Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Dieser spannende und unterhaltsame Dokumentarfilm von Andreas Wolff über die damals 43 jährige Hausfrau und vierfache Mutter Hissa Hilal aus Saudi-Arabien, die sich als erste Frau – natürlich verschleiert mit Niqab – 2010 am arabienweiten Wettbewerb zum „Super-Poeten“ beteiligte und einen vorderen Platz errang, kommt zu einem Zeitpunkt in unsere Kinos, wo sich in Saudi-Arabien auf der einen Seite in Richtung Frauenrechte etwas tut und gleichzeitig die durch die Frauen selbst initiierten Verbesserungen ihrer Situation zurückgenommen und diese Frauen eingesperrt werden.
Eine schizophrene und entmutigende Situation und beide Male ist dieselbe Person dafür verantwortlich, Kronprinz Mohammed bin Salman, der als Nachfolger des greisen Königs gilt und mit der Handhabe der modernen Medien für alle die Modernisierung des Landes vorantreibt, einschließlich der Frauenförderung wie Autofahren und Berufstätigkeit. Das alles aber sind technokratische Aspekte, um das Land wettbewerbsfähig zu machen, denn gesellschaftspolitisch ist der Kronprinz beinhart konservativ, ach was, reaktionär.
Gerade um Teilhabe an der Gesellschaft für Frauen aber geht es der verschleierten Protagonistin Hissa Hilal. In den vielen Beiträgen im Film, in denen Filmemacher Andreas Wolff sie zu Wort kommen läßt, erleben wir eine kluge Frau, die beides schafft, etwas zu verändern, aber sich und ihre Familie nicht der Willkür der Behörden und der von oben bestimmten öffentlichen Meinung auszuliefern. Ein schwieriger Spagat, vor dessen Ergebnis und die Art, wie der Film dies dokumentiert, man Respekt haben muß.
Und bevor es nun zur Sache geht, muß Weiteres vorgeschoben werden, was leider nicht mehr zum allgemeinen Kulturwissen gehört. Noch Goethe brauchte nur ‚west-östlicher Diwan‘ zu schreiben und seine Welt wußte, daß er auf die arabische Lyrik Bezug nimmt. Hierfür gibt es in der weitgefächerten arabische Welt mehrere Traditionen. Im Film hören wir von der speziellen Poesie der Beduinen. Schon in vorislamischer Zeit war es üblich – übrigens genauso wie in Griechenland und Rom – alle Begebenheiten des Lebens in Reimen oder Versmaßen auszudrücken. Das Lobgedicht, das Schmähgedicht, das Totengedicht, das Hochzeitsgedicht...sie alle sind Manifestationen des täglichen Lebens, aber eben lyrischer Art, wo in unseren Traditionen eher die Festrede steht.
Dieser Hintergrund läßt einschätzen, warum ABU DHABI TV eine Sendefolge MILLION‘S POET eingerichtet hat, die sich an die gesamte arabische Welt richtet, von der Kulturbehörde des Emirats politisch und finanziell unterstützt wird und ausgesprochen massenpopulär ist. Unser deutsches Fernsehen dagegen bringt die aus den USA übernommenen Super-Star-Sendungen wie die Suche nach dem angeblich schönsten Model, den Dschungel-Camp und ähnliche Peinlichkeiten. Das muß man dann doch mit aller Deutlichkeit feststellen, auf welchem primitiven Niveau bei uns Fernsehwettbewerbe ausgetragen werden, die in der arabischen Welt mit niveauvollem MILLION‘S POET ein Millionenpublikum erreichen.
Zu den Modalitäten: In der Jury sitzen drei Männer, der Wettstreit findet vor Publikum in riesigen Auditorien statt, dem ein Millionenpublikum lauscht. Das Publikum hat zudem Mitsprache, denn die Jury muß sich die Vergabe der abschließenden Preise mit dem Publikum hälftig teilen.
Auch ohne Hissa Hilal war und ist diese TV-Liveshow ein gesellschaftliches Ereignis in der arabischen Welt. Aber mit ihr schlidderte die Sendung durchaus am Skandal entlang. Und genau das erleben wir hautnah mit, wenn die Dichterin uns die Anfänge und ihre Motivation, sich am Wettstreit zu beteiligen, erzählt. Die Filmemacher Stefanie Brockhaus und Andreas Wolff haben nämlich erst nach 2010, als Hissa Hilal im Endverfahren den ersten Preis von der Jury zugesprochen bekam, der allerdings durch die Publikumsvoten dann zu einem dritten Preis wurde, in den Zeitungen davon gelesen und den Kontakt zu Hissa Hilal hergestellt.
FORTSETZUNG FOLGT
Foto:
© Verleih
Info:
D, Saudi-Arabien 2017 89 Min. OmU – Arabisch mit dt. Untertiteln
Regie: Stefanie Brockhaus, Andreas Wolff
Kamera: Tobias Tempel, Stefanie Brockhaus
Schnitt: Hansjörg Weissbrich, Anja Pohl
Der Film läuft von Mo bis Mi in Frankfurt im Kino MAL SEH'N, bei dem wir uns bedanken, daß wir diesen Film besuchen konnten, einschließlich dem Gespräch mit dem Regisseur.