Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. Februar 2018, Teil 9
Kirsten Liese
Berlin (Weltexpresso) - Ihre Augen rollen wild umher, der Kopf ruckelt, die Lippen presst Resi angestrengt zusammen, wenn sie musiziert. Die junge Frau mit den ekstatischen Gebärden ist eine berühmte blinde Pianistin am Wiener Hof anno 1777.
Aber Achtung hat niemand vor der 18-Jährigen. Ihre Eltern präsentieren sie als Schaustück, die Soiree-Gäste sehen in ihr einen Freak. Denn in einer auf Konkurrenz und Pomp gerichteten Gesellschaft ist jede Besonderheit etwas wert.
Die Österreicherin Barbara Albert erzählt in ihrem Film „Licht“ nach Alissa Walsers Roman „Am Anfang war die Nacht Musik“ eine Episode aus dem Leben der 1759 geborenen Pianistin, Sängerin, Komponistin und Musikpädagogin Maria Theresia von Paradis. Es ist die subtile Geschichte einer Emanzipation.
Seit sie in früher Kindheit erblindete, leidet die Mozart-Zeitgenossin schwere körperliche Qualen. Trotzdem gewinnt sie im Laufe des Films immer mehr an Selbstbewusstsein. Maria Dragus, die ihre Augen so verdreht, dass man sie für eine echte Blinde halten könnte, ist die ideale Darstellerin dieser jungen Frau, die zahlreiche Ärzte schmerzreich mit Quecksilber und Schwefel behandelt und schließlich für unheilbar erklärt haben.
Nun könnte allenfalls noch ein Alternativmediziner wie Franz Anton Mesmer ein Wunder vollbringen, der in Wien mit seinem „animalischen Magnetismus“ von sich reden macht. Die Kur in seinem Palais, die die Eltern ihr verordnen, bedeutet für Resi jedoch eine Chance. Im Falle eines Erfolgs könnte sie sich von ihren gesellschaftlichen Zwängen befreien.
Die hohen Erwartungen werden nicht enttäuscht. Tatsächlich scheint Mesmers Behandlung anzuschlagen.
Der Film ergründet das Mysterium der rückkehrenden Sehkraft psychologisch schlüssig, belegt es aber nicht mit Fakten. Er deutet die Blindheit als eine von einem Kindheitstrauma herrührende Erkrankung, dies allerdings weniger konkret als mit subtilen Andeutungen.
Dagegen steht Mesmer als einfühlsamer Psychologe, der seelische Wunden zu heilen weiß. Ob dieser Mann tatsächlich ein Vorläufer des berühmten Psychoanalytikers Siegmund Freud war, als den die Regisseurin ihn sehen möchte, ist nicht belegt. Innerhalb der Musikwissenschaft gibt es eher die Auffassung, dass er als Scharlatan in das Leben der realen Maria Theresia trat.
Fairerweise sei der Regisseurin zugute gehalten, dass sie diese Möglichkeit nicht gänzlich ausschließt. Denn letztlich bleibt auch im Film offen, ob die Protagonistin tatsächlich wieder sieht.
Wahrscheinlicher aber erscheint es, dass Franz Anton Mesmer, den Devid Striesow großartig als eine ambivalente, komplexe, undurchsichtige aber auch durchaus sympathische Persönlichkeit anlegt, Resi nicht täuscht.
Den Heilungsprozess scheint allerdings weniger die von ihm beschworene Kraft eines „Fluidums“ zu bewirken, als sein Mitgefühl. Instinktiv bietet er Maria Theresia die Freiräume zur persönlichen Entfaltung, die ihre Eltern ihr verwehrt haben.
Doch unter dem wachsenden Sehvermögen leidet zusehends Resis Klavierspiel. Immer häufiger schleichen sich falsche Töne ein – zum Leidwesen des Papas.
„Licht“ ist ein feiner, sinnlicher, mit prächtiger historischer Ausstattung auch optisch ansprechender Film, der, wiewohl die Heldin nach der gescheiterten Selbstbefreiung erneut erblindet, nicht tragisch endet.
Die verzopfte adlige Gesellschaft, die Regisseurin Barbara Albert bisweilen in ihrer affektierten Bösartigkeit mit zynischen Dialogen überzeichnet, kann die starke Frauenpersönlichkeit in ihrem starken Drang nach einem selbstbestimmten Leben nicht aufhalten. Als angehende Komponistin wird sie zu einer Vorreiterin der Moderne. In der letzten Einstellung spielt sie eines ihrer ersten eigenen Stücke, eine Fantasie in G-Dur.
Foto:
© Verleih
Info:
BESETZUNG
Maria Theresia Paradis Maria Dragus
Franz Anton Mesmer Devid Striesow
Joseph Anton Paradis Lukas Miko
Maria Rosalia Paradis Katja Kolm
Agnes Marisa Riegner
Mesmers Ehefrau,
Maria Anna von Posch Johanna Orsini-Rosenberg
Köchin Johanna Stefanie Reinsperger
Jungfer Ossine Susanne Wuest
Graf Pellegrini Christoph Luser