Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 15. Februar 2018, Teil 3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Gute Filme beurteilt der Zuschauer nach seinem Vergnügen, nach seiner Erschütterung (Katharsis), nach ihrer interessanten Machart, nach ihren Themen, die ihn interessieren oder nicht – und nach ihrem Wahrheitsgehalt, wobei ein Spielfilm als Fiktion auch ganz unwahrscheinlich sein darf – und ‚Wahrheit und Wirklichkeit‘ nur vom Dokumentarfilm erwartet werden darf.
Hier aber kommt alles zusammen: DIE GRUNDSCHULLEHRERIN vermittelt anschaulich und interesserweckend das Leben einer Dreißigerin, die in ihrem Beruf aufgeht, wobei man dann gerne von Berufung spricht, und in ständiger Sorge um die ihr anvertrauten Kinder, deren psychisches Wohlergehen und er zeigt, wie sie, die Lehrerin, durch intrensische Motivation deren Lernleistungen und intellektuellen Fähigkeiten sowie positives Sozialverhalten steigern kann. Und wie diese Identifizierung – von Überidentifizierung zu sprechen, halte ich für falsch, weil jede Lehrkraft so anfangen müßte – wie also diese Identifizierung ihre andere Lebensaufgabe als alleinerziehende Mutter eines zehnjährigen Grundschulsohnes, der noch dazu in ihrer Klasse sitzt – gibt es bei uns eigentlich nicht – zum Versagen und Fehlschlag werden läßt: denn der Junge will zum geschiedenen Vater und mit diesem ein Jahr nach Japan reisen.
Da sind wir mitten im Film, der wunderbar einfühlsam beginnt. Ja, so ist es, wenn viele Kinder, die einen von zu Hause behütet, oft überversorgt, die anderen eindeutig sozial unterversorgt und nur wenige eine ausgeglichene Balance in den Schulalltag mitbringen. Diese sind es, die zusammen mit der Lehrerin das soziale, das empathische Verhältnis in der Klasse und damit auch den Erfolge des Unterrichts überhaupt möglich machen. Wie es Regisseurin Hélène Angel gelungen ist, so authentische Unterrichtssituationen auf die Leinwand zu bannen, ist ehrlich gesagt eine regelrechte Kunst. Wer wissen möchte, wie ungebändigtes Chaos aussieht, muß sich nur in jede beliebige Grundschulklasse begeben. Und dort kann er auch studieren, was dazu gehört, um des Chaos Herr zu werden, hier: Dame zu werden.
Es ist Florence (Sara Forstier), die unverdrossen den Kampf gegen chaotische Ausgangssituationen aufnimmt und mit Gespür und guten Ideen möglich macht, daß ihre Unterrichtsplanungen auch Wirklichkeit werden. Mit Mitte Dreißig, geschieden und dem Sohn Denis (Alain Cousi) in der eigenen Klasse, gehört sie zu denen, die längst erfahrene Lehrkräfte sind, und dennoch nicht die Utopie einer gewaltfreien und lernzugewandten Schule aufgegeben haben, sondern diese täglich, ja stündlich angehen. Sie wird bald eine der regelmäßigen Überprüfungen von der Schulaufsicht haben und muß davor keine Angst haben.
Die Besonderheit ist nun noch, daß sie in der Zweisamkeit mit ihrem Sohn gewissermaßen in der Schule eingesperrt ist, denn ihre kleine Wohnung ist weiter oberhalb in der Schule, wo nebenan, etwas repräsentativer, auch der Direktor der Schule residiert, als Nachbar aber sehr angenehm. Diese Nähe ist Florence gerade recht, denn sie ist Tag und Nacht mit dem Unterricht und ihren Schülern beschäftigt. Sie hat tolle Ideen, denkt dabei an jeden einzelnen Schüler, von denen manche eine besondere Motivation oder Fragestellung brauchen. Ob daran, daß Schule für sie Ein und Alles ist, die Ehe zerbrach? Zum Thema wird das nicht, aber zunehmend empfindet der Zuschauer diese so positive Leidenschaft der Lehrerin für ihre Schüler auch als einseitig, denn diese Frau hat überhaupt kein Privatleben, keine Liebschaft. Nix. Spätestens, als ihr Sohn opponiert, der nur noch ihr nicht mal besonders beachteter Schüler ist, wird allen – Zuschauer und Florence – klar, daß hier etwas aus dem Lot geraten ist.
Doch schon zuvor konnte sie sogar mit ihrer pädagogischen Aufgabe nicht mehr klar kommen. Jeder kennt in der Schule die Schüler, die destruktiv alles kaputtmachen; meist spielt deren Unterbewußtes so gut mit, daß sie sich Schwachstellen beim Lehrer oder dem Unterricht intuitiv aussuchen, an denen sie einhaken und damit den Erfolg, d.h. das Lachen der anderen auf ihrer Seite haben. Hier ist es Sacha (Ghillas Bendjoudi), ein Schüler der Parallelklasse, der seine Schwimmsachen vergessen hatte und in Florences Unterricht gesteckt wird. Und der setzt sich neben Denis. Der nun nimmt wahr, wie der ungepflegte Junge stinkt und sagt das auch laut. Sacha hat sein Leben lang alle Demütigungen mit Gewalt beantwortet. Es geht also der Kampf mitten im Unterricht los.
Nein, mehr erzählen wir jetzt nicht, obwohl es ab jetzt besonders spannend wird. Es geht um Sachas Mutter, die untergetaucht, auf jeden Fall nicht erreichbar ist, deren Exfreund Mathieu (Vincent Elbaz) als Sushibote unterwegs ist, von der Mutter aber als Kontakt angegeben wurde....
Jetzt bündelt sich alles, das Chaos steigt an, die Lehrprüfung steht vor der Tür und wir wissen genau, hier werden Probleme gelöst und am Schluß wird alles gut.
Weder kitschig, noch überladen, sondern genau mit der Portion Mut und Zuversicht, ohne die keine Schule und auch keine Beziehung zu haben ist. Sehr empfehlenswert.
Foto:
© Verleih
Info:
BESETZUNG
Florence SARA FORESTIER
Mathieu VINCENT ELBAZ
Denis ALBERT COUSI
Sacha GHILLAS BENDJOUDI
Monsieur Sabatier PATRICK D’ASSUMÇAO
Madame Duru GUILAINE LONDEZ
Marlène Peillard OLIVIA COTE
Laure la stagiaire . LUCIE DESCLOZEAUX