berl18 5dovDer Wettbewerb der 68. Berlinale vom 15. bis 25. Februar, Film 5

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Immer stärker kristallisiert sich im diesjährigen Wettbewerb heraus, daß wir eine Reihe von Filmen erleben, die in ihren Ländern einen historischen Rückblick wagen, der für ihr eigenes Land existentiell ist und für uns nie gekannte Personen und Geschichten mit sich bringen.

Den Namen Dovlatov hatte ich noch nie gehört. Dabei gibt es sogar drei auf Deutsch veröffentlichte Bücher des russischen Literaten Sergei Donatowitsch Dowlatows, der als Sohn eines russischen Juden und einer Armenierin 1941 geboren wurde – und schon 1990 starb: in New York, wohin er 1978 exilierte. Man muß ihn in einem Atemzug nennen mit Joseph Brodsky (1940-1996), der ebenfalls und noch früher – 1972 - aus der Sowjetunion geschmissen wurde, sehr viel bekannter war und 1987 den Literaturnobelpreis erhielt. Heute, so heißt es, seien diese beiden, insbesondere aber Dowlatow die beliebtesten Autoren des 20. Jahrhunderts in Rußland.

Das muß man nicht wissen, wenn man den Film DOVLATOV erlebt, den Alexey German Jr. in Buch und Regie verantwortet, ein kluger, mutiger und mit Mutterwitz gesegneter Filmemacher in der 2. Generation – tatsächlich ist sein unter Stalin drangsalierter Regisseurvater eine der großen vaterländische Filmfiguren Rußlands -, der schon 2015 auf der Berlinale POD ELECTRICHESKIMI OBLAKAMI mit sehr großem Erfolg vorgestellt hatte.

Der neue Film DOVLATOV ist eine Wucht. Wir sind Zeugen des Verlaufs einiger Tage im November 1971 in Leningrad, wo alljährlich die Oktoberrevolution gefeiert wird, wozu Komitees eingerichtet werden, die Feiern in Gang setzen, wo insbesondere Werktätige herausgestellt werden. Wir sind aber auch Zeugen, wie sich Intellektuelle, Künstler und Widerständige im privaten Rahmen treffen und ein Feuerwerk von Geist, Jazz und Swing- Musik, tiefgründigem Gesang und Dichtkunst abbrennen, daß einem klar wird, wie verbürgerlicht wir alle heute leben, mit der Glotze am Abend oder der Nacht. Denn solche Diskussionen, solche Feste, solche sprühenden Attacken, solche Momente, wo im Gespräch die ganze Welt auseinander und neu zusammengesetzt wurde, gab es hierzulande schon in den Sechzigern, was German fürs Jahr 1971 in Leningrad lebendig werden läßt. Absolute Bewunderung, wie er hier das Leichte und das Schwere zusammenbringt und wie er die Wärme und den inneren Zusammenhalt von Menschen, die sich nicht kleinkriegen lassen und miteinander etwas wollen auf der Leinwand zeigen kann. .

Warum man auch, noch vor jedem Inhalt, die Kamera von Lukasz Zai erwähnen muß, hat mit der Qualität der immer wieder wie Gemälde wirkenden Bilder zu tun, die dahingehaucht in zarten Winterfarben eine blasse vereiste Welt zeigen, während die privaten Feiern und Treffen in warmes, gelb-bräunliches Licht getaucht sind – und die Menschen auch. Hier ist das Leben, da draußen ist die kalte Wirklichkeit. Womit wir bei Sergei Dowlatow (Milan Maric) sind. Ein Dichter, wie er im Buche steht. Aber auch ein aussichtsloser Dichter, wie ihn die sowjetischen Medien nicht wollen. Denn er sondert nichts Hohles ab,macht keine staatstragenden Sprüche, sondern läßt in seinen Gedichten und Kurzgeschichten immer eine Spur Ironie mitschwingen. Deshalb wird er nicht in den offiziellen Organen gedruckt und in demütigenden Gesprächen mit Werksleitungen werden seine ‚verbesserten‘ Artikel noch nicht einmal in Werkzeitungen veröffentlicht.

FLIEHEN oder STANDHALTEN ist die ewige Diskussion zwischen ihm und Freund Brodsky, der gar nicht selber entscheiden muß, sondern im Jahr drauf, als 1972 ausgesiedelt wird. Dowlatow dagegen will unbedingt in der Sowjetunion bleiben, nimmt aber den Rat von Kundigen an, sich aus dem Zentrum Leningrad erst einmal zu entfernen und in Tallin in Estland buchstäblich zu überwintern. Doch dies deutet sich im Film nur als eine der Möglicheiten des Weiterexistierens für Dowlatow an. In diesen Leningrader Tagen kommt er auch seiner Ehefrau Lena wieder näher, die Tochter Katya ist dem Vater immer Herzenskind geblieben. Die beiden begleiten ihn auch ins Exil.

Im Film erleben wir in diesen paar Tagen, wie Dowlatow versucht, die von ihm erwartete Leistung in Form von Gedichten und Artikeln zu bringen, wobei ihm sofort beim Versuch, auf die Schreibvorgaben einzugehen, das Vergebliche seines Tuns selber klar wird: das Zurechtgebogene ist einfach schlechte Literatur. Seine Förderer unter den Künstlern und Intellektuellen erwarten etwas anderes von ihm. Eben Literatur. Und die, die ihn zurecht biegen wollen, sind im Film in verschiedenen Funktionen in Betrieben und staatlicher Verwaltung uns vor Augen geholt: Mittelmaß pur.

Bewundernswert die Leistung des Hauptdarstellers, der den gutaussehenden jungen Russen gibt, aber ein Serbe ist, der für diese Rolle erst Russisch lernen mußte. Darüber geriet ich mit einer russischen Kollegin ins Gespräch, die dann tatsächlich sagte, für ihre Generation sei in den Neunziger Jahren Dowlatow so etwas wie ein Halbgott gewesen, den sich russische Schauspieler nicht so leicht zu spielen trauen täten. Vergleicht man Fotografien, so sieht man, daß Milan Maric dem Dichter ähnlich sieht, was auch für den Darsteller des Joseph Brodsky, Artur Beschastny, gilt.

Man kann dem Film in einer kurzen Besprechung nicht gerecht werden. Aber man kann ihn preisen und dringend empfehlen, sich diesen DOVLATOV anzuschauen.

Foto:
© berlinale.de

Info:

Auf Deutsch erschienene Bücher von Sergei Dowlatow
Die Unsren. Ein russisches Familienalbum. (Naši.) S. Fischer, Frankfurt am Main 1990, ISBN 3-10-015308-1
Der Koffer. (Čemodan.) DuMont, Köln 2008, ISBN 978-3-8321-8073-7
Der Kompromiss. (Kompromiss.) Pano-Verlag, Zürich 2008, ISBN 978-3-907576-97-7