Bericht über das 39. Max Ophüls Festival Saarbrücken
Kirsten Liese
Berlin (Weltexpresso) - Fernab von der Dorfgemeinschaft, die sie beargwöhnt und meidet, lebt Albrun alleine in einer Alpenhütte. Oft wird sie belästigt und bedrängt, wenn sie mit ihrem Baby und ihren Ziegen durch die Berge zieht. Aber einmal, als sie von bösen Buben schikaniert wird, jagt eine andere Frau die Strolche davon. Es sieht so aus, als würde sie zu der Ausgestoßenen halten, aber der Eindruck trügt. Eine erneute Begegnung nimmt eine bedrohliche Wandlung.
Der im 15. Jahrhundert angesiedelte Film „Hagazussa“ bescherte dem 39. Saarbrücker Max Ophüls Festival einen der ausgefallensten Beiträge im Wettbewerb. Langsam, leise und ungemein düster schildert der Österreicher Lukas Feigelfeld, wie die Isolation und die Anfeindungen der sie zur Hexe erklärenden Kirche die Protagonistin langsam in den Irrsinn treiben und zu einer grauenvollen Tat. Die ohne Fördermittel finanzierte, mit Naturbildern von archaischer Wucht auch optisch beeindruckende Hochschul-Abschlussarbeit markiert auch einen Trend im jungen deutschsprachigen Kino: Auffallend viele Produktionen dieses Festivaljahrgangs rankten sich um verhaltensgestörte und psychisch deformierte junge Frauen und Mädchen, darunter mit „Jenseits des Spiegels“ auch ein bemerkenswert stilsicher inszenierter deutscher Horrorfilm.
Generell präsentierte sich das Autorenkino, in Saarbrücken stark repräsentiert von weiblichen Kreativen, von weitaus stärkerer Seite als im Vorjahr. Nur blieben die herausragenden Beiträge auf der Preisverleihung unbeachtet, die Jury, der unter anderem der deutsche Regisseur Christian Schwochow angehörte, zeichnete die falschen aus.
Dem reiflich überbewerteten Erstlingswerk „Blue My Mind“, für das die Schweizerin Lisa Brühlmann den Regiepreis des Saarländischen Ministerpräsidenten gewann, lässt sich jedenfalls noch nicht einmal eine besondere Originalität bescheinigen.
Unter Dutzenden von Coming-of-Age-Geschichten über Mädchen in der Pubertät, die sich von ihren Eltern nicht verstanden fühlen, hebt sich diese nur mit der abstrusen körperlichen Verwandlung der Heldin in eine Meerjungfrau hervor. So eine kuriose Mutation hat es im Kino allerdings auch schon gegeben, denkt man an die russische Zoo-Angestellte, der in Ivan Tverdovskiys Film „Zoologiya“ eines Tages ein Schwanz wächst.
Besonders überschätzt wurde die mittelmäßige, den Ansprüchen des Fernsehens genügende deutsche Wohlfühlkomödie „Landrauschen“, die neben dem Max Ophüls Preis für den besten Film auch noch den Drehbuchpreis gewann. Die Geschichte zweier Freundinnen, die in der schwäbischen Provinz gegen bigotte, homophobe Spießer rebellieren, erinnert an die schon ältere Fernsehproduktion „Kommt Mausi raus?“, gewinnt aber nichts an Gedanken und Aspekten dazu.
Welten liegen zwischen diesem etwas braven Plädoyer für kulturelle Vielfalt und der „Reise nach Jerusalem“, dem reifen Debüt der in Berlin lebenden Italienerin Lucia Chiarla. Einmal nicht aus der Perspektive einer kinderreichen Familie der Unterschicht, sondern bewegend am Beispiel einer intelligenten Singlefrau erzählt dieses Drama schonungslos von Armut und Harzt IV und davon, was es heute heißt, wider Willen arbeitslos zu sein und im großen gesellschaftlichen Anerkennungsspiel ausgemustert zu werden.
Gesegnet mit großer Frustrationstoleranz wird die Protagonistin, die einen Job als Online-Redakteurin sucht, nicht müde, trotz anhaltender Absagen täglich Hunderte von Bewerbungen zu schreiben und lässt sich selbst dann nicht hängen, als das Geld kaum noch zum Leben reicht. Die großartige Eva Löbau durchlebt den harten Existenzkampf so menschlich, dass man gar nicht anders kann als mit ihr zu leiden, auch wenn sie sich durch den Abbruch eines vom Amt verordneten Bewerbungstrainings selbst verschuldet noch tiefer in ihre prekäre Situation hineinreitet. Löbau lässt uns empfinden, dass es stets auch um die eigene Würde geht, wenn Alice an der Ladenkasse ihre letzten Münzen zusammenkratzt, Ausreden erfindet, um nicht als Loserin und Bettlerin dazustehen, vor dem Spiegel Finten für Vorstellungsgespräche einstudiert oder einmal in ihrer Ohnmacht verzweifelt am Bankautomaten ausflippt. Wie mit jeder Bewegung und jedem Blick die von Notlügen und Zweckoptimismus aufrecht erhaltene Fassade zusehends mehr bröckelt, erscheint noch um einiges spannender und bewegender als die psychischen Befindlichkeiten eines Polizisten der österreichischen Sondereinheit Wega, denen sich der in Saarbrücken mit dem Preis für den gesellschaftlich relevanten Film ausgezeichnete Beitrag „Cops“ verschreibt.
Mit Christine Reponds dicht inszeniertem, feinfühligen Kammerspiel „Vakuum“, das mit einer Krise zwischen Eheleuten an Ingmar Bergmann erinnert, in der Tonart aber deutlich leiser bleibt, war ein weiteres aufwühlendes intimes Drama zu erleben, das die Juroren befremdlicherweise nicht zu würdigen wussten. Als eine Frau, die kurz vor ihrem 35. Hochzeitstag erfährt, dass sie an Aids erkrankt ist und sich bei ihrem Mann unwissend infiziert hat, ist die mit subtilen Blicken und Gesten brillierende Barbara Auer hier in einer ihrer dankbarsten, größten Rollen zu erleben.
Foto:
Hagazussa © Verleih