berl18 24beideDer Wettbewerb der 68. Berlinale vom 15. bis 25. Februar, Film 24, a.K.

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Tröstlich , wenn zum Abschluß der diesjährigen Berlinale ein so schöner, berührender und einfach unendlich weiter, auch menschentrauriger Film läuft. Worum es geht? Um alles und nichts. Es geht um das Ewige Eis, das im Nordosten Rußlands, herrscht, wo in der Eiswüste Jakutiens ein indigenes Rentierjägerpaar ein sehr hartes Leben lebt, inmitten einer eiskalten Natur, deren weiße Weiten auf der Leinwand dann nur schön wirken.

berl18 24eisVon dieser Landschaft - links sieht man Nanook den Schlitten ziehen - geht nicht nur ein Zauber aus, sondern man fühlt sich zurückversetzt in Zeiten der Unschuld, die der Schnee und das Eis einem suggerieren, dabei sieht man doch gleichzeitig, wie grausam die Natur mit den Tieren und den Menschen umgeht. Und doch beginnt der Film mit etwas völlig anderem, dem man mit offenem Mund fassungslos zusieht und vor allem zuhört und einfach möchte, daß es nicht aufhört: diese umwerfende Musik. Eine nicht ganz junge attraktive Frau der Inuit aus den Polarweiten hat ein Instrument im Mund, das wir mal mit Mundorgel bezeichnen, mit dem sie Töne und Tonfolgen produziert, die je nach Luftstrom und dem Wedeln ihrer freien Hand vor dem Mund eindeutig Elektrobeat erzeugt. Der Rhythmus geht durch einen durch. Warum diese Musikaktion dem Film vorgeschaltet ist, weiß man nicht, aber man braucht auch kein Verständnis, um das einfach schön zu finden.

Musik begleitet einen auch im eigentlichen Film, der eine bulgarische Produktion ist mit deutscher und französischer Unterstützung. Eine Bulgarin hat eine transparente Musik komponiert und im zweiten Teil ertönt dann Mahler, ausgerechnet das Adagio aus seiner Fünften, das nicht nur grundsätzlich mit Schönheit und Tod assoziiert ist, sondern durch den Einsatz in DER TOD VON VENEDIG auch filmisch ‚besetzt‘ ist. In der Pressekonferenz wird der Bulgare Milko Lazarov, Regie und Drehbuch, davon sprechen, daß dies sein Lieblingsfilm sei.

Die Geschichte ist ganz einfach, erhält aber ihre menschliche Dimension durch die Weite und Verlorenheit der Landschaft. Hier die auf den Kern reduzierte Geschichte: Diese Familie lebt einsam in einem der üblichen Zelte in der Eiswüste. Die beiden Kinder sind aus dem Haus, der Sohn Chena (Sergey Egorov) kommt zu Besuch, denn er weiß, daß die Mutter sehr krank ist. Sedna (Feodosia Ivanova) ist die Seele der Familie und ihren eindringlicher, fast nach innen gerichteten Blick vergißt man auch nach dem Film nicht. Der Ausdruck ‚beredtes Schweigen“ ist hier genau passend. Und mit diesem Schweigen kommentiert sie das, was ihr Mann Nanook (Mikhail Aprosimov) vor sich hin brummelt, der die Tochter nicht mehr sehen will, nach der sie sich sehnt.

Die Tochter hatte vor Jahren schon die Einöde verlassen und in einer Diamantenmine angeheuert. Man staunt, was sich die beiden Alten zu erzählen haben. Nicht alle Andeutungen versteht man sofort, aber ihr Kontakt reißt nicht ab, wozu eben auch das lange gemeinsame Schweigen gehört und die gemeinsamen Arbeiten.Ihr Leben ist bestimmt durch die Natur und die Mythen, mit denen sie aufgewachsen sind und derer sie sich ständig gegenseitig versichern.

Die Krankheit von Sedna sieht der Zuschauer als übergroße Wunde am Bauch, auf die sie immer wieder eine selbst hergestellte Salbe streicht. Und jetzt ist es höchste Zeit, etwas von den Lebensbedingungen der beiden Alten in dieser Eiswüste zu erzählen, wobei Leben dort Arbeiten bedeutet, denn sonst überlebt man nicht. Schon Nahrungsmittel zu finden, ist eine Herausforderung. Immer wieder erleben wir, wie Nanook mit den Werkzeugen loszieht, um an das unter dem Eis liegende Wasser zu gelangen. Er stochert in diesen Löchern, die er ins Eis haut und immer wieder ist auch ein Fisch seine Beute. Fünf Tage hat er aber gerade vergeblich gearbeitet. Aber da gibt es auch Fleisch, wenn er einen Polarfuchs erwischt, was einem als Zuschauerin Tränen in die Augen treibt, denn vom Tod der Tiere leben diese beiden, das ist klar. Wenn das gehäutete Tier aufgehängt ist und Sedna das wunderschöne Fuchsfell zum Trocknen über einen Holzspan zieht, freut man sich nicht an der weißen Wuschelmütze, die sie daraus zaubert. Aber die ist ja auch nicht für uns, sondern für Tochter Sedna gedacht, die besuchen zu dürfen sie als dringlichen Wunsch an ihren Mann nicht aufgibt.

Und schließlich zum Schluß macht er sich auch auf den Weg zu ihr. Aber da ist sie schon still gestorben und erst ihr Tod macht ihn frei, sich der Tochter zu nähern. Die Fahrt, die er allein unternimmt, mitgenommen von einem Lastwagenfahrer hat ihre eigene Komik, wie überhaupt der Film ein wunderbares Gleichgewicht hält zwischen der Tiefe und Weite der Eiswüste und den Erzählungen vom harten Leben, die ohne die Mythen der Altvorderen nicht zu denken sind. Wir erfahren von einer magischen Welt, in der jedes mit jedem zusammenhängt, auch Tiere mit den Menschen, auch Tote mit den Lebenden. Es ist alles im Fluß.

Höchste Zeit, abschließend von Hektor zu erzählen, dem Polarhund, einem Sibirischen Husky aus Irkutsk (wo ich persönlich schon mal 40 Grad Minus erlebt hatte), der brav und unverdrossen den Schlitten durch Eis und Schnee zieht und ohne den die beiden verloren wären. Er bleibt zurück, als Nanook aufbricht, die Tochter zu besuchen, der, als sie ihren Vater allein aus der Ferne sieht, still die Tränen runterfließen. Uns auch, was aber mehr mit dem zurückgelassenen Hektor zu tun hat, um den wir uns Sorgen machen. Aber dann sagen wir uns, ist ja nur ein Film und wissen doch, daß wir gerade bei richtigem und richtig hartem Leben dabei gewesen sind, was einen ganz schön demütig macht.

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