berl18 15phoenixDer Wettbewerb der 68. Berlinale vom 15. bis 25. Februar, Film 15

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Auf jeden Fall eine Freude, Joaquin Phoenix wiederzusehen, wenngleich man ihn, den dunklen, bärtigen Kerl, kaum erkennt in der Rolle des Querschnittgelähmten und Rollstuhlfahrers John Callahan, dem ein roter Schopf in der Art der frühen Beatles verpaßt wurde und eine Brille, die ihn ganz und gar nicht intellektuell macht.

Dabei war es das Rollenvorbild – in Maßen – oder doch eher künstlerisch angehaucht, denn Gus Van Sant hat die Memoiren des Cartoonisten John Callahan verfilmt – oder man sollte besser sagen, er hat diese Lebenserinnerungen genutzt, um seine Filmfigur neu zu erfinden – und das verfolgt man mit Anteilnahme, auch Spannung, wenngleich einem öfter das Gute-Mensch-Sein-Lernen nervt – auch wenn man eigentlich noch so sehr dafür ist.

Stellen Sie sich also ein Ekelpaket vor, einen jungen Mann, der immer nur nimmt, der sich nach und nach den Alkohol einverleibt, wie andere Wasser trinken, der also eigentlich immer auf einer Alkoholwolke zu Hause ist und alles tut, um diese nicht zu verlassen. Aber dann hat er eines Abends mit dem Kumpel, der genauso säuft, sturzbesoffen diese Autofahrt unternommen, was für den fahrenden Freund mit Kratzern abging, aber für ihn den Rollstuhl bedeutete. Mit 21 Jahren.

Ohne die Anonymen Alkoholiker (AA) hätte er es nicht geschafft und auch nicht ohne Donny, ein Typ, wie man ihn nicht oft in Filmen sieht. Äußerlich schon, denn wir sind in der Hippiezeit und Donny ist einer von ihnen. Gleichzeitig ist er der reiche Erbe von Eltern, die ebenfalls schon reiche Erben der eigenen Eltern waren – und in diesem Protz lebt Donny nun, spendet aber sozialen Organisationen nicht nur Geld, sondern auch seine eigene Arbeitzeit und sein Engagement. Und dabei kann man einiges von ihm lernen und genau dies ist das Besondere am Film, was gleichzeitig etwas sehr lehrhaft rüberkommt, obwohl Donnys Gesetz wirklich die einzige Chance für Menschen ist, die immer ihr Unglück in den Taten anderer sehen.

Wie z.B. unser John, der schon als Baby von der eigenen Mutter abgegeben wurde, also bis heute nicht weiß, wer sie überhaupt ist. Das schleppt ein Menschlein als Verlustangst und Fragen nach der Identität sein ganzes Leben mit sich. Nach und nach bringt Donny, nachdem die Klippe und potentielle Gefährdung ‚Alkohol‘ erst einmal umschifft scheint, die Notwendigkeit, die Verantwortung für sein Leben selbst zu übernehmen und die Fehlschläge nicht anderen in die Schuhe zu schieben, auch unserem Helden im Rollstuhl nahe. Er lernt, den anderen zu vergeben, weil er beispielsweise ja freiwillig in das Auto des Besoffenen eingestiegen ist, also nach der eigenen Schuld zu suchen – und diese zu finden. Und er wird auch das Schwierigste lernen, sich dann selber zu vergeben, dem eigenen fehlbaren Selbst zu verzeihen.

John hat bisher als Spaßvogel der Nation nur heimlich geweint und nach außen den Starken gemimt, was seine Cartoons, die er zu zeichnen lernt als schräge Brechungen wiedergeben. Es sind eben nicht die sattsam bekannten aufbauenden Sprüche, sondern die schrägen Witze, die er ins Bild bringt, wobei die deftige Benennung der Szenen den Witz vervollständigt.

Um dem Film nicht eine lineare Struktur zu geben und als ‚ordentliche‘ Filmerzählung dann doch zu langweilen, springt der Film hin und her, wobei einem immer sofort klar wird, wo man sich befindet und mit wem. Ein Beispiel soll dies filmische Geschehen wiedergeben: John hat eine feste Sätzefolge für sein Leben eingeübt. Das trägt er in der Gruppe der AA vor, dasselbe erzählt er in einem Fernsehinterview und auch dann noch mal, womit der Film beginnt und endet: in einer öffentlichen Veranstaltung, wo er im Rollstuhl von der Bühne her mit seiner Zeichnung als wandfüllende Vergrößerung im Rücken denselben Text von sich gibt. Aber allein das Hin- und Herschalten der verschiedenen Vortragssituationen, die dann immer inhaltlich gefüllt werden, bringt Bewegung in den Film.

Ohne Phoenix hätte ich den Film nicht anschauen wollen, denn so sehr man sich freut, wenn einzelne es schaffen, aus dem eigenen Leben auszubrechen und gegen den Strich ein anderes zu beginnen, ist das doch immer auch sehr stark FILM, FILM, FILM, da mag noch so viel echtes Leben dahinterstecken.

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