berl18 21museoDer Wettbewerb der 68. Berlinale vom 15. bis 25. Februar, Film 20

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) –  Für Deutsche ist der ungeheuerliche Vorgang des Einbruchs ins Anthropologische Museum in Mexiko Ciudad 1985, wo die Räuber Dinge mitnahmen, die zu den Inkunabeln der Indiokulturen, insbesondere der Maya gehören, nicht so sehr in der Erinnerung.

Verblüfft hörte man von den beiden mexikanischen Schauspielern, die in MUSEO die beiden Jungmännerräuber spielen, daß sie davon früher nichts gehört hatten, was ja nur bedeuten kann, daß dieser Raub nicht im kulturellen Gedächtnis der mexikanischen Nation verankert ist, was einen wundert und für die Existenz dieses Films spricht. Für mich persönlich ist das allerdings ein Fixpunkt im Leben, denn ich befand mich zu Weihnachten 1985 in Mexiko als Reiseleiterin einer deutschen Reiseruppe – und wir hatten das Museum gerade besucht gehabt, als es wegen des Raubs geschlossen wurde.

Was der Film thematisiert, ist in der Folge dann schon der gesellschaftliche Stellenwert, den die geraubten Gegenstände gerade durch den Raub auf einmal erhielten: nämlich Zeugnisse der Vergangenheit einer Gesellschaft zu sein, die sich nicht mehr auf die europäischen Eroberer bezog, sondern auf die Indiokulturen wie Olmeken, Teotihuacán, Zapoteken, Azteken oder Maya. Denn gerade unwiederbringliche Schätze der Maya aus Palenque waren geraubt worden.

Das Tolle an diesem Raub war nun, daß der Verlust der Kulturgüter überhaupt erst das Interesse an den Indiokulturen, die man heute indigene Völker nennt, befeuerten. Soll heißen, daß das Anthropologische Museum nach dem Raub zur großen Touristenattraktion wurde, das es aufgrund der unglaublichen Schätze völlig zu Recht ist.

Das Projekt, über den Raub einen Film zu machen, besteht schon seit zehn Jahren, der Regisseur ist ebenfalls drei Jahre dabei. Der Film selbst ist eine Mischung aus einem echten Thriller, aber dann auch eher ironisch gebrochen und humoristisch und dann wieder eine gesellschaftliche Widerspiegelung der Zeit der 80er Jahre in Mexiko. Leider konnten wir auf der Pressekonferenz die Frage nicht stellen, die ansteht: ob nämlich die Mexikaner diese Zeit heute als heile Welt wahrnehmen. Genau so nämlich wirkt es, folgt man dem Film und denkt man selber an das damalige Mexiko zurück.

Schon hinterfotzig gekonnt, daß der Film in Satélite beginnt. Dieser 1957 als Retortenstadt vor den Toren der Hauptstadt gegründete Ort, sollte das neue Mexiko bedeuten. Nicht mehr beengte Wohnverhältnisse, sondern für eine Mittelschicht und untere Oberschicht moderne Verhältnisse. Hier siedelt das Drehbuch auch die beiden jungen Räuber an. Sie kommen beide aus Arztfamilien, Juan Nunez (Gael García Bernal) und Benjamin Wilson (Leonardo Ortizgris) und sind Studenten der Tierheilkunde, sind Söhne von erfolgreichen Männern, die aber selbst noch keinen Platz im Leben gefunden haben. Richtige Kindsköpfe alle beide, wobei es Juan ist, der seinen Freund Wilson dominiert, ja richtig in Geißelhaft nimmt, wenn es ihm paßt.Immer wieder erkennt man kleine feine Hinweise auf die Diskrepanz von Lebensweise und dem Selbstverständnis der Freunde, wenn z.B. die Monolithen, die in Satélite aufgestellt sind, und wohl die Zukunft mit der Vergangenheit verbinden und versöhnen sollen, außerdem Statussymbole des neuen Mexiko sind, von Wilson bepinkelt werden.

Juan ist der Anführer der beiden, er muß seinem Vater ständig beweisen, daß er dessen bürgerliche Vorstellungen nicht teilt, auch nicht, was das gedeihliche Leben in der Familie angeht. Denn wir erleben noch die Zeiten, wo in Mexiko die Großfamilie das Ein und Alles war, wo man zu Weihnachten aus der ganzen Welt anreiste, um zusammen zu sein, Onkel, Tanten, Großeltern. In eine solche Ansammlung geraten wir bei Juans Eltern, der allerdings nichts Besseres zu tun hat, als ständig den Spielverderber zu geben. Den Kindern beispielsweise verrät er, daß es keinen Weihnachtsmann gibt und wo die Geschenke versteckt sind. Natürlich rennen alle hin und packen sofort aus, das Durcheinander ist groß und er kann unbemerkt sich mit seinem Freund auf und davon machen, denn was bisher nur eine lockere Planung war, nämlich das Museum auszurauben, nimmt Gestalt an, zudem drängt die Zeit, da Weihnachten als Familienfest einfach ein genialer Zeitpunkt für ihr Vorhaben ist.

Bernal spielt diesen großen Jungen mit Facetten, die vom dummen Jungen über den charmanten Kerl, über den zuverlässigen Onkel oder den unzuverlässigen Freund und törichten Sohn gehen, also eine gehörige Bandbreite aufweisen. Und er spielt ihn als unsicheren jungen Menschen, der sich an der Welt aufprobiert.

Der Raub wurde damals als Verletzung der nationalen Würde verstanden, schließlich war das Museum erst 1967 als damals führender Museumsbau errichtet worden, eine großzügige Anlage, die auch die häufig gewaltigen Steinskulpturen in Licht und Glas transparent wirken ließ. Als Räuber vermutete man Ausländer, die die nationalen Kulturgüter Mexikos nun an weitere Ausländer für Millionen verhökern, in Privatbesitz also landen, obwohl ja auch die Museen Europas schon genug gerafft haben und aus in Mexiko geraubten Stücken der Indiokulturen bestehen, das sieht man im Louvre, im Britischen Museum oder im Naturkundlichen Museum in Wien, wo die Federkrone von Moctezuma, des letzten Aztekenherrschers ausgestellt ist, nämlich das Original, während in Mexiko eine Kopie hinter Glas hängt. Das hätten wir auch so gewußt, aber der Film bringt solche kleine Spitzen, kleine nationalen Wunden auch noch unter.

Statt des technisch versierten Räubergespanns, von dem öffentlich nach dem Raub phantasiert wurde, zeigt der Film die beiden Studenten bei clever geplanten und sorgfältig ausgeführten Handreichungen, so daß sie einzelnen Kult- und Kunststücke, die man im Film wunderbar funkeln sieht, in Pullover eingewickelt entführen können. Und jetzt nimmt der Film eine erneute Wendung. Denn die beiden bekommen Muffensausen, außerdem haben sie vorher nicht bedacht, wie sie bei ihrem Bubenstreich überhaupt Kapital aus dem Raub gewinnen wollen, ist doch die Ware viel zu heiß, als daß sie auf dem Flohmarkt verkäuflich wäre. Das ist zumindest die Interpretation des Regisseurs, der seine Räuber frei erfinden konnte, weil die damals Überführten und auch ihre Familien keine Gespräche mit dem Regisseur führen wollten, was ja auch etwas Gutes hat, weil die Fiktion jetzt machen darf, was sie will.

Nichts wie weg also und außerdem müssen die beiden eh nach Acapulco, wo ein potentieller Käufer, weil Sammler von Indio-Altertümern, zu Hause ist. Jetzt wird der Film auch noch zu einem Roadmovie, das unterhaltsam zeigt, wie bei diesen beiden dummen Jungen, das Nachdenken erst nach der Tat kommt.

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