Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - „Du hast den Krieg nicht angefangen“, wird die ältere Janina Duszejko (Agnieszka Mandat ) von einem ihrer wenigen Freunde getröstet. Die unangepasste und von den Dorfbewohnern verachtete Frau, die viel in der Welt herumgekommen ist, lebt abseits des kleinen Dorfes, nahe der polnisch-tschechischen Grenze. Mit ihrer anarchistischen aber barmherzigen Lebenshaltung passt die Vegetarierin nicht in die scheinbar heile Dorfgemeinschaft.
Im Ort herrschen willkürlich die, in einer Jäger-Clique zusammengeschlossenen Honoratioren. Sie quälen Tiere, halten sich an keine Jagdregeln und behaupten mit Korruption und Erpressung ihre Macht. Unter der gediegenen Oberfläche gedeihen Glücksspiele und Prostitution.
Als Duszejko ihre geliebten Hunde begraben will, die wahrscheinlich von den Jägern ermordet wurden, schnauzt der Pfarrer sie an: „Tiere wie Menschen zu behandeln ist Blasphemie!“ Obwohl „Tiere keine Seele“ haben, wie der Priester jägerfreundlich von der Kanzel verkündet, schlagen sie eines Tages zurück: Nach und nach werden der Polizeipräsident, der Chef einer Fuchsfarm, der Bürgermeister und andere Jäger offenbar von Tieren getötet. Die Spuren an den Leichen verweisen darauf, dass sie von Käfer zerfressen oder von Rehen und anderen Tiere zerbissen wurden. Für Duszejko ist klar, dass sich die misshandelten Kreaturen an ihren Peinigern rächen, jedoch die meisten Dorfbewohner halten sie für verrückt.
Mit düsteren, gelegentlich auch sonnigen Bildern - wie inspiriert von der romantischen deutschen Malerei - erzählt die bekannte Filmemacherin Agnieszka ihre spannende Geschichte. Der gelegentlich sogar humorvolle Streifen lässt sich keinem Genre zuordnen und nimmt überraschende Wendungen. Bis zum märchenhaften Schluss ist „Die Spur“ mal Heimatfilm mal Krimi, aber auch Fantasyfilm oder Ökothriller. Die Regisseurin will sich bewusst nicht festlegen (lassen), dennoch verliert sich der Streifen nicht in Beliebigkeit, ist kein wahlloser Genre-Mix. Den Alfred-Bauer-Preis als Berlinale-Bär erhielt sie zu recht für „einen Spielfilm, der neue Perspektiven der Filmkunst eröffnet“, so die Jury.
Hollands großartige Tableaus sind mit verstörender, dramatischer Musik unterlegt, einige Rückblenden zeigen Menschen des Dorfes in früheren Lebenssituationen. Die Geschichte wird fast ausschließlich aus der Perspektive Duszejkos erzählt, dennoch ist es kein Film über die Situation älterer Frauen, wie Holland auf der Pressekonferenz der Berlinale klarstellte: Sie mache auch keine Propaganda gegen das Jagen oder für eine vegetarische Lebensweise: „Ich will Geschichten erzählen, die mir wichtig sind, und zwar mit meiner Sensibilität und Fantasie.“
„Die Spur“ zeigt wie in einem Labor die chauvinistischen und frauenfeindlichen Machtstrukturen in einer hermetisch abgeschlossenen Gemeinschaft. Die misshandelten oder gejagten Tiere stehen metaphorisch für die Schwächsten in dieser Gesellschaft. Auch wenn der Film in einer abgelegenen Region Polens spielt, ist sein Thema allgemeingültig und politisch hochaktuell.
Fast ein Jahr nach seiner Uraufführung auf der Berlinale kommt der eigenwillige polnische Film „Die Spur“ nur in einige Kinos, obwohl er einen silbernen Bären gewann und auch für einen Oscar nominiert wurde.Die 1981 aus Polen nach Frankreich emigrierte Holland ist eine international arbeitende Regisseurin. Mehrere ihrer Filme wurden, wie jetzt „Die Spur“, bereits für den Auslands-Oscar nominiert; zuletzt drehte sie zwei Teile für die Serie „House of Cards“.
Foto: © Verleih Film Kino Text
Info:
Pokot (Die Spur), Polen, 2017
Regie: Agnieszka Holland
Regiemitarbeit: Kasia Adamik
Drehbuch: Agnieszka Holland, Olga Tokarczuk
Buchvorlage: Olga Tokarczuk, Der Gasang der Fledermäuse
Darsteller: Agnieszka Mandat, Wiktor Zborowski, Patricia Volny, Jakub Gierszał, Miroslav Krobot
Kamera: Jolanta Dylewska, Rafal Paradowski
Schnitt: Pavel Hrdlicka
Musik: Antoni Lazarkiewicz
Produktion: Studio Filmowe Tor, Heimatfilm, Nutprodukce, Chimney group, Nutprodukcia
Länge: 128 Minuten
Als Duszejko ihre geliebten Hunde begraben will, die wahrscheinlich von den Jägern ermordet wurden, schnauzt der Pfarrer sie an: „Tiere wie Menschen zu behandeln ist Blasphemie!“ Obwohl „Tiere keine Seele“ haben, wie der Priester jägerfreundlich von der Kanzel verkündet, schlagen sie eines Tages zurück: Nach und nach werden der Polizeipräsident, der Chef einer Fuchsfarm, der Bürgermeister und andere Jäger offenbar von Tieren getötet. Die Spuren an den Leichen verweisen darauf, dass sie von Käfer zerfressen oder von Rehen und anderen Tiere zerbissen wurden. Für Duszejko ist klar, dass sich die misshandelten Kreaturen an ihren Peinigern rächen, jedoch die meisten Dorfbewohner halten sie für verrückt.
Mit düsteren, gelegentlich auch sonnigen Bildern - wie inspiriert von der romantischen deutschen Malerei - erzählt die bekannte Filmemacherin Agnieszka ihre spannende Geschichte. Der gelegentlich sogar humorvolle Streifen lässt sich keinem Genre zuordnen und nimmt überraschende Wendungen. Bis zum märchenhaften Schluss ist „Die Spur“ mal Heimatfilm mal Krimi, aber auch Fantasyfilm oder Ökothriller. Die Regisseurin will sich bewusst nicht festlegen (lassen), dennoch verliert sich der Streifen nicht in Beliebigkeit, ist kein wahlloser Genre-Mix. Den Alfred-Bauer-Preis als Berlinale-Bär erhielt sie zu recht für „einen Spielfilm, der neue Perspektiven der Filmkunst eröffnet“, so die Jury.
Hollands großartige Tableaus sind mit verstörender, dramatischer Musik unterlegt, einige Rückblenden zeigen Menschen des Dorfes in früheren Lebenssituationen. Die Geschichte wird fast ausschließlich aus der Perspektive Duszejkos erzählt, dennoch ist es kein Film über die Situation älterer Frauen, wie Holland auf der Pressekonferenz der Berlinale klarstellte: Sie mache auch keine Propaganda gegen das Jagen oder für eine vegetarische Lebensweise: „Ich will Geschichten erzählen, die mir wichtig sind, und zwar mit meiner Sensibilität und Fantasie.“
„Die Spur“ zeigt wie in einem Labor die chauvinistischen und frauenfeindlichen Machtstrukturen in einer hermetisch abgeschlossenen Gemeinschaft. Die misshandelten oder gejagten Tiere stehen metaphorisch für die Schwächsten in dieser Gesellschaft. Auch wenn der Film in einer abgelegenen Region Polens spielt, ist sein Thema allgemeingültig und politisch hochaktuell.
Fast ein Jahr nach seiner Uraufführung auf der Berlinale kommt der eigenwillige polnische Film „Die Spur“ nur in einige Kinos, obwohl er einen silbernen Bären gewann und auch für einen Oscar nominiert wurde.Die 1981 aus Polen nach Frankreich emigrierte Holland ist eine international arbeitende Regisseurin. Mehrere ihrer Filme wurden, wie jetzt „Die Spur“, bereits für den Auslands-Oscar nominiert; zuletzt drehte sie zwei Teile für die Serie „House of Cards“.
Foto: © Verleih Film Kino Text
Info:
Pokot (Die Spur), Polen, 2017
Regie: Agnieszka Holland
Regiemitarbeit: Kasia Adamik
Drehbuch: Agnieszka Holland, Olga Tokarczuk
Buchvorlage: Olga Tokarczuk, Der Gasang der Fledermäuse
Darsteller: Agnieszka Mandat, Wiktor Zborowski, Patricia Volny, Jakub Gierszał, Miroslav Krobot
Kamera: Jolanta Dylewska, Rafal Paradowski
Schnitt: Pavel Hrdlicka
Musik: Antoni Lazarkiewicz
Produktion: Studio Filmowe Tor, Heimatfilm, Nutprodukce, Chimney group, Nutprodukcia
Länge: 128 Minuten