f pankraz josef bierbichler undSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 22. März 2018, Teil 13

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Niedergeschlagen sitzen sie sich gegenüber, Pankraz und Semi, sein entfremdeter, ungeliebter Sohn. Als letzte Gäste einer Trauerfeier zu Ehren von Semis verstorbener Mutter versuchen sie sich mit einem Gespräch nach jahrelangem Schweigen.

„Ich muss mich erinnern“, sagt der Witwer und rekapituliert, inspiriert von alten Fotos, in Rückblenden seine eigene Vergangenheit, die von Traumata ebenso wenig verschont war wie die des Sohnes.

Josef Bierbichler, dessen erste und bis dato einzige Regiearbeit „Triumph der Gerechtigkeit“ mehr als 20 Jahre zurückliegt, hat sich mit seiner Chronik einer über drei Generationen zerrüttenden bayrischen Familie viel vorgenommen, scheitert aber keineswegs an seinen hohen Ansprüchen. Im Gegenteil: Sehr bewegend lässt der 69-Jährige fast ein ganzes Jahrhundert Zeitgeschichte aufleben, als wäre das Filmemachen sein Hauptberuf.

Zwar gibt sich „Zwei Herren im Anzug“ als ein Stück sperriges, verstörendes Kino auch mit Ecken und Kanten. Aber solche bemerkenswerten Epen gebiert das deutsche Kino nicht alle Tage, weshalb es befremdet, dass sowohl die Berlinale als auch der Bayerische Filmpreis den Film gänzlich ignoriert haben.

Derart tief hinein gekniet hat sich Bierbichler zuvor in kein anderes Sujet. Das mag auch damit zutun haben, dass die Rückschläge, die die Familie zwischen 1914 und 1984 zu verkraften hat, auf Bierbichlers persönlichen Erlebnissen basieren. Die Vorlage bildet folglich auch sein eigener imposanter Roman „Mittelreich“, aus dem auch ein Theaterstück wurde.

Die Chronik fokussiert auf ein bayrisch-katholisches Milieu, das sich in seiner Borniertheit und Bigotterie mitschuldig gemacht hat, an der Judenvernichtung und am Missbrauch in Internaten. Bierbichler selbst verkörpert Pankraz und auch dessen Vater gleich dazu.

Wer hätte gedacht, dass dieser innerlich fast versteinerte Alte in jungen Jahren beinahe Opernsänger geworden wäre? Vor allem die Helden in den Musikdramen Richard Wagners, für die er mit seiner hellen, großen Stimme prädestiniert war, haben es ihm angetan. Aber dann kehrt sein älterer Bruder mit einem Kopfschuss als psychisches Wrack aus dem Ersten Weltkrieg zurück, und das bedeutet das Ende der geplanten, aussichtsreichen Künstlerkarriere, muss doch der Tenor nun nach dem Willen seines Vaters das ungeliebte Erbe der Seewirtschaft übernehmen.

Dort sind ihm nur wenige unbeschwerte Jahre vergönnt, in denen er Theres heiratet, die ihm seinen Sohn Semi gebiert. Martina Gedeck, die man auf der Leinwand allzu oft schon in Apathie versinken sah, verkörpert hier einmal grandios einen anderen, aufmüpfigeren Frauentypus. Nicht, dass sie sich gegen ihren frustrierten, herrschsüchtigen Mann resolut auflehnen würde, aber zumindest lässt sie sich von ihm nicht einschüchtern und hält selbstbewusst zu ihrem Sohn, den Pankraz zunehmend verteufelt, weil er der Kirche den Rücken kehrt.

Intime Dialoge, in denen solche Streitigkeiten und Lebenslügen aufbrechen, bescheren dem Film seine stärksten Momente.

Seine Zeit als Soldat im Zweiten Weltkrieg und sein Mitläufertum hat Pankraz völlig verdrängt, nur „weiße Landschaften“ sieht er noch. Brüchig sind auch die Erinnerungen an jene dramatische Nacht im Jahr 1954, als ein Sturm die Wirtschaft beinahe zerstört. Ein Selbstmordversuch im See scheitert, Pankraz landet auf einer Eisscholle und ist fortan ein gebrochener Mann.

Eine provokante Szene, in der sich der Sohn mit ödipaler Absicht ins Bett der moribunden, sterbenden Mutter legt, überschreitet zwar die Grenze des Erträglichen, aber das verkraftet ein Film, der bei alledem als pralles, wuchtiges Ausstattungsstück beeindruckt. Bauernstadel trifft da auf Pasolini, schöne Postkartenlandschaften auf böse Dörfler, und der Ton wechselt treffend zwischen Mundart, Liturgie und Blasmusik.

Und dann sind da noch die beiden unbekannten Herren im Anzug, die an Samuel Becketts Geschöpfe Wladimir und Estragon erinnern, hier aber nicht auf Godot warten, sondern auf den Sinn, den Pankraz mit seinen Erinnerungen in sein Leben bringt. Am Ende schwimmen ihre Hüte auf dem See.

Foto:
© Verleih

Info:
BESETZUNG
Pankraz / Seewirt        JOSEF BIERBICHLER
Theres                          MARTINA GEDECK
Pankraz jung / Semi erwachsen SIMON DONATZ
Philomena                    IRM HERMANN
Hertha                          SARAH CAMP
Spezialist / Herren im Anzug     JOHAN SIMONS
Laie / Herren im Anzug              PETER BROMBACHER