VERSO SUD 23, das Festival des italienischen Films vom 1. bis 12. Dezember im Deutschen Filmmuseum, heute mit Marco Danieli, Teil 5
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Auch am zweiten Abend des italienischen Filmfestivals war noch alles auf Eröffnung eingestellt. Sowohl die Reden vor den Filmen wie auch die Diskussion mit denen, die ihre Filme zeigten. Das ist neben Daniele Luchetti, dessen Film MEIN BRUDER IST EIN EINZELKIND das Festival eröffnete, auch für diesen Abend Marco Danieli, hier im Bild.
Dessen Werk LA REGAZZA DEL MONO – DIE WELT DER ANDEREN ist ein intensiver, filigran komplexer und feinfühliger Film um ein junges Mädchen, das erst mit viel Herzeleid die vertraute Gemeinschaft der Zeugen Jehovas verläßt, was gleichzeitig den Verlust der in dieser Glaubensgemeinschaft involvierten Familie ist, das diese Trennung nur schafft, weil sich diese Giulia in einen jungen Mann verliebt, der sie bei ihrem Bruch mit den Zeugen Jehovas und ihrer Familie unterstützt, die aber dann merkt, daß sie nicht von einer Abhängigkeit in die andere rutschen kann, sondern ihren eigenen Weg gehen muß, dessen Beginn wir gerade noch miterleben und auch die Wahrscheinlichkeit, daß es eine Annäherung an ihre Familie geben wird.
Dieser Film wurde schon seiner Bedeutung wegen in den Vortagen für die Presse gezeigt, weshalb unsere Filmkritik schon an dem Tag erscheinen konnte, als er im Rahmen des Festivals gezeigt wurde, vergleiche den Link unter Info. Was aber VERSO SUD vorbehalten bleibt, ist die Anwesenheit des Regisseurs, der vor dem Film begrüßte und danach eine so lebhafte Diskussion erlebte, daß sie sich wegen des nachfolgenden Films noch im Foyer fortsetzte. Das lag am Film, aber auch an dem Interesse, das die filmische Auseinandersetzung mit einer religiösen Sekte auslöste. Uns selbst ist einfach kein Film bekannt, dessen Hauptthema die Zeugen Jehovas sind, wobei diese natürlich nur den Hintergrund bilden für die Kräfte eines jungen Mädchens, das sich aus dieser zudem mit der Familie verbandelten engen Gemeinschaft lösen kann. Das einzige, was uns zu dieser Thematik: junges Mädchen und rigide Religionsgemeinschaft einfiel, ist der auf der Berlinale im Wettbewerb aufgeführte Film DER KREUZWEG von Dieter Brüggemann, wo allerdings alles übel ausgeht, das Mädchen zudem jünger ist und es sich um Altkatholiken handelt.
Großes Lob erhielt der Regisseur für seine Ausgangslage, daß er nämlich den psychischen Druck, der Mitglieder der Zeugen Jehovas unterliegen, deutlich zeigt, eben der Anspruch über das jeweilige Mitglied der Gemeinschaft in allen Lebenslagen zu bestimmen, aber diese nicht als abgefeimte Schurken darstellt, sondern als umgarnende, sehr liebevoll auftretende Oberen. Für den Zuschauer wird nur so verständlich, warum solche Sekten Mitglieder generieren, die sich in einer Einheit fühlen und Schutz genießen, weil ihnen das Leben und ihre Lebensweise erklärt wird.
Marco Danieli ist ein in Italien bekannte Dokumentarfilmer, der mit diesem Film tatsächlich seinen ersten Spielfilm vorlegt. Dokumentarfilme sind auf Recherche angewiesen, Spielfilme nicht unbedingt, sicher aber, wenn es um Interna der Zeugen Jehovas geht, denn Danieli zeigt so viele Szenen aus dem Innenleben der Organisation, eben auch Gespräche in der Kirche, so etwas wie Messen und vor allem die Taufe, die nicht symbolisch, sondern tatsächlich mit viel Unterwasser stattfindet. Also lag die Frage nahe, wie er recherchiert habe. Dabei dachten wir an Methoden a la Günter Wallraff, wie nämlich undercover die Verhältnisse ausspioniert werden.
Verblüffend die Antwort. Der Regisseur war es selber, der bei den religiösen Riten anwesend sein durfte. Er hatte die Absicht, einen Dokumentarfilm über die Zeugen Jehovas zu drehen, angegeben. Dagegen hatte niemand etwas. Zusätzlich hatte ein Freund sich den Zeugen Jehovas als potentielles Mitglied angedient, der deshalb noch weitere Informationen beitragen konnte. Danieli hatte sich schon lange mit der Absicht eines Spielfilms getragen, hatte mit einem Drehbuchschreiber schon verschiedene Geschichten durchgespielt, als ihm – so erzählte er am Anfang– die Geschichte einer jungen Frau bekannt wurde, die genau eine solche familiäre Mitgliedschaft bei den Zeugen Jehovas erlebt hatte, aus der sie sich nur durch einen jungen Mann hatte lösen können, denn sie dann verlassen mußte, um so etwas wie Selbstbestimmung und einen eigenen Lebens- und Ausbildungsweg zu beschreiten.
Und dann am Ende der Diskussion sprach der Regisseur von „seiner“ Freundin. Das ließ natürlich aufhorchen, macht aber die Seriosität und Sensibilität, mit der der Regisseur Thema und filmisches Personal zusammenführte, noch verständlicher.
Angefangen hatte der Samstag mit der nachmittäglichen Aufführung von LASCIATI ANDARE – LASS DICH GEHEN!, einer spritzigen Komödie von Francesco Amato um die Gegensätze von Körper und Seele, die ja eine Einheit bilden sollten, aber in Person des leicht beleibten Psychoanalytikers Elia (Toni Servillo) und der naiv-raffinierten Fitnesstrainerin Claudia (Veronica Echegui) diese Gegensätze personifizieren. Nun hat Elias Frau diesen verlassen, wohnt aber nebenan, hat einen neuen Freund, was Elia zum Wahnsinn treibt, zudem ist seine Gesundheit durch Fettleibigkeit gefährdet, weshalb der Arzt in ins Fitnesstudio treibt, wo besagte Claudia seine Personaltrainerin wird, die ihn stritzt, bei dem sie allerdings auch viel lernt. Theoretisch und praktisch..
Was dabei abgeht, ist ein funkelndes Stück Filmkomödie, bei dem man immer wieder an Woody Allen denken muß, so witzig sind die Situationen und Dialoge, über die wir jetzt nichts Inhaltliches erzählen wollen, aber doch betonen müssen, wie sehr diese Claudia auch den Zuschauer betört in ihrer unnachahmlichen Mischung aus leicht ordinärem Charme und lebenslustiger Wuchtbrumme. Hinreißend. Leider wird im letzten Filmdrittel zuviel Klamauk geboten, der einen harmonischen Schluß beinhaltet.
Fotos: Titel Marco Danieli © DIF, Frauke Haß
Filmfoto © Verleih