Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 10. Mai 2018, Teil 9
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wenn Regisseure und Regisseurinnen ihr eigenes Leben verfilmen, geht es meist sehr durchwachsen aus, bleibt heikel. Hier nicht, wenn die noch in Pakistan geborene, aber in Norwegen aufgewachsene Iram Haq eine 15jährige pakistanstämmige Norwegerin von ihrem Vater und Bruder nach Pakistan entführen läßt, wie es ihr selber geschah.
Hier wird ein so einfühlsamer wie interessanter Kulturbruch zum Thema des Films, der nur einen Fehler hat, daß man einseitig nur zur 15jährigen hält, weil man einfach nicht anders kann, weil kein Mensch, keine Macht, keine Religion, keine Sitte der Welt das Recht hat, einen jungen Menschen aus seiner vertrauten Umgebung zu entführen. Nie und erst recht nicht, wenn es zu „dessen eigenem Wohl“ geschieht, ja dann erst recht nicht, weil es andere sind, die das Wohl der 15jährigen Nisha (Maria Mozhdah, pakistanstämmig Norwegerin) festlegen. Hier der Vater.(der u.a. durch Ang Lees LIFE OF PI bekannte indische Schauspieler Adil Hussain) Aber diese Parteinahme ist unser Ding, also die Haltung der Zuschauerin, denn die Regisseurin macht es sich nicht so einfach wie wir; sie versucht, die Motive des Vaters nachzuempfinden und stellt vor allem die Welt in Pakistan für die junge Nisha zunehmend nicht als Gefängnis, sondern eben als eine andere Welt dar.
Gleich zieht einen der Film in Bann, wenn wir der nach Hause rennenden Nisha nachblicken. Warum sie rennt, wird sofort verständlich, wenn wir den Vater kennenlernen. Der ist zwar nett, aber er hat seine Prinzipien. Und das Rumgetue mit jungen Norwegern gehört ganz sicher nicht dazu. Und genau das ist es, was junge Norwegerinnen wie ihre Altersgruppen in anderen Ländern am liebsten tun. Es ist die Pubertät die Zeit des Ausprobierens des an seine, bzw. ihre Grenzen stoßenden jungen Mädchens. Natürlich ist das wie eine Schere im Kopf, das relativ ungezügelte Leben in der norwegischen Gesellschaft einerseits und das geordnete patriarchalische Familienleben andererseits. Aber man kann es leben, wenn keiner die abgeschotteten Räume stört.
Und das tut letzten Endes Nisha selbst. Sie ist eben erst 15 Jahre und keine gewiefte lebenserprobte Taktikerin. Daß sie freizügig ihren Bauch zeigt, ist so lange erlaubt, wie es woanders ist, aber daß sie zu Hause in ihrem Zimmer heimlich ihren Freund hineinläßt, das geht einfach nicht. Das sieht auch die Zuschauerin ein. Das Doppelleben ist aufgeflogen und die Reaktion des Vaters schmerzlich. Sicher auch für ihn selbst, denn seine leidvolle Miene, wenn er als Reaktion beschließt, seine Tochter in den Familienverband zu entführen – deshalb ist das Wort ‚entführen‘ richtig, weil die Tochter das nicht will, auch wenn sie nicht stark genug ist, das bei den Grenzkontrollen laut herauszuschreien, innerlich tut sie es.
Und wer je in einer muslimischen Grußfamilie zu Gast war, der weiß, wie herzlich man dort sogar als Nichtfamilienmitglied aufgenommen wird, wie erst die junge Nisha, die zwar aus einer anderen Welt kommt, aber jetzt in die heimischen Sitten, die Kleidung und Verhaltensweisen gesteckt wird. Die Darstellerin wird den hohen Anforderungen an die Rolle gerecht. Sie ist die harmlose Schülerin, die in Norwegen in ihrer Clique halt mitmacht, was die anderen tun, ein junges modernes Mädchen, nicht unbedingt ein Ausbund an Eigenständigkeit. Die entwickelt sie tatsächlich erst nach und nach in ihrer ‚Gefangenschaft‘ in Pakistan. Insofern sind die Szenen, die dort spielen, das Interessante am Film, über dessen Ende die Leser jetzt spekulieren dürfen, sagt doch die Filmemacherin von sich selbst:
„Was werden die Leute sagen erzählt meine bislang persönlichste Geschichte. Als ich 14 Jahre alt war, wurde ich von meinen Eltern entführt und gezwungen, für eineinhalb Jahre in Pakistan zu leben. Ich habe lange gewartet, bis ich mich als Filmemacherin und auch als Mensch in der Lage gesehen habe, diese Geschichte in einer klugen und vernünftigen Weise zu erzählen. In einer Weise, in der das Mädchen Nisha nicht nur als Opfer und ihre Eltern nicht bloß als Täter erscheinen.
Ich wollte die unmögliche Liebesgeschichte zwischen Eltern und ihrem Kind erzählen, eine Geschichte, die kein glückliches Ende haben kann, solange die Kluft zwischen diesen beiden Kulturen so tief ist. Ich möchte, dass das Publikum während des ganzen Films ganz nah an Nisha und ihren Emotionen ist. Nach einem langen Casting-Prozess fanden wir mit Maria Mozhdah endlich die perfekte Besetzung für die Rolle der Nisha. Sie ist eine erstaunliche Entdeckung, und es war eine große Freude, sie neben den erfahreneren Darstellern spielen zu sehen.“
Fotos:
© Verleihung
Info:
DARSTELLER
Nisha – Maria Mozhdah
Mirza – Adil Hussain
Amir – Rohit Saraf
Mutter – Ekavali Khanna
Asif – Ali Arfan
Tante – Sheeba Chaddha
Onkel – Lalit Parimoo
Salima – Jannat Zubair Rehmani
Daniel – Isak Lie Harr
Emily – Nokokure Dahl