f wildbeideSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. April 2018, Teil 3

N.N.

Mecklenburg-Vorpommern (Weltexpresso) – In WILDES HERZ geht es um Punk und Lokalpatriotismus – wie passt das zusammen?  
Für mich gar nicht. Das eine, Punk, ist eine Erkenntnis über die Struktur des Lebens und das andere, Lokalpatriotismus, ist ein sehr persönliches und extrem spezielles Empfinden.


Ist WILDES HERZ eher ein persönlicher oder ein politischer Film?

Für mich ein persönlicher Film, da mir in der Transparenz, Vielfarbigkeit und Unbedingtheit Jan „Monchi“ Gorkows soviel an Erfahrung, Ehrlichkeit und Mut im und zum Leben begegnet, dass ich es erzählen musste. Diese innere Klarheit und Absolutheit ist das Quentchen, das mir in Begegnungen und Erfahrungen im nicht beruflichen Alltag oft fehlt.


Jan „Monchi“ Gorkow ist aufgewachsen in einer Zeit, die vom politischen Wandel der letzten Jahrzehnte geprägt war. Ist sein Werdegang repräsentativ für die junge Generation, die heute in Mecklenburg-Vorpommern lebt?

Zumindest in der Weise, dass die Kinder und Jugendlichen, welche um den Mauerfall herum geboren wurden, den Umgang einer Elterngeneration mit einem krassen Lebens- und Umstandswandel erlebten und oft innerhalb kürzester Zeit viele neue und zum Teil radikale Lebensentwürfe der Eltern mittrugen. Es gibt natürlich viele biografische Wege und Farben in Mecklenburg-Vorpommern seit 1989, aber alle Kinder und Jugendliche hatten dort in den letzten fast 30 Jahren einerseits das schönste Bundesland um sich herum, andererseits sich permanent – bis heute – verändernde Strukturen im Alltag und mehr oder weniger Auseinandersetzungen mit rechten und rechtsradikal gesinnten Jugendbewegungen.


WILDES HERZ ist dein erster Kinofilm. Warum hast du dich für die dokumentarische Form entschieden und wie kam es zu der Geschichte über Monchi und FEINE SAHNE FISCHFILET?

Es hat sich ergeben. Erst gab es den MecklenburgVorpommern-Teil in 16 x DEUTSCHLAND. Daraus entstand beim Sender die Idee und der Vorschlag an mich, etwas Längeres zu machen, was für mich erst einmal absolut undenkbar war. Langfilm hui und Doku huibuh. Das kann man nicht so einfach machen, dachte ich. Erst nach einigem Hin und Her, verbunden mit der Frage, was fehlt einem selbst im Filmangebot, stieß ich in meiner Erinnerung immer wieder auf die Erstbegegnungen mit Monchi und FEINE SAHNE FISCHFILET. Die schon von mir beschriebene Klarheit, Ambivalenz und Autonomie in ihrem Denken und Tun hat mich in Bezug auf das demokratische Lebensmiteinander in unserem Lande interessiert. Als ich dann den dokumentarisch erfahrenen Martin Farkas an der Kamera haben durfte und Sebastian Schultz mir zusicherte, Producer und Cutter zu sein über all die Zeit, traute ich mir zu, das Ding anzugehen.


Mecklenburg-Vorpommern wurde nach der Wende oft mit dem Klischee der ostdeutschen Tristesse verbunden. Möchte und kann der Film dem etwas entgegensetzen?

Ehrlich gesagt, keine Ahnung. Ich hab den Film nie unter diesem Aspekt bearbeitet oder betrachtet. Also explizit möchte der Film das nicht. Mecklenburg-Vorpommern ist das, was es ist – mit all seiner Schönheit, Lieblichkeit, Rauheit und zerrissenen und einzigartigen Geschichte. Wenn Menschen das als trist empfanden oder empfinden, dann ist das ja ihr Empfinden. Ich finde dafür München sehr trist.


Was bedeutet der Begriff „Heimat“ für dich?

Hör ich „Heimat“, denke ich an Stille, absolute Sicherheit und Ruhe. Schutz und Licht und Verspieltheit. Ich komme aus dem Süden Mecklenburgs. Das empfinde ich als meine Herkunftsheimat. Die paradiesische Natur, die bescheidene Verschlossenheit der Menschen. Und ich bin in der DDR groß geworden, das ist politische Heimat. Eine Zeit, in der das Schweigen, das Umdeuten und das Nicht-alles-überall-sagen wesentlich war, um im sozialen Raum zurechtzukommen. Wen grüßt man? Wen nicht? Wen muss man fürchten? Wer hilft einem immer? Wer beschützt uns? Und in der Nachbarschaft war alles nah. Das sind meine Heimaten. Über die Jahre sind dann die Arbeitswelten der Schauspielerei natürlich auch Heimaten geworden – als Gegengewicht und Alternative.


Inwiefern weist die Geschichte von Monchi und der Band über das Land Mecklenburg-Vorpommern hinaus?

Sie sind keine Laberer. Wenn ihnen was im Herzen brennt und sie unter Verhältnissen nicht klar kommen, dann handeln sie. Legen los und verstecken sich nicht in Furcht, Angst oder Verdrängung. Sie tun was! Und das braucht es immer überall. Was tun, wenn es brennt!


Was kann sich das Publikum von dem Film erwarten?

Energie, Zusammenhalt und eine FEINE SAHNE Geschichte.


Was ist für dich das Besondere an der Biografie Monchis?

Man mag gern glauben, dass er vielleicht aus sehr prekären, radikalisierten und gewaltbereiten Verhältnissen stammt – ihm also alle seine Farben schon mit in die Wiege gelegt wurden. Dass er also das perfekte Klischee vom gewaltbereiten Hool, der bei der Antifa landet, ist. Dass er aber aus einer gelebt-protestantischen Familie stammt, was in der DDR durchaus auch eine aktive, stille Form der Opposition war, die eine lange unternehmerische, bürgerliche Geschichte hat und sehr verwurzelt ist in diesem Landstrich in Vorpommern, das war eine der ersten Überraschungen während des Hinterherspürens. Wenn man ihn dann erlebt und kennenlernt, erfährt man dauerhaft, dass diese Wurzeln die sind, die in der Wiege waren. Das andere, der Hool, der Antifa, der Sänger, der Einheizer, der Monchi, das ist die Summe seiner selbst und der Umstände außerhalb seines Elternhauses, die ihn zu diesem herrlich ambivalenten Zeitgenossen machen.


Der Musikdokumentarfilm ist ein etabliertes Genre. WILDES HERZ ist anders und verknüpft das Genre mit der Geschichte einer Biografie und einer Region. Was hat dich an dieser Kombination interessiert?

Das hat der Film selbst so entschieden. Nach der Sichtung all des gedrehten Materials und des Aussiebens im Schnitt innerhalb von 8 Monaten entstand der Eindruck bei Sebastian Schultz und mir, dass der Film so erzählt werden möchte. Nicht wie wir das wollen oder der Filmgott. Die Summe aller einzelnen Schritte hat diesen Film zu WILDES HERZ gemacht.



Filmografie des Schauspielers Charly Hübner
(Auswahl) 2016 MAGICAL MYSTERY 2016 VOR DER MORGENRÖTE – STEFAN ZWEIG IN AMERIKA 2015 THIMM THALER ODER DAS VERKAUFTE LACHEN 2014 BORNHOLMER STRASSE 2014 BIBI & TINA – DER FILM 2013 ELTERN 2011 UNTER NACHBARN 2008 – 2012 LADYKRACHER 2008 SAME, SAME BUT DIFFERENT 2006 DAS LEBEN DER ANDEREN 2006 KRABAT


Foto:
Charly Hübner links mit seinem Hauptdarsteller Monchi © doc-leipzig.de

Info:
Abdruck aus dem Presseheft zum Film