berl18 goethe InstitutBerlinale Zusammenfassung 1

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Der vielfach für seine Filme ausgezeichnete Kritikerliebling Christian Petzold ist seit vielen Jahren unter den Regisseuren ein Dauergast auf der Berlinale. Seine Produktionen bescherten schon manch einem Jahrgang dieses Festivals einen Höhepunkt.

Über seinen jüngsten Beitrag „Transit“, der jetzt seine Weltpremiere im Wettbewerb erlebte, gehen die Meinungen dagegen erstmals weit auseinander. Er ist gänzlich anders als seine vorherigen Werke, - ein zwar interessantes, aber gewagtes Experiment, das in abstrusen Ungereimtheiten rätselhaft wirkt und irritiert.

Als Gespenster der Vergangenheit lässt Petzold die Figuren aus Anna Seghers gleichnamigem Roman im heutigen Frankreich auftreten, als spielte es keine Rolle, dass den überwiegend jüdischen Migranten und Antifaschisten, die 1942 aus Europa emigrieren wollten, die Deportation in Konzentrationslager drohte, während die Flüchtlinge in Zeiten der Willkommenskultur unbeschwert in ihrem Exil leben können. Da mag wer zwar einwenden, die Nationalität spiele keine Rolle, Mensch sei Mensch. Und so sieht das vermutlich auch Petzold. Aber dazu hätte es eines unwirklicheren, womöglich surrealen Erzählstils bedurft und keines so realistischen, erscheint doch der alleinige gemeinsame Nenner der Flucht zu dünn. So versteht man nicht, warum der Protagonist Georg (Franz Rogowski), im gegenwärtigen Marseille als Deutscher zum Flüchtling wird. Und was ihn und andere deutsche und jüdische Schicksalsgenossen antreibt, nach Mexiko ausreisen zu wollen.

Georg lernt eine mysteriöse Europäerin (Paula Beer) in den Straßen von Marseille kennen, die auf ihren Mann wartet. Sie weiß nicht, dass er sich umgebracht- und Georg dessen Identität angenommen hat, um seine eigene Emigration zu organisieren. Marie will den Tod ihres Mannes aber auch nicht wahrhaben, als sie es erfährt, und am Ende sind sich weder Marie noch Georg mehr sicher, ob sie überhaupt noch das Schiff nach Mexiko besteigen wollen.

Das Hauptproblem dieses Films liegt darin, dass er wenig anrührt, weil sich das den Roman bestimmende Klima der permanenten Angst und Bedrohung nicht vermittelt. Die weißen Polizeiautos, die hier immer wieder mit Sirene und Blaulicht durch die Straßen düsen, wirken eben doch weitaus harmloser als die Razzien der Gestapo in Zeiten der Okkupation.

Dagegen zeigte sich an Ewald André Duponts Stummfilmklassiker „Das alte Gesetz“ aus dem Jahr 1923, den die Berlinale in restaurierter Fassung und mit einer neuen Musik uraufführte, große zeitlose Filmkunst. In dieser im 19. Jahrhundert angesiedelten Geschichte wird der Sohn eines Rabbiners mit schweren Gewissenbissen gegen den Willen seines Vaters ein erfolgreicher Schauspieler, kann sich mit dem sturen Alten aber erst auf dessen Totenbett aussöhnen, als der die Größe des weisen Dichters William Shakespeares erkennt. Sie wirkt im Hinblick auf die großen Themen religiösen Wahn, Intoleranz und falsche Ideologien höchst aktuell.

Der Berlinale-Wettbewerb aber, in dem auch ein enttäuschend belangloser Thriller von Benoit Jacquot mit Isabelle Huppert in der Rolle einer Prostituierten zu sehen war, bewegte sich bislang noch auf einem vergleichbar schwachen Niveau.

Einen Höhepunkt bescherte bislang einzig das osteuropäische Kino mit „Dovlatov“, einem anspruchsvollen Sittengemälde der Sowjetunion, das mit poetischen Bildern trostloser Landschaften und geistreichen Dialogen wie eine russische Antwort auf den französischen Meister Eric Rohmer wirkt. Für eine Woche im November 1971 begleitet der Film den erfolglosen Schriftsteller Sergei Dovlatov (1941-1990), der nicht publizieren darf und erst nach Emigration und frühem Tod ein weltbekannter Autor werden sollte, durch seinen Alltag in Leningrad. So richtig bei sich ist dieser Mann nur in den vollgequalmten Wohnungen, in denen sich Künstler und Oppositionelle treffen und über ihre desolate Situation austauschen. Mehr schlecht als recht müht er sich durch die Tage. Er verdient sein Geld mit Auftragsarbeiten für eine Fabrikzeitung, aber die ihm abverlangten Kompromisse stürzen ihn immer noch mehr in die Depression. Zwischen den Zeilen dieses melancholischen Lamentos vermittelt sich unaufdringlich die Botschaft, dass es unzulässig ist, Talente und Schickale zu zerstören. Aber das angenehm subtil.

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Während der Drehaufnahmen von TRANSIT, Beer, Petzold, Rogowski© Goethe-Institut