
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die Nacht der Nächte? Soll das die Hochzeitsnacht sein? Denn im Film geht es überhaupt nicht um Nächte, zumindest nicht, wenn man gut schläft, sondern doch eher darum, wie man die Tage zusammen aushält, wenn man Jahrzehnte verheiratet ist und zusammen leben bleibt.
Auf der einen Seite ist dieser Film der beiden Schwestern Yasemin und Nesrin Samdereli, die mit ihrer Komödie ALMANYA – WILLKOMMEN IN DEUTSCHLAND einen gewaltigen Zuschauererfolg einfuhren, spannend, wenn man lange zusammenlebende Ehepaare quer über Kontinente nach ihrem Leben befragt, auf der anderen Seite sind jedoch die kulturellen Unterschiede derart gewaltig, daß man nicht einfach ohne die Informationen über die Gesellschaft dieser Länder das was das Paar über sein gemeinsames Leben erzählt, einschätzen kann. Und nicht nur das. Die ökonomische Situation eines Paares wäre auch etwas, was man hätte thematisieren müssen. Das fällt einem später bei Norman und Bill auf, die als einzige ein gleichgeschlechtliches Paar bilden.

Es kommt einem so vor, als ob sie längst so aufeinander eingespielt sind, daß die Automatismen klappten, wobei das Interessante einem dann wird, daß diese Ehe aus den individuellen Unterschieden zu einer wurde. Denn im Detail, in einzelnen Lebensfragen und Verhaltensfragen, bestimmten gerade die Unterschiede zwischen beiden die gelebte Harmonie.

Noch heute merkt man beiden das unterschiedliche Erleben des anderen an, denn Kampala ließ sich sehr sehr lange bitten, sie war erst einmal einfach nicht verliebt in Hampana. Das änderte sich, aber dann war seine Familie nicht nur gegen die Heirat, sondern seine Mutter wollte sich darob gleich umbringen. Das tat sie nicht und auch andere Voraussagen traten nicht ein und so sind die beiden zur Entstehung des Films 53 Jahre verheiratet. Da ihr gemeinsames Leben für Indien eine erzählenswerte Geschichte ist, haben sie Geschichten geschrieben und dafür Preise gewonnen.

Die interessanteste Geschichte für mich war die von Shigeko und Isao Sugihara aus Japan. Schon deshalb weil dem ganzen Harmoniegehabe hier ein knallharter Realismus entgegen gesetzt ist, der aufzeigt, wie schwierig noch immer die Rollen von Frauen ist. Zwar ist seit der Zeit, wo der Onkel für die nutzlose Esserin in der armen Familie einen Ehemann suchte und in Isao fand, schon länger vorbei, aber noch immer gibt es arrangierte Ehen. Hier kam die harte Tagesarbeit hinzu. Denn Isao war Reisbauer, brauchte also eine Frau, die mit anpacken konnte und genau das wollte Shigeko nie machen, denn auch sie kommt aus bäuerlichem Haus, dem sie zu entfliehen versuchte. Aber damals hatte ein Mädchen zu gehorchen.
Aber als sie dann einige Jahre zusammenarbeiteten und lebten und auch ein Kindchen gekommen war, da wurde ihr alles über – sie packte und verließ mit dem Kind den Mann. Wohin? Ja, wohin wohl, die Eltern waren die einzige mögliche Station. Doch die waren schockiert, denn die Tochter machten Schande – für die Eltern, für den Ehemann. Also wurde sie zurückgeschickt. Und tatsächlich konnte sich Shigeko nach und nach an ihren Mann gewöhnen, ja sogar lieben lernen. Hier berührt eben, daß man kein Postkartenidyll serviert bekommt, sondern den Hauch vom wirklichen Leben spürt und wie sich Menschen am eigenen Schopf aus dem emotionalen Sumpf ziehen.
Die beiden Japaner waren am längsten verheiratet: 63 Jahre. „Waren“ deshalb, weil Anfang 2017 Isao gestorben ist.
Doch, das ist berührend, aber man geht dennoch etwas ratlos aus dem Film heraus, weil man sich ja überlegt, das hier waren vier Paare, aber die vielen Millionen, die man nicht kennengelernt hat, die zeigen, daß es einfach etwas unmotiviert ist, vier Ehepaare, deren Leben so unterschiedliche verläuft, hintereinander – oder besser, wie hier: ineinander verschachtelt – ablaufen zu lassen.
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Info:
Besetzung - Die Ehepaare
Hildegard & Heinz Rotthäuser
Kamala & Nagarajayya Hampana
Shigeko & Isao Sugihara
Norman MacArthur & Bill Novak