Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Wenn man in Berlin oder überhaupt bei Filmenthusiasten den Namen des philippinischen Regisseurs Lav Diaz nennt, dann strahlen die Gesichter - oder sie ziehen sich gelangweilt in die Länge. Und Länge ist wirklich eines der Stichworte, die mit seinem Namen verbunden sind.
Berlin (Weltexpresso) – Wenn man in Berlin oder überhaupt bei Filmenthusiasten den Namen des philippinischen Regisseurs Lav Diaz nennt, dann strahlen die Gesichter - oder sie ziehen sich gelangweilt in die Länge. Und Länge ist wirklich eines der Stichworte, die mit seinem Namen verbunden sind.
Vor zwei Jahren waren es auf der Berlinale acht Stunden, unterbrochen von einer kurzen Pause, und in diesem Jahr sind es vier ununterbrochene Stunden, die man erlebt wie im Traum oder wie einen langen Flug, auf jeden Fall organisch, weil sich eines aus dem anderen ergibt. Waren es vor zwei Jahren die Fährten durch die Wälder, wo einige Menschen auf der Suche nach sich und den Mythen des Landes verloren gingen oder sich fanden, so handelt es sich bei diesem Film von 234 Minuten, den man als DIE ZEIT DES TEUFELS übersetzen kann, um die Geschichte des Landes zu Zeiten der Diktatur Ferdinand Marcos (1969 bis 1986), der ein Schreckensregime errichtete, was bis heute nachwirkt, wobei zwischendurch Demokratisierungsbewegungen Erfolge hatten, die nun wieder zurückgefahren werden. Die Leute haben Angst. Sie haben berechtigte Angst.
Zischen dem Film von vor zwei Jahren, A LULLABY TO THE SORROWFUL MYSTERY, den Diaz für seinen bisher wichtigsten hält und der ihm auf der Berlinale 2016 den Alfred-Bauer-Preis einbrachte und dem diesjährigen Wettbewerbsfilm, hatte Lav Diaz ebenfalls 2016 bei den Filmfestspielen von Venedig für einen Vierstundenfilm den Hauptpreis, den Goldenen Löwen erhalten. Ach ja, den Goldenen Leoparden von Locarno hat er auch längst errungen. Seine Produktivität ist also enorm, was aber nicht gegen die Qualität spricht, soll heißen, daß trotz des ununterbrochenen Arbeitens jeweils Hochwertiges entsteht.Und völlig Unterschiedliches, denn als der Film begann, hat man nichts wiedererkannt von dem, was man bei Diaz zu kennen glaubte. Außer dem Fluß der Zeit. Und den schwarz-weiß Aufnahmen.
Wir sind auf dem Land, in einem Dorf werden die Bewohner von zwei Uniformierten drangsaliert. Aber das ahnt man noch nicht, denn man sieht zwar mit unguten Gefühlen die Uniformen, zudem hat der Ältere ein derart verunstaltetes Gesicht, daß man Übles ahnt, aber sein Kompagnon, ein fideler Jüngling, singt so quietschvergnügt vor sich hin und dann mit dem Alten im Duett, so daß man, wenn man Musik liebt, erst einmal nur an Gutes glaubt. Den Inhalt versteht man ja nicht, denn die Sprache auf den Philippinen ist eine Sache für sich, hochinteressant mit den vielen spanischen Wörtern, die man heraushört – und außerdem sind sparsame, aber ausreichende deutsche und englische Untertitel gesetzt.
Also es sind die Bösen, die wir am Anfang jubilieren hören und die Art des Gesangs und ihr Einsatz lassen uns nicht, wie Diaz sagt, an eine Rockoper denken, auf keinen Fall, und auch nicht, wie die Produzentin sagt, an ein Anti-Musical, sondern es kommt einem wie eines der Singspiele von Mozart vor, was ja eine gute Adresse ist. Und denkt man sich dann noch das deutsche Liedgut der Romantik hinzu, dann hat man diese Volkstümlichkeit und die Individualität, mit der die handelnden Personen alle ihre Rollen musikalisch unterstreichen.
Das ist ein wahrer Geniestreich von Lav Diaz und mit nichts zu vergleichen, was wir als Geschichtsaufarbeitung durch Filme kennen. Und genau darum geht es. Das haben die fast vollständig angereisten Schauspielerinnen und Schauspieler des Films, teilweise Berühmtheiten auf den Philippinen – viele davon ausgesprochen schön – betont: es geht darum, aus der Geschichte des Landes zu lernen, damit das nicht wieder passiert, nämlich das Volk gegeneinander aufzuhetzen und sich gegenseitig abzuschlachten, damit die Oberen ihr eigenes Süppchen kochen und daran verdienen. Man sieht: übertragbar auf viele Länder mit diktatorischen oder auch ‚nur‘ autoritären Strukturen. Von daher ist dieser Film, der für das eigene Volk gedreht wurde, gleichzeitig universell.
Im Verlauf der Handlung werden einzelne Geschichten erzählt, bzw. treten einzelne Figuren auf, die uns immer wieder begegnen, von denen die junge Ärztin Lorena (Shaina Magdayao) mit ihrem Ehemann, dem Dichter Hugo Haniway (Piolo Pascua), deren Weg wir immer wieder kreuzen, besonders beeindrucken. Sie wollte unbedingt aus der Stadt aufs Land, um der Landbevölkerung zu helfen. Wir sehen, wie sie die Dorfambulanz errichtet, die gleich gepfropft voll ist, denn um die Ärmsten hat sich bisher niemand medizinisch gekümmert.
Der Ehemann, aus seiner städtischen Boheme herausgerissen – das ist unsere Interpretation – fühlt sich fehl am Platz. Er fängt an zu trinken, auch andere Frauen spielen eine Rolle, er hört auf zu schreiben und verschwindet. Als er zurückkommt, sieht er die verbrannte Hüte und erfährt erst nach längeren Recherchen, daß die Bürgerwehr mit Hilfe der Uniformierten seine Frau geschändet, gefoltert und umgebracht hat. Das besingt er in düsteren Weisen und klagt die beiden Uniformierten vom Beginn an, die gleich mit weiterem Mob auch den Dichter niedermachen. Und bei dieser eingängigen Figur des jungen, talentierten Dichters, der von seiner Frau unterhalten, ihr das erst einmal nicht dankt, dann zurückkehrt und um sie trauert, hatten wir die Empfindung, daß dieser Dichter eine Spur zu stark dem einstigen Idealbild der Romantik entspricht, das wir heute kritisch sehen, wenn er z.B. bei einer brennenden Kerze seine Oden niederschreibt, wie im Rausch. Da dachten wir uns, daß Regisseur Diaz hier ein wenig Ironie hineingepackt hätte, aber nein, das Bild des Dichters sieht er genauso.
Das also, was für uns am Kitsch entlangschrammte, ist für ihn eine positive Darstellung des Menschseins. Da bleibt einem nur, demütig zu konstatieren, daß das eigene Weltbild und die eigenen Empfindungen nicht gut geeignet sind, diesen Film, der für eine andere, eben auch naivere Bevölkerung gedreht wurde, an dieser Stelle zu kritisieren. Zudem sind einem alle anderen Figuren ideologisch weniger vertraut, weshalb man nur aufnimmt, diese beeindruckende Frau, die die Eule genannt wird; überhaupt sind nicht nur Tierbenennungen wichtig, sondern es sind immer wieder die Frauen, die aufbegehren. Es geht auch um religiöse Gefühle und Kulte. Wußten Sie, daß rund 90 Prozent der Bevölkerung auf den Philippinen Katholiken sind?
Im übrigens geht es überhaupt nicht um Details oder einzelne Figuren, sondern darum, daß es diesem Regisseur wieder einmal gelungen ist, mit einem Figurenaufgebot von handelnden Menschen soziale Abhängigkeiten wie regionale Besonderheiten, die Rolle des Militärs und der von der Obrigkeit geförderten Bürgerwehr so auf die Leinwand zu zwingen und die Darsteller auch noch singen zu lassen, daß von ihnen eine gewisse Absurdität genauso ausgeht wie die Ahnung, daß das alles politische Wirklichkeit war und nicht wieder sein soll – auf den Philippinen nicht und nirgends sonst!
Bewundernswert, wie offen die Darsteller in der Pressekonferenz über die politische Situation sprachen und auch, warum der Film in 18 Tagen in Malaysia gedreht werden mußte. Daß Diaz eben auch ein begnadeter Ensembleregisseur ist, das wurde in der Pressekonferenz deutlich, wo die Schauspieler ihm in Worten das zurückgaben, was er wohl während der Dreharbeiten menschlich ‚investiert‘ hatte.
Fotos:
Wir sehen einmal die Gefangennahme und Folterung des Dichters, ein andermal sdas Innere des Hauses
© berlinale.de
Wir sehen einmal die Gefangennahme und Folterung des Dichters, ein andermal sdas Innere des Hauses
© berlinale.de