karten dann weg waren.
Das mitzuteilen war nötig, damit sich jetzt alle auf das Festival einstimmen können, das erst einmal mit vielen Reden begann. Aber da sich seit jeher vor allem die in FrankfurtRheinMain ansässigen Italienischstämmigen schnell Karten sichern, sind den Besuchern die Worte aus Rom von Franco Montini von MADE IN ITALY, der seit Jahren ständiger Gast ist und dessen staatliche Filmorganisation Mitfinancier ist, wichtig, genauso wie die Begrüßung durch den italienischen Generalkonsul in Frankfurt, Maurizio Canfora, sowie die schriftlichen Worte des Direktors Giovanni Bastinelli von ENIT, dem italienischen Tourismusbüro in Frankfurt sowie seiner Vertretung an diesem Abend.
Maria Mazza, Direktorin Instituto Italiano di Cultura aus Köln, betreut Frankfurt mit, seit die eigenständige Kulturvertretung in Frankfurt eingespart wurde, sprach erst am zweiten Abend, an dem sie von Andreas Beilharz für das Deutsche Filmmuseum/Deutsches Filminstitut begrüßt wurde, der in diesem Jahr die Gesamtkoordination übernommen hatte. Auch das ein Wunder. Immer wieder nämlich sind seitens des Filmmuseums neue Leute für dieses Festival verantwortlich gewesen, wobei man den Eindruck hat, daß sich Andreas Beilharz festsetzt, was zu wünschen wäre. Später beim Empfang konnte man auch Ulrike Stiefelmayer treffen, die nämlich vor vielen Jahren und für viele Jahre VERSO SUD ausgerichtet hatte, was ihr noch heute die italienische Gemeinschaft, koordiniert durch die Casa di Cultura, dankt und die zudem ihre neue Wirkungsstätte das FILMFORUM HÖCHST sozusagen zur Dependance des Filmfestivals gemacht hat und eine Reihe von Filmen dort ebenfalls zeigt, worüber wir in einer Ankündigung informieren.
Und dann kam der hinreißende Film MIO FRATELLO É FIGLIO UNICO von Daniele Luchetti, der 2007 produziert wurde, aber in den 60er Jahren spielt und so unglaublich authentisch wirkt, daß man sich beim Zuschauen dauernd in diese Zeit zurückversetzt fühlte, so man sie kannte. Eine bittersüße Geschichte von zwei Brüdern. Der jüngere Accio (Elio Germano) und Manrico (Riccardo Scamarcio) sind so einig wie verschieden. Der Jüngere, ein Kindskopf sondergleichen, ungestüm und in allem direkt, will lernen und will Priester werden, weil ihm das im Priesterseminar am besten möglich schien. Dort allerdings kommt er dann mit Verschiedenem nicht zurecht, auch nicht mit seiner erwachenden Sexualität und dem Larifari, wie die Kirche darauf verlogen reagiert. Was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß und sein ebenso heißes Begehren, daß er ob Selbstbefriedigung nun bestraft werden müsse, läuft ins Leere. Mit ihm nicht.
Manrico dagegen, ein bildschöner Kerl, von Frauen umschwärmt, ist als Fabrikarbeiter auch Gewerkschaftsführer und wird in den Kämpfen der Gewerkschaften gegen das Kapital immer radikaler. Ja, doch, eine Frau spielt auch eine Rolle. Manricos Freundin (Angela Finocchiaro) aus reichem Haus, kann auf die Dauer den von Frauen umschwärmten Helden nicht gut ertragen, weshalb sie dem in sie dauerverliebten Bruder gewissermaßen zufällt. Mit dem Kind, das sie von Manrico hat.
Was den Film so gut und auch auch so spannend macht, ist die Verwobenheit des privaten Schicksals der beiden Brüder mit der politisch-gesellschaftlichen Situation der 60 Jahre, was durch das hinreißende Spiel der Brüder zusätzlich an Fahrt gewinnt. Ein so toller Film – und wo kann man ihn im deutschen Kino sehen? VERSO SUD war immer ein sehr gutes Festival, aber es wird ein lebensnotwendiges, will man in Deutschland noch italienische Filme sehen. Diese Hollywoodabhängigkeit der deutschen Kinos läßt uns ja nicht nur aus Italien kam mehr Filme sehen, sondern genau so wenig aus Osteuropa, Russland, der Türkei, Israel, Skandinavien sowie außereuropäischen Ländern. Das ist eine Gleichschaltung mit den USA, die unerträglich ist und uns alle zu Amerikanern macht.
Spritzig und funkelnd die anschließende Diskussion mit dem Regisseur, die erst einmal ordentlich der Reihe nach durch Fragen Franco Montinis verlief, die dann aber an Witz zulegte, als auch die Zuschauer fragen konnten, wobei der Witz vor allem auf Seiten von Daniele Luchetti blieb, denn allein seine Aussage, daß der Film zwar ein Buch als Grundlage habe, er diese aber zu 90 Prozent verändert habe, war ein Lacherfolg, weil er auch noch aufführte, was er veränderte. Eigentlich alles, was den Autor im übrigen auch sehr verärgert habe.
Ihn habe die Fahrt durch das Italien der Sechziger Jahre gereizt, und natürlich die hochgeschaukelte gesellschaftliche Entwicklung dieser Zeit, wobei sein Interesse immer den Menschen gelte, deren Geschichte er erzähle und damit auch die Zeit charakterisiere. Und das hat er hervorragend geleistet. Ein schöner Film in tragischer Zuspitzung, ein fulminanter Auftakt dessen, was italienisches Kino sein kann.
Fotos: Titel: Regisseur Daniele Luchetti während der Diskussion mit seiner Dolmetscherin Marina Grones, die, wie es sich gehört, dezent im verschwommenen Hintergrund bleibt © DIF/ Foto: Jonas Ebling
Filmfotos © Verleih
Info:
VERSO SUD bis 12.12. im Deutschen Filmmuseum und vom 7. bis 13.12. auch im Filmforum Höchst
www.deutsches-filmmuseum.de
www.filmforum-hoechst.de