berl18 hereprDer Wettbewerb der 68. Berlinale vom 15. bis 25. Februar, Film 2a: Pressekonferenz

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Das war endlich einmal eine richtig tolle Pressekonferenz direkt nach der Filmvorführung, weil sowohl die Podiumsteilnehmer etwas zu sagen hatten und die Journalisten endlich einmal richtige Fragen hatten. Das paßte also, zudem der Film als poltitische Aufklärung fungiert und die Themen Freiheit und Sexualität eine Rolle spielen.

Anwesend waren:

Marcelo Martinesi Buch und Regie

Margarita Irún    Chiquita
Ana Brun           Chela
Ana Ivanova       Angy

Christoph Friedel Co-Produzent

Und als die Hauptdarstellerin nach ihren Bezügen zum Film gefragt wird, ist sie so bewegt, daß sie erst einmal nicht sprechen kann. Dann sagt sie: „Ein Kampf für die Freiheit gegen das Schweigen. Wir haben gekämpft gegen das Schweigen. Und fügt hinzu: „Mein Leben ähnelt dem der Chela.“ Da waren auf einmal alle bewegt, weil dieser Film, der fiktiv daherkommt und es ja auch ist, dennoch wahrhaftig von der Existenz von Paraguayerinnen berichtet. Und dann sagt sie sogar: „Die Person die ich spiele, ist mein Leben.“, womit nicht ausgedrückt werden soll, daß sie für den Film Modell stand, sondern daß es dem Autor gelungen ist, mit dieser Figur eine Frau zu definieren, in der sich viele wiedererkennen. Bewegend.

Nachfragen gelten der Haftstrafe. Es werden Schulden in Betrug umgedeutet und als Strafe kommt man ins Gefängnis. Paraguay hilft den Mächtigen. Auch den Banken; hast du bei einer Bank Schulden, erlebst Du das korrupteste Justizsystem auf der Welt. „Chiquita, die so besitzergreifend ist, hat mein Geld ausgegeben“, betont Ana Brun „ und trotzdem besuche ich sie im Gefängnis.“

Man selber denkt dabei, daß das große Haus für Chela auch wie ein Gefängnis wirkt.

Paraguay, das ist die Geschichte des Landes von großen Herren, die die Geschicke ausrichteten, aber die Frauen sind es, die das tägliche Leben gestalten. Eine Geschichte, wo nur die Frauen die Protagonisten sind, was dieser Film erzählt und Männer nur marginal erscheinen, gab es noch nie.

Die kleinen Szenen, die die Handlung unterbrechen, sind im Gesamtkontext wichtig, weil sie viel über den Alltag in Paraguay ausdrücken..

Viele Fragen gelten der Ästhetik des Films und der Kameratechnik. Hauptstilmittel der Kamera ist Unschärfe, ja es bleibt permanent unscharf. „Was wollten Sie damit bezwecken?“, wird nachgefragt. Die Ästhetik des Film ist von sehr vielen Schleiern gekennzeichnet, der Film nimmt sich zurück, es will etwas verdeckt werden. „Wir haben mit den Verantwortlichen für kamera und Beleuchtung gesprochen, daß nur die einzelnen Menschen eine Rolle spielen, der Hintergrund ist unwichtig, soll unscharf sein.

Nie wird Homosexualität direkt gezeigt, nur in der Andeutung, das liegt an Paraguay, wo alles Gleichgeschlechtliche verboten ist Aber auch in einem solchen Land gibt es Zwischentöne, wo im Geheimen agiert wird. Es gibt Homophobie auch bei Frauen, die wie ein Kind aussieht, sespektierlich.

Für Paraguay ist dieser Film wichtig, und daß er auf der Berlinale gezeigt wird, eine Voraussetzung, daß man auf ihn achtet, der ja dazu beitragen möchte, daß sich die Gesellschaft ändert. Auf dieser Pressekonferenz wurde deutlich, daß kaum einer die Vorgänge in Paraguay verfolgt hat, die im Jahr 2012 einen Prozeß der Demokratisierung jäh abbrach. Ich selbst hatte 1981 die Diktatur in Paraguay noch erlebt, gegen die sich aber die Bevölkerung nach und nach erhob und in Wahlen ihren Willen zur Veränderung ausdrückte. So wurde 2008 Fernando Lugo als Präsident Paraguays bestimmt, der versprochen hatte, gegen das Elend und gegen die Korruption im Lande anzukämpfen und den Menschen bessere Lebensbedingungen zu sichern. Lugo wurde im Jahr 2012 einfach durch den Senat abgesetzt, seitdem schlingert es autoritär strukturiert wie eh und je in eine schlimme Richtung.

Die Schauspieler sprachen deutlich: „Wir leben nach dem Staatsstreich in der Hölle“. Wir haben in diesen Ländern überall dieselben Probleme, aber in Paraguay noch stärker.

Wie haben sich die drei Schauspielerinnen den Rollen angenähert oder hat der Regisseur sie angeleitet?, war eine Frage, die direkt zum Film zurückführte. Dennoch wird der politische Aspekt immer wieder angesprochen: ein unsichtbares Land, die Dunkelheit, das Versteckt, für Filmemacher sehr schwer, weil man den Eindruck hat, daß die Gesellschaft weitermachen will, wie es vor 50 Jahren war. Darum ist der Film so dunkelt. In den 70er und 80er Jahren sind in andern Ländern wie Mexiko oder Brasilien wunderbare Filme entstanden. In Paraguay null.

Also die Annäherung an die Rollen: Margarita und Ana haben sich ausgetauscht, wie sollen wir uns hinsetzen, wie sollen wir rauchen, wie uns bewegen, hinlegen, aufstehen, alles was Chiquita ausmacht, dieses graue dunkle Leben. Es ist das, was wir in unserem Land erleben. Die Tatsache daß wir hier sind, ist so wichtig. Angy wird vorsichtig aufgebaut, weil der Film die Geschichte der Frauen erzählt.

In der Geschichte ist nicht wichtig, was man sagt, sondern was man nicht sagt, betont der Regisseur und fügt hinzu: „ Mit Ana Brun zusammenzuarbeiten, war gewaltig. Es gibt eine Gewalt des Schweigens, weil wir alt sind, weil der Zug bereits abgefahren ist. Angy versucht, gegen das Schweigen und daß bald alles vorbei sein soll, anzureden, aber handeln wäre wichtig.“

Also versucht sie, die Gewalt des Schweigens von sich aus totzureden.

Polygamie darzustellen und dies in Bezug auf Frauen, ist schon Freiheit, denn sonst ist es nur der Mann, der so etwas darf. Hier ist es anders, die Frau ist in allen Bereichen der Kunst stark.

Dieser Film streut Salz auf die Wunde. Man muß als Frau in Paraguay so etwa 35 Jahre sein, verheiratet, 2 Kinder haben, das ist das einzige Frauenmodell, das es gibt .

Foto:
Marcelo Martinesi, links außen Ana Ivanova  als Angy, Margarita Irún als Chiquita, rechts Ana Brun als Chela
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