f tranSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 5. April 2018, Teil 7

N.N.

Berlin (Weltexpresso) - Ja. Ich glaube, man kann eine Flucht nur als eine Liebesgeschichte erzählen. Die Liebe braucht Zeit, aber die Liebe hat auch etwas, was die Flucht nicht zerstören kann. Liebende können sich ihren eigenen Raum und ihre eigene Zeit schaffen. Sie können aus der Geschichte aussteigen. Das ist das Schöne.

Marie wirkt ambivalent, zwischen Hingabe und Berechnung.

Die Paula Beer sagte in der Vorbereitung, dass die Marie im Roman, obwohl die Autorin eine Frau ist, wie eine männliche Projektion ist. Die ist wie eine Jeanne d’Arc der Flüchtlinge. Sie wird physisch gar nicht wirklich beschrieben, man hat gar keine Vorstellung von ihr. Was ich dann bei Anna Seghers sehr schön fand, ist, dass sie ein doppeltes Spiel zu spielen scheint, sie ist eben nicht rein und heilig. Aber im Gegensatz zu Georg kennt sie Schuldgefühle. Sie hat ihren Mann verlassen, und sie möchte nicht aufs Schiff steigen, bevor sie diese Schuld nicht getilgt hat. Sie sagt: „Ich muss meinen Mann finden. Ich bin gegenwärtig, ich liebe, aber ich kann kein neues Leben anfangen, wenn das alte verschuldet ist.“ Mit einem Betrug kann sie nicht leben.


Warum haben Sie sich für Cinemascope als Bildformat entschieden?

Mir war wichtig, dass die Räume eine Choreografi e zulassen, wo die Figuren nicht nur über die Dialoge miteinander kommunizieren, sondern wo sie mit ihrer Anwesenheit, ihren Bewegungen, mit dem Abstand, den sie zueinander haben, wesentlich mehr erzählen können, als wenn sie dauernd von sich reden. Cinemascope lässt diesen Bewegungsraum zu, damit konnten wir lange Plansequenzen machen und der Choreografi e der Schauspieler folgen. Wenn die Marie zum Beispiel zu Georg ins Zimmer kommt, an ihm vorbeigeht, zum anderen Fenster geht, er dann hinter ihr hergeht ... Das haben wir lange geprobt, bis diese Choreografi en standen.


Wie haben Sie Franz Rogowski und Paula Beer gefunden, Ihre Hauptdarsteller?

hwk transitFür den Georg habe ich einen Schauspieler gesucht, dem man abnimmt, dass er sich durchschlägt, der eine bestimmte Körperlichkeit hat. Beim Schreiben hatte ich ein bisschen an Belmondo in „Außer Atem“ gedacht. Simone Bär, mit der ich immer das Casting mache, und auch Bettina Böhler hatten mir gleich Franz Rogowski vorgeschlagen, den ich aus ‚Love Steaks‘ kannte. Das erste, was Franz sagte, als wir uns dann getroffen haben, war, dass ihm der Flipper-Automat nicht gefallen würde, der in der Szene im Pariser Café auftauchte. Flipper-Automaten würde es nicht mehr geben, das käme ihm vor wie eine Reminszenz an die 60er Jahre, aber es ginge in dem Film ja darum, dass das Heute und das Gestern ein Raum wird. Er hatte völlig Recht, den Flipperautomaten habe ich sofort wieder rausgenommen.

Auf Paula Beer hat mich François Ozon aufmerksam gemacht. Ich kannte sie nur als junges Mädchen bei ‚Poll‘, aber ich wusste nicht, wie die weitere Entwicklung bei ihr war. François hatte mir erlaubt, Muster von ‚Frantz‘ zu sehen, bevor der Film rausgekommen ist, und ich war total beeindruckt. Die Paula ist 22, ich weiß nicht, wo sie diese Erwachsenheit hernimmt. Sie hat eine Lebenserfahrung und gleichzeitig eine jugendliche Anmutung, wie ich das vorher noch nicht gesehen habe.


Spielte die Aktualität des Flüchtlingsthemas eine Rolle für die Arbeit an ‚Transit‘?

Ich finde, man muss da immer aufpassen. Als wir ‚Transit‘ vorbereitet haben, wurde z.B. das Lager in Calais geräumt, der sogenannte Dschungel. Und manche Leute sagten: Das müsst ihr aufnehmen, ihr müsst die afrikanischen Flüchtlinge zeigen, die Fluchtboote, die angespülten Leichen in Lampedusa. Aber das geht nicht. Ich kann das nicht, afrikanische Flüchtlinge filmen, ich habe kein Recht dazu.

Ich weiß nicht, was das ist. Was wir im Film haben, ist der Maghreb in Marseille, aber das gehört zur Stadt, zur französischen Kolonialgeschichte, die ist ja da. Unsere Aufgabe ist gewesen, den Raum der Erzählung um das zu bilden, was da ist.


Der Krieg und die Gründe der Vertreibung kommen in ‚Transit‘ nur als Gegebenheit vor, sie werden nicht dramatisiert.

Ich glaube, das steckt tief drinnen, dass man auf der Flucht vergisst. Man hasst das, was einen hat fliehen lassen, und man hat keine Sprache mehr, in der man Zuhause ist und die einem die Welt eröffnet. Der Franz Rogowski hat das sehr gut begriffen. Wenn der Georg bei dem amerikanischen Konsul ist, sagt er: „Ich schreibe keine Aufsätze mehr“. Das ist der Originaltext von Anna Seghers. Und er sagt das so, als ob er in diesem Moment plötzlich alles begreift und empfindet, was er erlebt hat. Und wenn er am Ende sagt: „Der Krieg“, dann läuft es mir immer ganz kalt den Rücken herunter.

Wir hatten beim Drehen manchmal Schwierigkeiten, weil nach den Terroranschlägen in Nizza und Paris immer noch der Ausnahmezustand in Frankreich gilt. Wenn wir dann mit unseren Polizei-Einsatzkommandos durch die Straßen gelaufen sind, haben die Leute erst einmal Angst bekommen. Was mir beim Drehen so auffiel, in der Konstruktion von Gegenwart und dem Vergangenen, ist, dass dieser Moment, selber zum Flüchtling zu werden, so vorstellbar ist. Eigentlich, ganz tief drinnen, ist der Flüchtling unsere Identität.

Foto:
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Info:
Darsteller

Franz Rogowski       Georg
Paula Beer               Marie
Godehard Giese      Richard
Lilien Batman          Driss
Maryam Zaree         Melissa
Barbara Auer           Die Frau mit den zwei Hunden
Matthias Brandt       Barkeeper / Erzähler
Sebastian Hülk        Paul
Emilie de Preissac  Hotelbesitzerin Paris