berl18 ananbrunsSiegerehrung schließt die  68. Filmfestspiele von Berlin 2018 ab

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Man hat sich fast schon ein bisschen daran gewöhnt, dass es auf Preisverleihungen ungerecht zugeht. Ob auf internationalen oder nationalen Filmfestivals: Immer häufiger treffen Juroren eine schwer verständliche Wahl.


Auf der 68. Berlinale kam es besonders arg, gewann doch mit „Touch me not“ just die ärgerlichste Produktion den Goldenen Bären, sie hatte eigentlich im Wettbewerb nichts zu suchen. Die professionelle Urteilskraft der Jury unter seinem Präsidenten Tom Tykwer muss man somit ernstlich anzweifeln.

Die rumänische Regisseurin Adina Pintilie zeigt Menschen mit Phobien und Behinderungen, die ihre Berührungsängste überwinden wollen, sie begeben sich zu diesem Zweck in Therapie oder bestellen sich wie die Protagonistin Laura einen transsexuellen Callboy.

Mit Intimität, deren Wesen ergründet werden soll, hat das alles wenig zu tun, sind doch hier Prostituierte und Aktivisten am Werk. Bezeichnenderweise will der von Laura bestellte Callboy keine Auskünfte zu seinen Tätowierungen geben, das sei ihm zu persönlich. Stattdessen sehen wir ihm dabei zu, wie er duscht und masturbiert. Pintilie exponiert viele solcher nackten Körper, und dies oftmals von unvorteilhafter, voyeuristischer und auch abstoßender Seite.

Nicht recht glücklich wurde man auch mit dem zweitwichtigsten Preis der Großen Jury, den die Polin Malgorzata Szumowska gewann. „Twarz“ legt zwar mit erfrischend satirischem Witz tief den Finger in die Wunden der bigotten, nationalistischen polnischen Gesellschaft, aber bisweilen wirkt der Humor, stark überzeichnet, auch ein bisschen plump und billig. Zum Beispiel in jener Szene, in der eine junge Frau im Beichtstuhl ihr Fremdgehen gesteht und der Priester nach den Details ihrer sexuellen Praktiken forscht.

Im Zentrum der Geschichte steht ein junger Außenseiter, der nach einem Arbeitsunfall mit einem entstellten Gesicht leben muss. Von ihm erfährt man nur seine Vorliebe für Heavy Metal, ansonsten bleibt er einem fremd.

Unter den besseren Beiträgen innerhalb des Wettbewerbs fanden gerade einmal zwei die Aufmerksamkeit der Jury: „Dovlatov“, das elegische Porträt russischer Literaten und Intellektuellen in der Breschnew-Ära gewann mehr als verdient den Bären für eine herausragende künstlerische Leistung. „Las Herederas“, die unspektakuläre Geschichte einer lesbischen Frau, die sich aus ihrem Trott freischwimmt, als ihre Lebensgefährtin ins Gefängnis muss, indem sie wohlhabende Frauen im Auto durch die Gegend kutschiert, honorierte die Jury als einen Beitrag, der neue Perspektiven eröffnet, mit dem Alfred Bauer Preis und einem Bären für Ana Brun als beste Hauptdarstellerin.

Wie aber konnte es geschehen, dass das mit vier Beiträgen stark vertretene deutsche Kino bei den Hauptpreisen völlig leer ausging? Als würdige Kandidaten hatten sich vor allem Emily Atefs Romy Schneider-Film „3 Tage in Quiberon“ und Thomas Stubers subtile Liebesgeschichte „In den Gängen“ empfohlen. Von Sklaven der modernen Arbeitswelt, Zeit-, Leih-, und Lagerarbeitern erzählt diese leise Studie, die aus Kritikersicht ein starker Favorit für den besten Film war, zumindest aber den unabhängigen Preis der Ökumenischen Jury gewann.

Die trostlose, sterile Landschaft eines ostdeutschen Großmarkts spiegelt sich hier in den Seelen der drei Hauptfiguren, von denen keiner emotional aus sich herausgeht und jeder ein Geheimnis hütet. Franz Rogowski ist Christian, der wortkarge, gehemmte Neue in der Getränkeabteilung. Sein ruppiger, aber gutmütiger Kollege Bruno (Peter Kurth) lernt ihn an. Christian verliebt sich in Marion, die forsche Prinzessin aus den Süßwaren (Sandra Hüller), aber sie ist verheiratet. Um ihre Ehe sei es nicht gut bestellt, wird gemunkelt, aber das klärt sich nicht auf, in den Gängen lässt es sich über Gefühle nicht gut reden. Umso anrührender wirkt es, wie sich in den vielen kleinen Zeichen der Aufmerksamkeit das Unausgesprochene doch irgendwie vermittelt, zu ihrem Geburtstag schenkt der Unbeholfene Marion ein kleines Stück Kuchen mit einer Kerze darauf.

Stuber entdeckt das Spektakuläre im Unspektakulären, zeigt, wie Marion und der „Frischling“, wie sie ihn nennt, am Kaffeeautomaten treffen oder Christian dabei, wie er sich mit dem Gabelstapler schwer tut. In der schönsten und melancholischsten Szene kommen sich die beiden im Kühlraum näher, ganz dicht bewegen sich ihre Gesichter aufeinander zu, als wollten sie sich küssen. Aber sie berühren sich nur an den Nasen, so wie die Eskimos, wenn sie sich begrüßen.

Foto: 
Der paraguayische Film LAS HEREDERAS bekam als einziger zwei Preise: den Alfred-Bauer-Preis für neue Perspektiven sowie den Darstellerinnenpreis für Ana Brun, hier im Bild 
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