f eldoradoSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. April 2018, Teil 7

N.N.

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes war eine vom Januar 1942 bis 1956 dauernde Hilfsaktion zugunsten von kriegsgeschädigten Kindern aus mehreren europäischen Ländern.

Kinder, die es gesundheitlich nötig hatten oder Familienangehörige verloren hatten, und deren Zustand es erlaubte, dass sie sich in einem drei- bis sechsmonatigen Aufenthalt erholen konnten, wurden in die Schweiz gebracht und dort auf Schweizer Familien oder Pflegeeinrichtungen verteilt.

Der Ursprung der Kinderhilfe lag nicht auf Bundesebene: Unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs schlossen sich 17 Hilfswerke und Organisationen zur Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für kriegsgeschädigte Kinder (SAK) zusammen. Weil der SAK die personellen und finanziellen Mittel fehlten und sie andererseits als zu „politisch“ galt, wurde die humanitäre Hilfe 1942 unter die Schirmherrschaft des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) gestellt.

Die Einreise von Kindern mit der Eisenbahn in die Schweiz war die größte Kinderhilfsaktion während und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Von 1940 bis 1945 profitierten rund 62.000 unterernährte und kranke Kinder von den Erholungsaufenthalten. Nach dem Krieg wurden die Aufenthaltsprogramme weitergeführt und zugunsten von Kindern aus ganz Europa erweitert. Nun kamen auch aus Deutschland, Italien und Österreich erholungsbedürftige Kinder in die Schweiz. Bis zum Ende der Aktion 1956 wurden 181.000 Kinder von rund 100.000 schweizerischen Pflegefamilien betreut.

Jüdische Kinder wurden jedoch schon früh ausdrücklich von den Kinderzügen ausgenommen. Das SRK stand, wie alle nationalen Rotkreuzgesellschaften, in einer privilegierten Beziehung zur Landesregierung und war vor allem in Kriegszeiten von der politischen Linie abhängig. Und der Bundesrat stand unter großem innen- und außenpolitischen Druck. Mit humanitärer Hilfe konnte er ihn entkräften. So wurden schon früh Kinder aus den von Deutschland besetzten Gebieten in die Kinderzüge integriert, um der Schweiz einen Verhandlungsvorteil bei der Wahrung ihrer Neutralität zu ermöglichen und es kam zwischen der Vichy-Regierung und dem Schweizer Bundesrat zu dem im Film beschriebenen Handel: Für jeden jüdischen Flüchtling in der Schweiz, der ein Visum nach Amerika und ein Schiffsticket hatte, wurde ein Durchreisevisum zum Hafen von Marseille gewährt, wenn die Schweiz als Gegenleistung drei hungrige französische Kriegskinder in der Schweiz auffüttert.

Um die Zuwanderung besser steuern zu können und weil der Bundesrat wegen des Tourismus die Grenzen nicht schließen wollte, war seit 1939 eine Unterscheidung zwischen anerkannten „politischen Flüchtlingen“ und „Emigranten“ gemacht worden, die im Ermessen der Fremdenpolizei lag. Flüchtlinge „nur aus Rassengründen“ galten ausdrücklich nicht als politische Flüchtlinge. Für „nicht-arische“ Einreisende aus Deutschland galt ein Visumzwang und ein Visum durfte nur noch ausgestellt werden, wenn Gewähr bestand, dass der Ausländer die Schweiz wieder verlassen würde. Die Pässe deutscher Juden wurden darüber hinaus mit einem „J“-Stempel gekennzeichnet und damit zur Einreise in die Schweiz untauglich gemacht.

Insgesamt wurden unterschiedlichen Quellen zufolge bis zu 20.000 Menschen während des Krieges an der Grenze abgewiesen oder an die Nazis ausgeliefert, obwohl bekannt geworden war, dass diese akut von Ermordung bedroht waren. Erst 10 Monate vor Kriegsende, im Juli 1944, wurde diese Praxis gestoppt. Eine Untersuchungskommission kam 2002 zu dem Ergebnis, dass die damalige schweizerische Flüchtlingsgesetzgebung mit den Prinzipien eines Rechtsstaates nicht vereinbar war.

Giovannas Geschichte

1945 kam Giovanna Viganò mit acht Jahren auf einem dieser Kinderzüge in die Schweiz und zur Familie Imhoof. Giovanna ist ein unterernährtes Straßenkind, ihr Vater ist in Stalingrad verschollen und vermutlich tot, die Mutter ist zu krank, um sich um die Tochter zu kümmern.

1946 muss Giovanna wieder zurück nach Mailand. Die Imhoofs wollen sie länger behalten, aber man dürfe die Gefühlsbindungen nicht zu stark werden lassen, ist die Weisung vom Roten Kreuz.

Zuhause in Italien ist die Mutter immer noch krank, die Armut ist groß, es gibt zu wenig Essen, die Fenster sind seit einer Bombardierung kaputt und mit ölgetränktem Papier nur notdürftig zugeklebt. Es fehlt an allem und es ist kalt, denn es gibt kein Geld zum Heizen. Die Mutter lötet in der Küche Radioantennen für eine kleine Werkstatt. Später arbeitet sie in einer Zigarettenfabrik. Giovanna ist oft krank, hat Rheuma und ist unterernährt. Die Geschenkpakete und Geldsendungen aus der Schweiz sind zu wenig.

1949 will Familie Imhoof Giovanna (13 Jahre alt) privat wieder zurückholen (Markus ist 8 Jahre alt). Aber als ausländisches Kind in die Schweiz zu kommen ist kompliziert wegen einer Gesetzgebung zu Saisonarbeitern: Diese Saisonieniers wohnen in Baracken in der Schweiz, arbeiten vor allem auf dem Bau und müssen jedes Jahr für drei Monate zurück. Sie haben keine Rechte, Kinder mitzubringen, man will – damals wie heute - den „Familiennachzug“ verhindern. Es sind über eine halbe Million Italiener, die häufig rassistisch angefeindet werden.

Markus Vater muss für die Übernahme aller Kosten bürgen und die Ausreise garantieren. Giovanna darf einreisen. Doch bereits 1950 muss Giovanna wieder zurück nach Mailand – und wird wieder krank.vanna stirbt im selben Jahr (Markus ist 9 Jahre alt). Die Eltern Imhoof machen sich bis hohe Alter Vorwürfe.

1978: Markus lebt jetzt in Mailand, aber mit einer anderen italienischen sprechenden Frau, Giovannas Mutter betreut oft ihre gemeinsamen Kinder. Er schreibt das Drehbuch zum Flüchtlingsfilm DAS BOOT IST VOLL über die Abschiebung jüdischer Flüchtlinge aus der sicheren Schweiz zurück ins Deutsche Reich und in den sicheren Tod während des Zweiten Weltkriegs.

1981 wird der Film bei der Berlinale aufgeführt und mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet sowie ein Jahr später mit einer Oscar®-Nominierung geehrt.

Foto:
Giovanna und Markus 1945 © Berlinale

Info:
Regie & Drehbuch   Markus Imhoof
Produzenten            Thomas Kufus, Pierre-Alain Meier, Markus Imhoof
Bildgestaltung          Peter Indergand (S.C.S)
Regieassistenz/Recherche     Marion Glaser, Antonella Falconio, Giorgia De Coppi, Franziska Arnold
Montage                  Beatrice Babin (BFS)
Musik .                     Peter Scherer

Abdruck aus dem Presseheft zum Film