berl18 barHanswerners BERLINALE Tagebuch (11)

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - Die 68. Berlinale endete am Samstagabend mit der Vergabe des Goldenen Bärens für die fragwürdige Selbsterfahrungs-Dokumentation „Touch Me Not“. Doch das war nicht die einzige befremdliche Entscheidung der Internationalen Jury, die nämlich keinen der wirklich guten Wettbewerbsbeiträge aus Deutschland berücksichtigte.

Festivalleiter Dieter Kosslick wirkte ebenso entsetzt, wie später Kritikerinnen und Kinofans, als der deutsche Jury-Leiter Tom Tykwer den Gewinnerfilm des Wettbewerbs bekanntgab. Schon zu Beginn des Abends hatte er verkündet: “Wir wollen nicht nur auszeichnen, was Kino kann, sondern auch, wo es hingehen kann.“

In „Touch Me Not“ begleitete die rumänische Regisseurin Adina Pintilie sieben Jahre lang einige - unterschiedlich in ihrem Körpergefühl beeinträchtigte Menschen - bei der Bearbeitung ihrer gestörten Beziehung zu sich selbst und anderen. Auch wenn es dabei viel um Nacktheit, körperliche Annäherung und gezeigter Sexualität ging, ist diese Dokumentation kein „radikaler Experimentalfilm.“ Ein Begriff der sich in der Nacht der Preisverleihung schnell im Internet verbreitete. Die intimen therapeutischen Erfahrungen der abgelichteten Menschen werden ohne Distanz vermittelt und sollen das Publikum ermuntern, sich im Kino (!) gleichfalls diesen intimen Raum zu schaffen. Der Berliner Tagesspiegel“ kommentierte das Ansinnen bereits nach der Premiere als „Geiselnahme des Publikums.“

Der paraguayische Streifen „Les Herederas“ erhielt zu recht zwei Silberbären, einmal den Alfred-Bauer-Preis „für einen Film, der neue Perspektiven eröffnet“ sowie für die Darstellerin Ana Brun als beste Schauspielerin. Eigenartig dunkle, fast immer unscharfe Bilder zeigen, wie sich die ältere lesbische Chela von ihrer Partnerin löst und ein selbständiges Leben beginnt. Zugleich offenbart der Film, wie in dem patriarchalischen Land Frauen unsichtbar und machtlos geworden sind. Den Bär als bester Schauspieler empfing Anthony Bajon, der in „La prière“ einen jungen Mann gibt, der in einer abgelegenen christlichen Einrichtung seine Drogenabhängigkeit überwindet.

Mit dem großen Preis der Jury wurde die furiose polnische Regisseurin Malgorzata Szumowska bedacht, die schon häufig auf der Berlinale vertreten war. In ihrem beklemmenden Streifen „Twarz“ zeigt sie, wie Menschen mit einem lebenshungrigen jungen Mann in ihrem Dorf umgehen, nachdem bei einem grässlichen Unfall sein Gesicht entstellt wurde.

Wess Andersens hinreißender Zeichentrick-Film „Isle of Dogs“, eine gesellschaftliche Parabel auf die Ausgrenzung von Hunden, bekam den Regiepreis. „Ich bin ein Berliner!“, rief der quirlige Bill Murray in den Saal, als er für Andersen den Bären entgegen nahm. Wie andere prominente Akteure hatte er den Figuren seine Stimme geliehen.

Den Silberbären für eine besondere künstlerische Leistung erhielt Elena Okopnaya für die Ausstattung des russischen Films „Dovlatov“. Er enthüllt, wie der gleichnamige Dichter in den 1970er-Jahren und Gleichgesinnte in der Sowjetunion ausgegrenzt wurden, quasi Berufsverbot bekamen - und doch ihre Lebenslust nicht verloren. Der Bär für das beste Drehbuch ging, etwas überraschend, an die Mexikaner Manuel Alcalá und Alonso Ruizpalacios für den spannenden Streifen „Museo“. Übermütig stehlen zwei Studenten an Heiligabend den halben Maya-Schatz eines Museums, den sie natürlich nirgendwo verkaufen können.

Keiner der vier deutschen Beiträge wurde mit einem Preis bedacht, obwohl der Romy-Schneider-Film „3 Tage in Quiberon“ oder Christian Petzolds mutige Umsetzung des Romans „Transit“ von Anna Seghers, wirklich großes, internationales Kino sind. Neben den Bären wurden zahlreiche weitere offizielle und inoffizielle Preise auf der Berlinale vergeben.