berl18 berlinale.deDer Wettbewerb der 68. Berlinale vom 15. bis 25. Februar, Teil 25

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) –  Die Redaktion des Weltexpresso hatte über die Bärenvergabe ausführlich diskutiert. Eine konkrete Erwartung auf die einzelnen Preise ist sehr schwierig vorauszusagen, denn es geht bei der Jury wohl immer auch um einen Aushandlungsprozess, daß nämlich bestimmte Filme vor den anderen prämiert werden sollen und dann die entsprechenden Preise ausgesucht werden, die passend sind.

Aber einzelne von uns haben sich für konkrete Benennungen entschieden. Mutig hat Kirsten Liese zwei Kategorien genannt: Zum einen hat sie die nach ihrer Einschätzung voraussichtlichen Sieger benannt, dann ihre persönlichen Favoriten, wenn sie die Preise zu vergeben hätte.

Juryprognose:
Goldener Bär: Transit oder Utoya
Grosser Preis der Jury: der philippinische Film von Lav Diaz oder der polnische von Malgoza Szumowska
Beste Regie: In den Gängen von Thomas Stuber oder der von Gus van Sant ( Don‘t worry, he won't get far on foot)) oder der Lav Diaz
Alfred Bauer Preis: Mein Bruder heißt Robert....oder Isle of Dogs oder Pigs
Hauptdarstellerin: Marie Bäumer
Hauptdarsteller: Franz Rogowski
Kamera: Drei Tage in Quiberon


Auch Hanswerner Kruse hat eine Vorhersage der Juryentscheidungen auf die verschiedenen Preise gewagt:

Möglicher Goldbär: Transit
Großer Preis der Jury: Season oft the Devil
Neue Wege (Bauer-Preis?): Utoya 22. Juli
Regie: Don’t worry oder Figlia Mia
Weibliche Schauspielerin: Marie Bäumer als Romy Schneider oder das junge Mädchen in Utoya 22. Juli
Männlicher Schauspieler: Der Verunglückte mit dem neuen Gesicht in polnischen Film Twartz
Künstlerische Leistung (Kamera/Schnitt usw.): Las Herreras oder Isle of Dogs
Drehbuch: Khook oder Don’t worry


Nein, Claudia Schulmerich, die ja alle Wettbewerbsfilme gesehen und besprochen hatte, mochte sich nicht auf die speziellen Bären aus einzelne Filme festlegen, sondern erwartete Bären insgesamt für folgende Filme:

den paraguayischen LAS HEREDERAS
den russischen DOVLATOV
den deutschen TRANSIT
den norwegischen OTOYA
den philippinische ANG PANAHON NG HALIMAW
den polnischen TWARZ
den deutschen IN DEN GÄNGEN


Aus folgenden Gründen: Sie betont, man muß Filme ja immer auf dem Hintergrund der Entstehung in ihren eigenen Ländern sehen.

Von daher ist LAS HEREDERAS, der paraguayische Beitrag über zwei lesbische Frauen, von denen die zuvor schwächere einen Ausbruchsversuch unternimmt, eine große mutige Überraschung, die zudem mit einer phantasievollen Kameraarbeit aufwartet. Hier wären viele Preise für unterschiedliche Phänomene möglich.

Auch DOVLATOV ist für viele Preise gut. Es ist der Inhalt des Films zuvorderst, aber auch so viele Aspekte von der Kameraarbeit, die an Malerei erinnert, wie auch die Ausstattung des Films. Auch dieser Film muß einfach einen Preis bekommen.

TRANSIT ist eine längst fällige Verfilmung eines der besten Exilromane, weil nicht mit den Gefühlen diese Welt betrachtet werden, sondern fast kühl ein Laboratorium errichtet wird, in dem – wie von außen – man die Wirren der Zeit – erlebt, die alles und alle durcheinanderwirbeln.

OTOYA, der norwegische Film, ist wohl der erste Film, der ein schreckliches Massaker aus der Sicht der Opfer als durchlaufende Handlung ohne Schnitt auf die Leinwand bringt. Die junge Darstellerin ist phänomenal.

Der philippinische Film ANG PANAHON NG HALIMAW ist einer der weiteren Filme von Lav Diaz, dem philippinischen Regisseur, der mit sehr ungewöhnlichen Mitteln nicht aufhört, die Geschichte des Landes auf die Leinwand zu bannen. Diesmal ‚nur‘ vier Stunden, gleichgeblieben sind die Bilder in Schwarz-Weiß, völlig neu, daß in einer Art Singspiel die Protagonisten mitten in der Pampa nicht miteinander oder gegeneinander sprechen, sondern sich ansingen.

Der polnische Film TWARZ ist ein Favorit für den besten Film oder die beste Regie, weil hier in besonderem Maße Kamera, Drehbuch und Regie kluge filmische Entscheidungen trifft, die Erwartungen der Zuschauer unterlaufen, aber völlig filmlogisch eine Handlung strukturieren, die es in sich hat. „Ein ganz besonders toller Film für mich“, sagt Claudia Schulmerich.

Das gilt auch für IN DEN GÄNGEN, der vielleicht für eine Preisvergabe etwas sehr deutsch ist, denn hier wird Vergangenheit auf der Leinwand aufgearbeitet, eine Vergangenheit, die durch das Schlucken der DDR in den Rachen und den Verdauungstrakt Westdeutschlands zu einem Deutschland führte, das nur noch in den Arbeitsbezügen dem kapitalistischen Verwertungsprozeß unterliegt. „Warum ich ihn für preiswürdig halte, hat mit der Machart zu tun, der Lakonie, die an Kaurismäki erinnert.“


Die persönlichen Favoriten von Kirsten Liese kann diese klar benennen und sagt:

Einen Goldenen Bären vergebe ich nicht. Habe kein Meisterwerk gesehen.
Großer Preis der Jury: 3 Tage in Quiberon
Beste Regie: Dovlatov
Alfred Bauer Preis: In den Gängen
Hauptdarstellerin: Marie Bäumer
Hauptdarsteller: Robert Gwisdek als fieser Reporter im Romy Schneider Film
Kamera: geteilt für 3 Tage in Quiberon und Donotov


Zwar ist immer die Frage wichtig, wer die Bären bekommt, aber natürlich auch, welchem Film man persönlich niemals einen Bären gegeben hätte.

Für Hanswerner Kruse ist das eindeutig IN DEN GÄNGEN, der deutsche Beitrag von Thomas Stuber. Dazu schreibt er:

„Als ich meine ziemlich schreckliche Lehre als Feinmechaniker Mitte der 1960er-Jahren beendet und mein Abitur nachgemacht hatte, kam ich nach Berlin und wollte „linker Student“ werden. Doch die studentischen „Genossen“ forderten mich auf, nicht an die Uni zu gehen, sondern in den Fabriken die Proletarier zu agitieren. Doch ich wurde dann alles Mögliche - Kunsthandwerker, Pädagoge und im Alter noch Journalist, ging aber nie wieder in die Fabrik!

Beim Sehen meines letzten Berlinale-Films „In den Gängen“ wurde ich heftig an meine damaligen Gefühle in der Fabrik erinnert. Da war nichts warm und solidarisch, sondern das waren einfach nur entwürdigende und unterdrückende Zustände. Ich bin seit Jahrzehnten glücklich, ihnen entronnen zu sein.

Bei allen Leuten auf dem Podium in der Pressekonferenz - dem Regisseur, den Schauspielern*innen, dem Produzenten und vielen Kollegen im Saal - hatte ich das Gefühl, die verklären ihr Hineinschnuppern in die proletarische Lebensweise. Da wurden Gabelstaplerfahren oder abendlicher Schichtdienst kultisch verklärt.

Mich hat dieser Film kalt gelassen - vor allem sah ich darin nichts Neues. Rainer Werner Fassbinders innovative TV-Serie Anfang der 1970er-Jahre, „Acht Stunden sind kein Tag“, wurde aus der gleichen Sehnsucht nach Einfachheit geboren und dem Wunsch, dem Proletariat eine Stimme zu geben.

Erstaunlicherweise sieht im Film „In den Gängen“ der Protagonist Franz Rogowski genauso aus, wie seinerzeit Gottfried John in Fassbinders Serie. Hat der Regisseur Thomas Stuber das nicht gewusst? Leider kam ich zu spät in die Konferenz, um dem Regisseur noch die Frage zu stellen, ob er nicht aus dem Stoff eine populäre Serie mit dem Titel „Acht Stunden sind kein Tag“ machen möchte... Die Journalisten-Orakel im Berliner „Tagesspiegel“ haben diesen Film tatsächlich die drittmeisten Stimmen gegeben. Zum Glück wissen wir ja, dass sich die Jury nicht von dem Hype beeinflussen lässt.“

Das wünscht sich Hanswerner Kruse, während Claudia Schulmerich genau diesen Film sehr gerne prämiert sähe und Kirsten Liese für ihn den Silbernen Bären für die beste Regie erwartet.

Guckt man sich aber die Erwartungen und eigenen Bewertungen unsere drei Kritiker an, so ergeben sich immer wieder die selben Filme, was aber auch heißt, daß andere Filme überhaupt nicht genannt sind. Es sind insgesamt 19 Filme der 24 Wettbewerbsfilme, die zur Auswahl anstehen. Das nächste Mal bitten wir die Kollegen, auch die Filme zu nennen, die Preise auf gar keinen Fall verdienen, wie es Hanswerner Kruse bei IN DEN GÄNGEN verlangt.

Claudia Schulmerich findet, daß ihre Filmbesprechungen deutlich machen, welche Filme sie für schlecht, unmöglich und sonstwas hält - und aus welchen Gründen.

Diese Kategorie der schlimmsten Filme wollen wir im nächsten Jahr hinzufügen, und warten jetzt auf den Abend, an dem die echte Preisverleihung der BERLINALE 2018 erfolgt, die wir natürlich ebenfalls – aber am Sonntag - kommentieren.

P.S. Wir wollen auch die Bewertungen, die der TAGESSPIEGEL in Berlin zu den Wettbewerbsfilmen veröffentlicht in der Folge der meisten Benennung kurz wiedergeben, wobei die Bewertungen von Kollegen aus Standard (Wien), FAZ, Tagesspiegel, DIE ZEIT, Spiegel online Deutschlandfunk für Kultur erfolgen.

Die Reihenfolge für die besten Filme:
ANG PANAHON NG HALIMAW
TRANSIT
IN DEN GÄNGEN
TWARZ
DOVLATOV
ISLE OF DOGS
LAS HEREDERAS
........
FAZIT: viele Übereinstimmungen mit unseren Einschätzungen 

Foto:
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