Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, ist ein bekanntes Zitat aus dem Gedicht STUFEN von Hermann Hesse, das auch für diese Pressekonferenz galt, auf der dieses Festival von den Veranstaltern,der Kinothek Asta Nielsen, Heide Schlüpmann und Karola Gramann mit weiteren Partnern angekündigt wurde.
Denn obwohl wir uns für kinoerfahren halten und auch in der Filmgeschichte zu Hause fühlen, war uns der Name ELVIRA NOTARI völlig unbekannt. Das änderte sich schnell und wird sich auch für andere ändern, die sich auf eine Filmfrau einlassen, die zu ihrer Zeit (1875 – 1964) seit 1900 nach und nach Filmdrehbücher schrieb, die Skripte verfilmte, diese Filme auch noch produzierte – aber dann noch ihre ganze Familie miteinspannte: den Ehemann als Kameramann, den Sohn als Jungschauspieler und auch eine der zwei Töchter. Nach der zweiten wurde dann der DORA-Filmverleih benannt und der Höhepunkt von Notaris Filmproduktion gab es nach dem ersten Weltkrieg in den Zwanziger Jahren, was die italienischen Faschisten beendeten.
Heide Schlüpmann schilderte ihren Eindruck von A SANTANOTTE , den Film von ELIVRA NOTARI aus dem Jahr 1922, den sie zusammen mit Karola Gramann im Jahr 2008 auf der Tagung WOMAN IN SILENT CINEMA in Stockholm sah. Die Begeisterung über diese Entdeckung strahlte ihr auch die neun Jahre danach aus den Augen. Weniger begeisternd war dann ihre Feststellung: „doch es erwies sich, daß bitterwenig von der Arbeit dieser einzigartigen neapolitanischen Filmemacherin erhalten ist.“
Sie war die erste Filmemacherin Italiens, nicht in Neapel geboren, aber genau richtig an einem Ort, der sich so in der Geschichte verankert fühlt und gleichzeitig ein Ort ist, an den man kommt, aber vor allem, von dem man geht. Denn hier in Neapel sind im 19. Jahrhundert und auch zum Beginn des 20. Jahrhunderts die Riesendampfer mit den Auswanderern, meist Italiener aus dem Süden und eben Neapel in das gelobte Land Amerika aufgebrochen. Das legte zum einen nahe, daß dieses, Elvira Notari gewidmete Filmfestival, den inhaltlichen Schwerpunkt auf PASSAGE legt, auf das Kommen und Gehen, auf das Flüchtige, das so gerne festgehalten werden möchte, auf das Weggehen aus wirtschaftlichen Gründen genauso wie auf Flucht und Vertreibung – und eben auf das gelobte Land, das Einwandern in den USA.
Wir alle wissen um Klein Italy in New York und auch um all die Mafia-Filme, die zeigen, wie stark die dann kriminalisierte Verbindung zur alten Heimat blieb und welche nationalen Seilschaften in den USA sich zu wirtschaftlichen Monopolen entwickelten. Die Sehnsucht nach der alten Heimat blieb und zu allem künstlerischen Überlegungen der Notari, von denen noch zu sprechen sein wird, war sie eine exzellente Geschäftsfrau, die verstand, wie sehr ihre langen Spielfilme und kurzen Dokumentarfilme, die alle auf der Musik als tragendem Element aufgebaut sind, das Heimweh der Italiener in Amerika nutzen konnte, weshalb die Filme direkt nach der Uraufführung in Neapel sofort in Kopien in die USA verschifft wurden und den Erfolg hatten, den man erwarten durfte. Das Amerikageschäft lief noch gut, als sie längst von Mussolinis Rutenträgern zum Schweigen gebracht worden war.
Ihre Zahlen sind beeindruckend, denn es ist mal von 70, dann von 60, dann wieder noch von mehr Spielfilmen die Rede und mal von hundert, dann sogar dreihundert Dokumentarfilmen die Rede. Diese überraschende Zahl klärt sich schnell. Denn diese kluge, innovative und unternehmungslustige Produzentin machte den italienischen Auswanderern ihr Heimweh erträglicher, in dem sie anbot, über deren Heimatort einen Kurzfilm zu drehen, wo die wichtigsten Sehenswürdigkeiten, auch die Leute, zu sehen waren. Ist das nicht eine tolle Idee? Und sie wurde von vielen aufgegriffen, die dann auch sozusagen die Drehbücher vorgaben, denn sie schrieben auf, was sie gerne in dem von ihnen gekauften und von Elvira Notari produzierten Filmen sehen wollten.
Ganz wichtig ist Folgendes: Es geht um Neapel! Vielleicht hätten in keiner anderen italienischen Stadt solche Filme gedreht werden können, die die Straßenkunst und Volksmusik, den Tanz und die Liebe im Melodram zu einem Leinwandepos schmieden. Über den Einfluß der Musik, hier des Gesangs, wird noch eingegangen. Aber erst einmal geht es uns um Neapel. Was war da? Natürlich, etwas Sensationelles, auf der aber auf der Pressekonferenz und sicher auch dem ganzen schönen Festival nicht die Rede sein wird: ELENA FERRANTE mit ihrer vierbändigen NEAPOLITANISCHEN SAGA, deren Teile derzeit Band für Band im Suhrkamp Verlag erscheinen.
All das, was im Rahmen des Festivals über dir besondere Rolle von Neapel geschrieben wurde, kann man in den Romanen kraftvoll nachvollziehen. Das Volk, ob Arbeitermilieu oder die Aufgestiegenen, die Frauen und die Männer und die Geschichten, die sie miteinander und vor allem gegeneinander machen, das ist ein eigener Kosmos, den wohl, so klingt das bisher, auch die Filme der Notari ausmacht.
Sehr wenige sind noch erhalten. Aber das Festival bringt die beiden langen Spielfilme und einige kurze, sehen Sie im nächsten Artikel das Programm an.
Foto: ©
Info:
Festival vom 14. bis 17. Dezember 2017
Neben den Filmen Vorträge, die in englischer Sprache
Veranstaltungsort Pupille – Kino in der Uni, Goethe Universität Frankfurt, Studierendenhaus Campus Bockenheim
Adresse: Mertonstraße 26-28, 60325 Frankfurt am Main
Telefon: 069 79828976
Weiterhin gibt es im Anschluß an das Filmfestival ein internationales wissenschaftliches Symposium ECHOES OF PARTHENOPE. ELVIRA NOTARI‘S CINEMA AND NEAPOLITAN POPULAR CULTURE vom 17. bis 19. Dezember 2017 an der Frankfurter Universität
http://www.kinothek-asta-nielsen.de/Notari/
Es gibt eine wertvolle, von der Kinothek herausgegebene kleine Schrift, die Sie unbedingt erwerben sollten, weil die Beiträge das, was Sie ahnen, deutliche ausdrücken können:
Hg. Heide Schlüpmann, Fabian Tietke, Transito. Elvira Notari - Kino der Passage, Kinothek Asta Nielsen 2017
ISBN 987-3-00-058492-3
Das Festival wird gefördert durch Kulturfonds Frankfurt RheinMain, HessenFilm und Medien, Frankfurter Stiftung: Maecenia für Frauen in Wissenschaft und Kunst und das Italienische Generalkonsulat in Frankfurt am Main. Partner sind ZDF/ARTE, Pupille – Kino in der Uni und das Institut für Theater-, Film und Medienwissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Über die Kinothek Asta Nielsen e.V.
Die Kinothek Asta Nielsen e.V. wurde 1999 in Frankfurt am Main gegründet. Sie widmet sich in besondere der Filmarbeit von Frauen in Geschichte und Gegenwart und deren Sichtbarmachung im Kino sowie der Aufführung von Filmen in ihren Originalformaten. Dieses Jahr wurde der Verein mit dem Binding-Kulturpreis 2017 ausgezeichnet. Seine Mitbegründerinnen Karola Gramann und Heide Schlüpmann erhielten einen der höchstdotierten Kunstpreise Deutschlands. Verliehen wurde der mit 50.000 Euro dotierte Binding-Kulturpreis am 2. September im Frankfurter Römer.
www.kinothek-asta-nielsen.de