berl18 zwillingeDer Wettbewerb der 68. Berlinale vom 15. bis 25. Februar, Film 17

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Der Film sei eine Zumutung, riefen drei Pressevertreter. Wir wären die Falschen, dem zu widersprechen. Wenn die Presse, die ja darüber schreiben will und soll, in Scharen aus dem dreistündigen Film läuft, muß das andererseits nicht heißen, daß der Film schlecht ist. Denn es gibt auch Filme, die neue Sehgewohnheiten nötig machen.

Und es heißt ja auch in der Kunstgeschichte, daß man an Widerständen arbeiten müsse. Denn eine tiefe Ablehnung sagt über einen – und damit über den Film - oft genauso viel aus, wie begeisterte Zustimmung. Alles gut und schön, aber hier wüßte ich nicht, was ein neues Sehen sein sollte und grundsätzlich, warum man sich diese Geschichte ansehen muß. Gleichzeitig ist der Erzählstrang – Regisseur Philip Gröning ist auch sein Drehbuchschreiber - nicht so komplex, daß man überfordert wäre. Aus Langeweile seien sie gegangen und zuwider sei ihnen die pathetische Art, mit der sich hier junge Leute als Quelle der Weisheit aufspielen. Konstruiert und unecht seien diese Dialoge. Konstruiert ist Kino immer und ‚unecht‘ kann ein Stilmittel sein.

Wie ich es drehe und wende, nein, für mich wird keine Verteidigung dieses Films daraus, eine schlüssige schon gar nicht. Erzählen wir also: Von Anfang an wird deutlich, daß dies Zwillingspaar Elena (Julia Zange) und Robert (Josef Mattes) miteinander viel auszutragen haben und daß es Elena ist, die zwar die Fragende und Suchende mimt, aber diejenige ist, die das Heft in der Hand hält und die gelebte Wirklichkeit der beiden inszeniert. Stümperhaft und aufdringlich tut sie das, aber letzten Endes erfolgreich.

Sie soll am Montag im mündlichen Abitur über Philosophie reden, d.h. eine philosophische Abhandlung vortragen. Ihr Bruder, der die Klasse wiederholen muß, ist derjenige, der sich auskennt, sagt der Film, der nun seiner Schwester Nachhilfe gibt. Ehrlich gesagt wirkt das ganz schön lächerlich, wie im flirrenden Hochsommer auf den Wiesen der Umgebung, die anzuschauen das einzig Positive im Film ist, wobei eine Heuschrecke – oder sogar mehrere – eine besondere Rolle spielt – und überlebt! - wie also auf diesen Wiesen dann ertönt: „Der Sinn des Seins ist die Zeit.“ Da stimmt für mich nichts, nicht das ernste Bemühen der Abiturientin, etwas verstehen zu wollen, noch der Wissensfundus des Bruders. Die beiden zeigen ein derart pubertäres Verhalten, das man mit 14-15 Jahren hat, aber weniger im Alter von Abiturienten. Ständig geht es um Sexualität, Grenzüberschreitungen für Jugendliche, die im jugendlichen Alter natürlich den Drang haben, sich auszuprobieren und dies auch durchführen. Aber zu Zeiten des Abiturablegens ist solches pubertäres Gehabe eigentlich gegesseDas ist ein grundsätzlicher Einwand gegen den Hintergrund und Handlungsverlauf des Films.

Mir war zudem klar, was bei dem Zwillingspaar für mich nicht stimmte, ja meinen Zorn hervorrief. Es ist eine derartig überkommene Rollenzuschreibung von männlichem und weiblichem Zwilling, daß man sich in vergangene Jahrhunderte versetzt fühlt. Wieso ist es der Bruder, der noch dazu die Klasse wiederholt, der die Weisheit der Philosophie mit Löffeln gefressen hat? Wieso ist es das Mädchen, das als abhängig von des Bruders Wissenstand geschildert wird, aber diejenige ist, der die Rolle als ruhelose unstete Zicke zugeschrieben wird, ihren Bruder ständig anmacht und ihn zu Wetten verführen will, deren Regeln sie bestimmt. Sie ist nämlich eifersüchtig, weil er gerade mit ihrer Freundin angebandelt hat und will genau wissen: „Habt Ihr miteinander geschlafen“.

berl18 robert17Als nächstes kommt die Wette, wo verlieren gewinnen bedeutet und umgekehrt. Sie will entjungfert werden – und zwar sofort. Das zieht sich durch den Film und nach über der Hälfte des Films geht das gegenseitige Hakeln der beiden in eine andere, blutigere Phase über. Und das hat mit der Tankstelle zu tun, derer sich die beiden wie Küche und Toilette sowie Schlafzimmer einer Wohnung bedienen, einschließlich des Tankwarts, der hier irgendwie zum Vaterersatz wird. Auf jeden Fall ist der Ort den beiden besonders vertraut, denn es finden sich die Markierungen, in welchem Alter die beiden wie groß waren. Und als Elena sich einmal hochreckt und über zwei Metern den Strich anbringt, da weiß man wie mit dem Holzhammer, sie ist größenwahnsinnig. Dabei heißt doch die Kleinbürgerweisheit: Nicht zu hoch hinaus, es geht übel aus.

Und dieses Übel bricht sich zunehmend Bahn, indem die beiden, Robert immer verleitet durch seine Schwester, erst eine Verwüstung von Sachen und dann ein Abschlachten Menschen veranstalten, wo Blut mit Wasser vermischt die Tankstelle und die Leinwand füllt. Ein Moment ist es, der diesen Gewaltexzeß beginnen läßt, als nämlich Robert über die Theke springt, um der, wie er meint, bedrängten Schwester zu helfen. Als ob die Hilfe nötig hätte. Hilfe schon, aber nicht eine der Gewalt, sondern rechtzeitig eine Psychotherapie.

Und damit kommen wir zum eigentlich Ärgernis, das sich mir erst in der Pressekonferenz erschloß. Dort nämlich behauptete Philip Gröning, daß er ablehne, den Hintergrund von Gewalttaten in psychologischen Begründungen zu suchen. Man könne nicht aus biographischen Vorgaben einer Person deren Gewaltpotential oder die eingesetzte Gewalt erklären, also eine schlimme mißbrauchte Kindheit ist keine Begründung für spätere Taten. Er lehne Psychologisierung von Gewalt ab. Das seien Vorgänge, die elementar abliefen.

Ach ja. Und das sagt der Regisseur und Drehbuchschreiber, der Zwillinge zu den Trägern seiner Handlung macht. Aus jedem Satz, aus jeder Geste spricht, daß hier ein Zwilling mit dem anderen etwas austrägt. Und das ist keine Psychologie? Es gibt kaum ein menschliches Verhältnis, das so subtil und symbiotisch zu deuten ist wie das Zwillingsdasein. Das zu negieren und gleichzeitig die Handlung des Films darauf aufzubauen, ist verlogen.

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