Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Daß dies der erste Film aus Paraguay ist, der je auf einer Berlinale gezeigt wurde, ist das eine, daß die Filmförderung in diesem lateinamerikanischen Staat, der seit dem Putsch im Jahr 2012 gesellschaftlich rückwärts läuft, kaum existent ist und schon gar nicht für einen Film zur Verfügung stünde, der leise, aber deutlich von einem lesbischen Paar erzählt, also auch noch von Frauen! in diesem männerdominierten Land, die für Männer nicht zur Verfügung stehen, ist das andere, das erforderlich machte, daß sechs Länder, auch die Berlinale, bei der Filmfinanzierung halfen.
Daß sich der finanzielle Einsatz gelohnt hat, das machte der warme Beifall nach der erste Pressevorführung deutlich. Ein erstaunlicher Film, dem mit den Mitteln des Kinos das gelingt, was Worte nicht sagen können, weil sie nicht ausgesprochen werden dürfen in dem autoritär und von alten Männern regierten Land, auch gar nicht mehr ausgesprochen werden können von den Menschen, weil das Verschweigen und das Schweigen über allem hängt und Paraguay zu einem Gefängnis der Gedanken und Gefühle macht. Stillstand. Angst. Verharren.
Und genau das zwingt Regisseur und Autor Marcello Martinessi mit Hilfe des Kameramannes Luis Armando Artega auf die Leinwand, die eine verschattete Welt zeigt, dunkel mit wenig Licht, das nur auf den Gesichtern in den Großaufnahmen leuchtet und dann sogar grell wird, wenn wir im Gefängnis mit Chiquita das wirkliche Leben der Leute kennenlernen. Sie muß einsitzen, weil die Verhältnisse in Paraguay möglich machen, daß die Banken bei Darlehen, bei denen nicht schnell genug zurückgezahlt werden kann, die Schuldner ins Gefängnis geworfen werden, wie gerade geschehen.
Daß Geldsorgen bestehen und Chiquita ins Gefängnis muß, bekommen wir von Anfang an mit, wenn wir im großbürgerlichen Haus der Chela (Ana Brun) erleben, wie diese ihre Kristallgläser, ihr Service, ja ihren Eßtisch mit den vielen Stühlen und sonstige Wertgegenstände wie Bilder verkauft – und es trotzdem nicht reicht, Chiquita auszulösen. Diese nun macht sich Sorgen, überhaupt nicht um sich selbst, sondern darum, wie Chela in der Zeit ihrer Abwesenheit zurechtkommen will, denn diese ist lethargisch, potentiell depressiv, antriebsarm, leicht weinerlich, introvertiert und auf jeden Fall ein Mensch, der in anderen das Gefühl hervorruft, helfen zu müssen, was ja leicht darin gipfelt, dem anderen sein Leben vorzuschreiben...
Auf der einen Seite zeigt diese Paarbeziehung alle Momente einer normalen Ehe, wo oft einer die Führungsrolle übernimmt, wie hier Chiquita. Was dazu führt, daß Chela erst recht ihre passive Rolle auslebt, indem sie schon kaum aus dem Bett aufstehen möchte und sich hinten und vorne bedienen und bitten läßt. Wenn sie sich erhebt, sitzt sie vor ihrer Staffelei. So richtig wird nicht klar, ob das ein Beruf, eine Berufung ist oder eine Beschäftigung für eine Höhere Tochter, die allerdings in die Jahre gekommen ist. Und als Klischee wird dann auch die Dritte im Bunde präsentiert, die lebenslustige und attraktive viel jüngere, deutlich aber leicht gestörte rastlose Angy ( Ana Ivanova), die von Beginn an Chela zugewandt ist und mit ihr zu tun haben möchte.
Und als das Ganze etwas werden könnte in Richtung Dreiecksbeziehung, bekommt Chela Angst, weshalb Chiquita in ein Haus zurückkommt, daß äußerlich dem verlassenen gleicht, wo sich aber in der Person der Hausherrin Entscheidendes verändert hat. Das wird gar nicht ausformuliert, noch ausgelebt. Leise, wie der Film begann, wo die Bilder mehr erzählen als die handelnden Personen, so vage, aber deutlich werden wir auch auf die Zukunft verwiesen: Wir sehen nämlich am Schluß, wie sich Chela mit ihrem Auto, dem Mercedes, den Chicita schon verkauft hatte, wortlos heimlich davonmacht und eine fassungslose Chiquita zurückläßt, die bei ihrer Rückkehr aus dem Gefängnis doch schon eine völlig veränderte Chela vorgefunden hatte, was Chiquita derart verunsicherte, daß sie ihren Kontroll- und Vorschreibewahn sogar verstärkte...
Das Auto gehört zu Chelas Befreiung dazu, hat sich sozusagen als Werkzeug ihres mentalen Selbständigwerdens erwiesen. Zwar besitzt sie nicht mal einen Führerschein, aber ihre persönliche Befreiung hängt damit zusammen: Erstmals arbeitet sie nämlich als Fahrerin – und das noch für Geld. Erst bittet die Nachbarin, sie zu ihren Spielpartnerinnen per Wagen zu bringen, dann kommt diese und jene Fahrbitte dazu und als Angy auf die Bühne tritt, wagt sich Chela sogar, auf der Autobahn in entferntere Gebiete zu fahren. Und sie nimmt inzwischen Geld für ihre Fahrdienste, was ihr zuvor als gewesene Höhere Tochter unmöglich gewesen war. Ja, diese Angy spielt dabei eine große Rolle. Denn die attraktive jüngere Frau ist ein frustrierter Mensch, der pausenlos redet und zeigt, daß Jugend und gutes Aussehen sowie Geld allein nicht glücklich machen.
Alles in allem gelingt es Marcelo Martinesi, dieses Frauenleben wie eine Metapher erscheinen zu lassen, diese Elegie Paraguays, dies Dahindämmern von der Menschen in Paraguay, die an der Hand genommen von oben unterdrückt und geleitet werden und doch endlich ihr Leben selbst in die Hand nehmen möchten – und den Staat auch.
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