LIW PLAKAT web1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 14. Dezember 2017, Teil 2

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Künstler Andy versucht mit seinen Aktionen, Videos, Bearbeitungen und Verwandlungen der Naturschätze ein sehr persönliches Schöpferwerk in Szene zu setzen. Es schmiegt sich dem durch Natur Bereiteten an und negiert entschieden die in der Prosa der Welt angesagte zweiwertige Härte des Digitalisierungszeitalters.

Die zwei Seiten des Andy Goldsworthy

Zunächst wirkt der Künstler Andy sehr sympathisch auf den Kinobesucher, wenn er sich sensibel den zarten Details des Naturhaushalts widmet. Er ergänzt ein gestutztes Baumfragment da, wo die Äste waren, hat zugerichtete Holzstäbe anstelle des geraubten Astwerks eingefügt; sie sind sternförmig ausgerichtet, sorgen für die Heilung der Wunden. Der Künstler bietet sich als Heiler der gepeinigten Natur an. Man vermutet den Kultus des Heilens, für den er verantwortlich zeichnet. Später aber wird klar, dass er als Landschaftskünstler auch rigoros in die Natur eindringt, um ihr den eigenen Stempel aufzudrücken. Hat er es aber mit der Macht der Blüten zu tun, so kann er auch sanft vorgehen.

Andy Goldsworthy versucht die künstlerische Form in die gegebene, gequälte Natur einzubringen, die Natur wird Kunst, die Kunst schmiegt sich der Natur an. Aber an anderer Stelle werden auch kraftvoll Steine bewegt, behauen; es wird in den Felsen gesägt, Material entnommen und zugelangt, weit radikaler als mit der Flex im Haushalt oder beim Steinmetz.

Möglich wird dies, weil er auch viel auf Privatgrundstücken arbeitet; auf denen gelten die gesetzlichen Beschränkungen der öffentlichen Räume nicht oder weniger. Dennoch ist es reizvoll zu verfolgen, wie er sein Natur- und Kunstverhältnis regelt, wie er sein Werk zielgenau verrichtet und der Welt übergibt. Es finanzieren überwiegend private Sponsoren den Caterpillar, die Handwerkergruppe und die Steintrennmaschine.

Kunst bewegte immer auch große, monumentale Massen, das entspricht dem Weltbegriff von Kunst, der ein jedes einbegreift oder zumindest daran streift. Im Zentrum des Schaffens Andys steht das Prinzip Vernetzung, selbst wenn es bloß in einer aufwendig geschaffenen Flechtung zum Ausdruck kommt. Er ‚ersetzt‘, wo es nur geht, entwickelt fort, Natur ist bloß die Basis, die ihn zu einer sehr durchgeplanten Erweiterung und Vollendung drängt.


Im Gegensatz zum Großformat der Kunst

Andy ist Nonkonformist, ein sehr eigener Mensch, der sich wohl gerade noch mit seinen mittlerweile schon großen Kindern, die ihm längst nachschlagen, einig weiß. Nebenbei bemerkt: selbst die Kameraführung des Regisseurs Thomas Riedelsheimer bedient sich in der Blätterszene – der Szene, in der Blätter gleich Schiffen im Teich vom Wind bewegt werden – des in der Benutzung von Endgeräten des letzten technischen Stands versierten Sohnes, um die Aufnahmen mit den Blätterschiffen zu garantieren. Neben dem Kamerakran ist es der Remote-Head, der fernsteuert, der Joystick, der das Objekt Blatt im Blick hält, wobei eine Drohne nicht zum Einsatz kommt.

Reizvolle Eindrücke liefert der Film: wie den mit dem Schaf, das von einer Anhöhe den Verrichtungen zuschaut; ein Tuch zeigt später Abdrücke von trappelnden Schafen. Dann auch die Arbeit mit den gefärbten Blättern (grün, gelb), auf Rinnstein geklebt wie eine Tapete, sorgfältig diesem nachfahrend (die Kinder arbeiten daran). Der Rinnstein ist nur der Anfang, es geht die Treppe hoch und weiter über mehrere Treppen, über etliche Gehsteige. Das Band ist das Zeichen des symbolischen Tritts in die Umwelt; es hadert mit der Unerträglichkeit der Stadt als künstlicher Oberfläche, unter der der Strand, das ehemalige Biotop, eine über Zeitalter geformte Landschaft, untergepresst auf Wiedereröffnung warten.

In einer anderen Szene verlaufen über mehrere städtische ‚Artefakte‘ durchgängig Sprünge, als wollte der ursprüngliche Humus das alles wiederaufsprengen. Die Differenziertheit und Vielfalt der Allnatur liegt darunter verborgen. Im Hintergrund: eine nicht auszutreibende Sehnsucht nach Herstellung der Dritten Natur, die Versöhnung von Natur und Zivilisation.

Auch Andy hat sich auf die bewegten Bilder zubewegt. Das kommt augenscheinlich effektvoll zum Ausdruck in der Szene, in der er lädiert aus einer Begleitgrünhecke in Sinderby, England, ausbricht. Sein Thema aber sind die Natur-Kultur-Arrangements. In die Natur wird ‚eingeschrieben‘, z.B. Bänder, Streifen, mäandernde Steinskulpturen, die Traces markieren, teils schon vorhanden und ergänzt bis hin zu wahren Monumenten aus Stein oder jenen, die der schwere Stein ergänzt, etwa mit einem Eingangsportal: eine kolossal hochwertige Zarge, die in eine Baumkathedrale aus domartigem Wurzelwerk geleitet. Übrigens, es will scheinen, als ob der umgebende Urwald Andy Goldsworthy all das böte, wonach er als Künstler strebt.

Wir reisen mit in den Park in San Francisco, nach Neu-England, in die Provence, selbstverständlich auch nach Schottland, wo die Felder schon seit eh und je von großzügigen Lineaturen der Äckereinfassungen durchzogen sind. Dort situiert der Film auch die Abschlussszene, in der Andy sich am Rand eines steilen Abfalls gegen den Sturmwind legt (legt!), der ihn tatsächlich hält, aber immer mit der Gefahr verbunden, doch wirklich in den Abgrund zu stürzen. Soweit will der Künstler gehen, den es in Grenzbereiche der Welt drängt, gegen die selbst schöpfende Götter machtlos sind.

Im Kontrast zur Feinarbeit: Schwere Massen

Der Film zeichnet nach, wie auch große, schwere Massen bewegt, rangenommen und bearbeitet werden. An diesen Stellen wird das Gefühl beim Zuschauer ungut. Doch scheut Andy, den noch am Bruch befestigten Stein zu bearbeiten, das erscheint ihm als zu heikel. Den Abbruch, den er nutzt, lässt er gezielt von Handwerkern bearbeiten. Durchaus eindrucksvoll, aber ökologisch hochproblematisch ist die Steinwanne, die gar zu sehr als Wunsch eines potenten Finanziers erscheint, der sich die Wanne in der freien Landschaft gönnt. Die profilierten Kopf-Body-Höhlungen im Stein, die eine frühere Szene zeigte, überzeugten mehr. Sie erscheinen unpersönlich, es sind verschiedene Köpfe, die Humanpräsenz andeuten, dadurch entstehen Orte der Erinnerung an Sein, das war, an Tod und Abwesenheit.

‚Habe Spuren hinterlassen‘, ‚bewege mich durch die Zeit‘, ‚working at a tree für the rest of my life‘; der Baum, das Artefakt, aber bleibt (wenn auch meine künstlerische Zutat vergeht). Der Künstler Andy Goldsworthy rückt zwar nicht ganz unproblematisch in die Landschaft ein, um ihr sein Label aufzudrücken, wobei Gönner daran nicht unschuldig sind, indes sind die Aktionen, die mit Bäumen, Blüten, Blättern, Pollen, Ästen und Zweigen begangen werden die, die am stärksten die Erinnerung einnehmen, ebenso wie die Skulpturen aus geschichtetem Stein. In einer Szene rüttelt er einen Baum so stark, dass er selbst und der große Kreis um den Baum herum völlig mit Pollen überstäubt werden. Es ist, neben Arrangements, die Szene, die am stärksten vermittelt, wie anders Künstler im Unterschied zum Normalo ticken, dem schon große Blütenblätter im Hof Abwehr bereiten.

Foto: LIW-Plakat

Info:
Film ‚Leaning into the Wind – Andy Goldsworthy‘, Starttermin 14. Dezember 2017 (1 Std. 37 Min.). Von Thomas Riedelsheimer, mit Andy Goldsworthy, Produktionsland Deutschland