N.N.
Paris (Weltexpresso) – Wann kamen Sie zum ersten Mal auf die Idee, Regie bei einem Film zu führen – und warum?
Ich wollte immer und nie Regie führen. Immer, weil meine erste Berührung mit der Welt des Films hinter einer Super-8mm-Kamera begann. Ich war 14 Jahre alt, schrieb die Drehbücher, die man in diesem Alter halt so schreibt und verfilmte sie. Und nie, weil ich schnell feststellte, dass man als Regisseur auch immer Chef ist; und das ist etwas, das ich nie sein wollte.
Über die Jahre, in denen ich als Schauspieler arbeitete, kamen immer wieder Leute zu mir und sagten: „Du schreibst Fernsehshows und führst Regie – und du schreibst Drehbücher. Du solltest auch bei diesem Film die Regie übernehmen.“ Meine fast schon automatische Antwort war dann immer, dass ich es irgendwann einmal versuchen würde, wenn ich den passenden Stoff hätte. Heute, nachdem ich diesen Schritt gemacht habe, sehe ich mich immer noch nicht als Regisseur. Ich bin der Regisseur von LIEBE BRINGT ALLES INS ROLLEN (TOUT LE MONDE DEBOUT). Man muss demütig und bescheiden bleiben. Aber ich muss auch sagen, dass mich nichts anderes zuvor derart aufgeregt, begeistert und ausgefüllt hat.
Wie ist die Idee zu LIEBE BRINGT ALLES INS ROLLEN entstanden? Jemand, der in einem Rollstuhl sitzt, muss ja nicht zwangsläufig gelähmt sein – oder gibt es da ein persönliches Motiv?
Die Idee zum Film beruht tatsächlich auf zwei Umständen. Und beide sind sehr persönlich. Eines Tages fand sich meine Mutter in einem Rollstuhl wieder – weil sie aufgrund ihres Alters nicht mehr gut zu Fuß war. Der Rollstuhl, dieses Symbol der Behinderung, wurde für sie zu einem Ausweg, weil sie endlich wieder aus dem Haus konnte. Aber sie beschwerte sich: „Damit kann ich nicht zum Weihnachtsmarkt fahren. Da gehen Treppen hoch” und so weiter. Da wurde mir etwas klar: Was ein echter Lebensretter sein kann, kann auch zum Hindernis werden. Ich musste an all die körperlich beeinträchtigten Menschen denken, die täglich damit konfrontiert sind.
Zweitens wollte ich immer eine Liebesgeschichte erzählen, in der die Unterschiede nicht kulturell oder sozial, sondern physisch bedingt sind. Das ist ein Thema, über das ich viel nachgedacht habe und das mich fasziniert. Wie wäre es, sich in jemanden zu verlieben, der körperlich beeinträchtigt ist? Da stellt man sich eine Zukunft vor, die gelinde gesagt kompliziert sein könnte. Wäre die Liebe stärker als rationale Beweggründe? Ich glaube schon. Und deswegen wollte ich diesen Film machen.
Dieser körperliche Unterschied zwischen den Protagonisten ist also das Herzstück Ihres Films?
Dieses Thema hat mich immer angezogen. Als Kind habe ich mich in ein Mädchen verliebt, das sehr stark geschielt hat. Alle haben sich über sie lustig gemacht, aber ich habe sie mit anderen Augen gesehen, wenn man das so sagen kann. Ich habe erkannt, dass ihr Anderssein ein Vorteil war; es hatte Charme. Aber ich weiß auch, dass es Mut erfordert, ein solches Anderssein zu akzeptieren, mit Jemandem sein Leben zu verbringen, der anders ist, ihn oder sie zu lieben. Ich weiß nicht, ob ich diesen Mut hätte.
Ist der französische Titel ein Verweis auf den Versprecher des Sängers François Feldman während des 10. Telethons (*Anmerkung: sehr erfolgreiche Spielshow) im französischen Fernsehen?
Unser Arbeitstitel war „Lève-toi et marche” („Steh auf und geh”), aber mir klang das nicht würdevoll genug. Der Titel wiederholt tatsächlich das, was François – der übrigens ein Freund von mir ist – gesagt hat. Alle haben über diesen Versprecher gelacht, den er sich da vor Menschen geleistet hat, die eben nicht aufstehen können. Im Endeffekt war es aber eine sehr positive Sache, glaube ich. Ob man aufsteht oder nicht ist ja auch eine mentale Frage. Außerdem sagt meine Figur im Film über Florence, die beeinträchtigt ist: „Sie denkt schneller, bewegt sich schneller und lebt mehr als wir.“ Damit meint er: „Sehr viel mehr als ich.“
Hatten Sie Angst, dass der Fokus auf eine Behinderung in einer Komödie in gewisser Weise gefährlich sein könnte?
Hatte ich. Zu Beginn habe ich bei jeder Seite, die ich schrieb, daran gedacht und darauf geachtet. Aber als ich tiefer in die Story eingetaucht bin, habe ich es total vergessen. So ist es ja auch im echten Leben. Wenn man eine Person trifft, die körperlich beeinträchtigt ist, ist man zunächst sehr bedacht darauf, was man sagt. Aber sobald die Beziehung etwas fester ist, achtet man nicht mehr darauf. Alles andere würde bedeuten, dass man die Unterschiede nicht akzeptiert, dass man eine Distanz zur anderen Person hält. Es war mir ein wichtiges Anliegen, mich über niemanden lustig zu machen. Ich hoffe, das kann man im Film klar sehen.
Wollten Sie über den Charakter Jocelyn auch Klischees und Vorurteile angreifen?
Ja, natürlich. Ich wollte all die dummen Sachen zeigen, die aus Ignoranz gesagt werden, und die verschwinden, sobald man mit Liebe auf die andere Person schaut. TOUT LE MONDE DEBOUT (Steht alle auf) ist auch ganz explizit an Jocelyn gerichtet. Der Titel sagt zu ihm: Steh‘ auf, erhebe dich. Denn am Ende ist er mit Sicherheit der mit der größeren Beeinträchtigung.
Die meisten Ihrer Charaktere wiederholen öfter, dass es nicht in Ordnung ist, über eine Behinderung zu lügen. Ist das eine Frage der Moral – oder des Betrugs?
Des Betruges. Ich wollte eine Situation schaffen, die man schwer vergeben kann, aber die trotzdem „vergebbar“ sein kann. Er betrügt sie. Doch sie sieht lediglich die [einfache] Lüge, weil sie ihm vergibt. Sagen wir einfach, dass diese Lüge, die zu seinem Betrug führt, im Endeffekt für ihn schwerer wiegt als für sie.
Woher kam die Idee für diesen Charakter: Ein Lügner, Schwindler, der eigentlich erfolgreich ist, aber konstant versucht, jemand anderes zu sein?
Sein Bruder sagt zu ihm: „Du liebst sie nicht; deswegen versteckst du dich.“ Er sieht andere Menschen nicht, weil er sich selbst nicht in die Augen sehen kann. Er ist voller Fehler. Wir können davon ausgehen, dass das, was er versteckt, sehr viel interessanter ist als das, was er uns sehen lässt. Das ist sicher das wichtigste autobiographische Element in dem Film. Ich mag mich selbst nicht sonderlich, obwohl ich mit der Zeit gelernt habe, mich zu schätzen. Ich habe mich oft selbst belogen. Ich konnte mich nicht im Spiegel ansehen. Ich war nie ich selbst, wenn ich auf andere attraktiv wirken wollte. Jemand anderes zu sein war sehr viel befriedigender. Außerdem wollte ich, dass Jocelyn in seiner Lüge schöner wird, als er in der Realität ist. Er ist eigentlich ein eher hässlicher Mensch. Im Rollstuhl ist er dann definitiv schöner als in seinem protzigen roten Porsche.
Sollte LIEBE BRINGT ALLES INS ROLLEN von Anfang an eine Komödie werden?
Wie bei meinen Shows habe ich mit dem dramaturgischen Höhepunkt begonnen, also mit dem am Ende knapp vermiedenen Unfall. Von dort arbeitete ich mich zurück und fügte die Comedy ein. Aber es gibt auch viel Zärtlichkeit und Liebe in dieser Geschichte. Es ist eben eine romantische Komödie.
Es gibt eine sehr schöne Szene, sehr romantisch, die in einem Swimmingpool stattfindet. Haben Sie die genauso geschrieben, wie wir es jetzt am Ende im Film sehen?
Ja, es war genauso geschrieben. Und ich muss ein großes Lob an alle unsere Techniker aussprechen. Wir suchten nach einem Haus mit Pool, dessen Abdeckung per Fernbedienung in das Wasser versenkt werden kann. Warum? Weil ich mir Gedanken darüber machte, wie die beiden das erste Mal miteinander schlafen würden. Aus verschiedensten Gründen wollte ich nicht, dass es in einem Bett geschieht. Im Pool schweben sie. Wenn ihre Rollstühle auf den Grund sinken, sind sie von allen Beschränkungen befreit.
Produzent, Regisseur, Drehbuchautor, Hauptrolle im Film: Sie hatten viele Funktionen in dieser Produktion. Wollten Sie die Kontrolle über alles behalten?
Ich musste diese Rollen ja nicht alle zur selben Zeit ausfüllen. Als ich das Drehbuch geschrieben habe, wusste ich noch nicht, ob bzw. dass ich Regisseur oder Schauspieler im Film sein werde. Gott sei Dank! Denn so habe ich mir die Rolle nicht auf den Leib geschrieben. Darunter hätte möglicherweise die Story gelitten. Als ich mit dem Schreiben fertig war, entschied ich mich, Regie zu führen. Und dann hat der Regisseur sich selbst gefragt, ob er mich als Schauspieler anheuern sollte. Unsere Finanziers rieten mir, es zu tun.
Welche Schwierigkeiten haben Sie als Regisseur erlebt, die Sie nicht haben, wenn Sie „nur“ Schauspieler sind?
Abgesehen von der Tatsache, dass man natürlich mehhr Arbeit hat, war es für mich besonders schwer, als Regisseur-Schauspieler sagen zu können: „Aus, dieser Take war gut.“ Wenn man Regisseur und Schauspieler gleichzeitig ist, kann man sich auf niemanden außer sich selbst verlassen. Man muss sich selbst einschätzen und bewerten können. Man muss sich also direkt nach der Szene alle Takes ansehen – das tue ich nie, wenn ich nur spiele. Ich hasse es sogar.
Zu Beginn der Dreharbeiten habe ich mich selber vernachlässigt. Ich wollte selber nicht zu viele Versuche pro Szene machen, um keine Zeit zu vergeuden. Für mich, der ohnehin niemals zufrieden ist, war das wirklich kompliziert. Ich war quasi konstant am Rande der Schizophrenie. Aber dann habe ich mich irgendwann entspannt, weil die ganze Umgebung und die Leute um mich herum so gut waren.
Wie haben Sie die weiblichen Darsteller für Ihren Film ausgewählt – allen voran natürlich Alexandra Lamy, die Florence spielt?
Ich habe nach einer Schauspielerin um die 40 gesucht: gutaussehend, frisch, strahlend, voller Leben... Eine sehr gute Schauspielerin, die uns vergessen lässt, dass sie im Film beeinträchtigt ist. Ich hatte direkt an Alexandra Lamy gedacht, die alle diese Kriterien erfüllt. Der Regisseur Eric Lavaine hat mir bestimmt hundert Mal erzählt, wie einfach es ist, mit ihr zu drehen. Ich habe da ein echtes Goldstück gefunden. Sie hatte eine sehr schwierige Rolle zu spielen, nicht nur, weil sie eine Frau mit Behinderung spielt, sondern auch, weil es eine gewisse Ambivalenz gibt: Sie weiß von Anfang an, dass er lügt, aber darf sich das nicht anmerken lassen. Alexandra arbeitet unglaublich hart und beschwert sich nie. Sie musste lernen, in einem Rollstuhl Tennis zu spielen. Sie musste lernen, Geige zu spielen. Ich bewundere ihren Enthusiasmus für alle Dinge, als seien sie ein Geschenk, und ich liebe ihre Art, zu spielen. Es war alles sehr schön.
Wie kamen Sie darauf, Elsa Zylberstein die lustige Rolle der vorbildlichen, aber komplett verrückten Assistentin spielen zu lassen?
Wir hatten bereits zusammengearbeitet. Ich kenne sie gut. Elsa ist auch eine außergewöhnliche Komikerin. Sie realisiert das jetzt erst, weil es ihr immer mehr Leute sagen. Aber sie weiß selber nicht, wie sie es eigentlich macht. Ich wollte keine parodistische Komödie. Deswegen dachte ich mir, es wäre eine gute Idee, eine bekannte, kluge Schauspielerin wie Elsa zu engagieren und sie dann lustig-schräg zu machen. Elsa will immer alles verstehen und analysieren. Ich habe noch nie ein Drehbuch gesehen, in dem so viele Notizen eingetragen sind, wie in ihrem. Aber das Ergebnis ist phänomenal, weil sie immer alles gibt.
Ihr bester Freund im Film wird von Gérard Darmon gespielt, der einen wunderbaren schwulen Doktor abgibt...
Dass er schwul ist, ist ein Zufall. Wir reiten auf dem Thema nicht herum. Es ist kein großes Ding. Gérard Darmon ist einer meiner Lieblingsschauspieler aus Frankreich. Er ist immer herausragend. Er war der erste Schauspieler, dem ich das Buch zeigte. Und auch der erste, der zusagte. Ich brauchte diesen Charakter, diesen Freund, der etwas reifer, gesetzter ist – mehr ein Vater als ein Kumpel.
Wo haben Sie Caroline Anglade gefunden, die Florences Schwester Julie spielt?
Ich war auf der Suche nach einer hübschen jungen Frau, die der Grund für Jocelyns ursprüngliche Lüge ist. Wir haben Castings für die Rolle gemacht. Bei ihr habe ich direkt gedacht: Das passt wie die Faust aufs Auge. Caroline hat Frische, Schönheit und Jugendlichkeit aber auch eine gewisse Reife, die ich für unabdingbar halte.
Welche Botschaft möchten Sie mit dieser zarten, verrückten und romantischen Komödie senden?
Jene, die dazu verdammt sind, nicht aufstehen zu können, sind nicht anders, als jene die es können. Sie sind nur scheinbar anders. Fundamental, im Inneren, sind sie absolut nicht anders. Ich bin bei dem Thema recht sensibel, aber ich will nicht belehren. Ich halte keine Vorlesungen. Ich wollte nur ausdrücken, dass man sich dafür interessieren sollte, wie die Menschen in ihrem Inneren sind. Wir können alle aufstehen. Wenn wir es wollen...
Foto:
© Verleih
Info:
DARSTELLER
Jocelyn Franck DUBOSC
Florence Alexandra LAMY
Marie Elsa ZYLBERSTEIN
Max Gérard DARMON
Julie Caroline ANGLADE
Lucien Laurent BATEAU
Jocelyns Vater Claude BRASSEUR
Abdruck des Interviews aus dem Presseheft
Wie ist die Idee zu LIEBE BRINGT ALLES INS ROLLEN entstanden? Jemand, der in einem Rollstuhl sitzt, muss ja nicht zwangsläufig gelähmt sein – oder gibt es da ein persönliches Motiv?
Die Idee zum Film beruht tatsächlich auf zwei Umständen. Und beide sind sehr persönlich. Eines Tages fand sich meine Mutter in einem Rollstuhl wieder – weil sie aufgrund ihres Alters nicht mehr gut zu Fuß war. Der Rollstuhl, dieses Symbol der Behinderung, wurde für sie zu einem Ausweg, weil sie endlich wieder aus dem Haus konnte. Aber sie beschwerte sich: „Damit kann ich nicht zum Weihnachtsmarkt fahren. Da gehen Treppen hoch” und so weiter. Da wurde mir etwas klar: Was ein echter Lebensretter sein kann, kann auch zum Hindernis werden. Ich musste an all die körperlich beeinträchtigten Menschen denken, die täglich damit konfrontiert sind.
Zweitens wollte ich immer eine Liebesgeschichte erzählen, in der die Unterschiede nicht kulturell oder sozial, sondern physisch bedingt sind. Das ist ein Thema, über das ich viel nachgedacht habe und das mich fasziniert. Wie wäre es, sich in jemanden zu verlieben, der körperlich beeinträchtigt ist? Da stellt man sich eine Zukunft vor, die gelinde gesagt kompliziert sein könnte. Wäre die Liebe stärker als rationale Beweggründe? Ich glaube schon. Und deswegen wollte ich diesen Film machen.
Dieser körperliche Unterschied zwischen den Protagonisten ist also das Herzstück Ihres Films?
Dieses Thema hat mich immer angezogen. Als Kind habe ich mich in ein Mädchen verliebt, das sehr stark geschielt hat. Alle haben sich über sie lustig gemacht, aber ich habe sie mit anderen Augen gesehen, wenn man das so sagen kann. Ich habe erkannt, dass ihr Anderssein ein Vorteil war; es hatte Charme. Aber ich weiß auch, dass es Mut erfordert, ein solches Anderssein zu akzeptieren, mit Jemandem sein Leben zu verbringen, der anders ist, ihn oder sie zu lieben. Ich weiß nicht, ob ich diesen Mut hätte.
Ist der französische Titel ein Verweis auf den Versprecher des Sängers François Feldman während des 10. Telethons (*Anmerkung: sehr erfolgreiche Spielshow) im französischen Fernsehen?
Unser Arbeitstitel war „Lève-toi et marche” („Steh auf und geh”), aber mir klang das nicht würdevoll genug. Der Titel wiederholt tatsächlich das, was François – der übrigens ein Freund von mir ist – gesagt hat. Alle haben über diesen Versprecher gelacht, den er sich da vor Menschen geleistet hat, die eben nicht aufstehen können. Im Endeffekt war es aber eine sehr positive Sache, glaube ich. Ob man aufsteht oder nicht ist ja auch eine mentale Frage. Außerdem sagt meine Figur im Film über Florence, die beeinträchtigt ist: „Sie denkt schneller, bewegt sich schneller und lebt mehr als wir.“ Damit meint er: „Sehr viel mehr als ich.“
Hatten Sie Angst, dass der Fokus auf eine Behinderung in einer Komödie in gewisser Weise gefährlich sein könnte?
Hatte ich. Zu Beginn habe ich bei jeder Seite, die ich schrieb, daran gedacht und darauf geachtet. Aber als ich tiefer in die Story eingetaucht bin, habe ich es total vergessen. So ist es ja auch im echten Leben. Wenn man eine Person trifft, die körperlich beeinträchtigt ist, ist man zunächst sehr bedacht darauf, was man sagt. Aber sobald die Beziehung etwas fester ist, achtet man nicht mehr darauf. Alles andere würde bedeuten, dass man die Unterschiede nicht akzeptiert, dass man eine Distanz zur anderen Person hält. Es war mir ein wichtiges Anliegen, mich über niemanden lustig zu machen. Ich hoffe, das kann man im Film klar sehen.
Wollten Sie über den Charakter Jocelyn auch Klischees und Vorurteile angreifen?
Ja, natürlich. Ich wollte all die dummen Sachen zeigen, die aus Ignoranz gesagt werden, und die verschwinden, sobald man mit Liebe auf die andere Person schaut. TOUT LE MONDE DEBOUT (Steht alle auf) ist auch ganz explizit an Jocelyn gerichtet. Der Titel sagt zu ihm: Steh‘ auf, erhebe dich. Denn am Ende ist er mit Sicherheit der mit der größeren Beeinträchtigung.
Die meisten Ihrer Charaktere wiederholen öfter, dass es nicht in Ordnung ist, über eine Behinderung zu lügen. Ist das eine Frage der Moral – oder des Betrugs?
Des Betruges. Ich wollte eine Situation schaffen, die man schwer vergeben kann, aber die trotzdem „vergebbar“ sein kann. Er betrügt sie. Doch sie sieht lediglich die [einfache] Lüge, weil sie ihm vergibt. Sagen wir einfach, dass diese Lüge, die zu seinem Betrug führt, im Endeffekt für ihn schwerer wiegt als für sie.
Woher kam die Idee für diesen Charakter: Ein Lügner, Schwindler, der eigentlich erfolgreich ist, aber konstant versucht, jemand anderes zu sein?
Sein Bruder sagt zu ihm: „Du liebst sie nicht; deswegen versteckst du dich.“ Er sieht andere Menschen nicht, weil er sich selbst nicht in die Augen sehen kann. Er ist voller Fehler. Wir können davon ausgehen, dass das, was er versteckt, sehr viel interessanter ist als das, was er uns sehen lässt. Das ist sicher das wichtigste autobiographische Element in dem Film. Ich mag mich selbst nicht sonderlich, obwohl ich mit der Zeit gelernt habe, mich zu schätzen. Ich habe mich oft selbst belogen. Ich konnte mich nicht im Spiegel ansehen. Ich war nie ich selbst, wenn ich auf andere attraktiv wirken wollte. Jemand anderes zu sein war sehr viel befriedigender. Außerdem wollte ich, dass Jocelyn in seiner Lüge schöner wird, als er in der Realität ist. Er ist eigentlich ein eher hässlicher Mensch. Im Rollstuhl ist er dann definitiv schöner als in seinem protzigen roten Porsche.
Sollte LIEBE BRINGT ALLES INS ROLLEN von Anfang an eine Komödie werden?
Wie bei meinen Shows habe ich mit dem dramaturgischen Höhepunkt begonnen, also mit dem am Ende knapp vermiedenen Unfall. Von dort arbeitete ich mich zurück und fügte die Comedy ein. Aber es gibt auch viel Zärtlichkeit und Liebe in dieser Geschichte. Es ist eben eine romantische Komödie.
Es gibt eine sehr schöne Szene, sehr romantisch, die in einem Swimmingpool stattfindet. Haben Sie die genauso geschrieben, wie wir es jetzt am Ende im Film sehen?
Ja, es war genauso geschrieben. Und ich muss ein großes Lob an alle unsere Techniker aussprechen. Wir suchten nach einem Haus mit Pool, dessen Abdeckung per Fernbedienung in das Wasser versenkt werden kann. Warum? Weil ich mir Gedanken darüber machte, wie die beiden das erste Mal miteinander schlafen würden. Aus verschiedensten Gründen wollte ich nicht, dass es in einem Bett geschieht. Im Pool schweben sie. Wenn ihre Rollstühle auf den Grund sinken, sind sie von allen Beschränkungen befreit.
Produzent, Regisseur, Drehbuchautor, Hauptrolle im Film: Sie hatten viele Funktionen in dieser Produktion. Wollten Sie die Kontrolle über alles behalten?
Ich musste diese Rollen ja nicht alle zur selben Zeit ausfüllen. Als ich das Drehbuch geschrieben habe, wusste ich noch nicht, ob bzw. dass ich Regisseur oder Schauspieler im Film sein werde. Gott sei Dank! Denn so habe ich mir die Rolle nicht auf den Leib geschrieben. Darunter hätte möglicherweise die Story gelitten. Als ich mit dem Schreiben fertig war, entschied ich mich, Regie zu führen. Und dann hat der Regisseur sich selbst gefragt, ob er mich als Schauspieler anheuern sollte. Unsere Finanziers rieten mir, es zu tun.
Welche Schwierigkeiten haben Sie als Regisseur erlebt, die Sie nicht haben, wenn Sie „nur“ Schauspieler sind?
Abgesehen von der Tatsache, dass man natürlich mehhr Arbeit hat, war es für mich besonders schwer, als Regisseur-Schauspieler sagen zu können: „Aus, dieser Take war gut.“ Wenn man Regisseur und Schauspieler gleichzeitig ist, kann man sich auf niemanden außer sich selbst verlassen. Man muss sich selbst einschätzen und bewerten können. Man muss sich also direkt nach der Szene alle Takes ansehen – das tue ich nie, wenn ich nur spiele. Ich hasse es sogar.
Zu Beginn der Dreharbeiten habe ich mich selber vernachlässigt. Ich wollte selber nicht zu viele Versuche pro Szene machen, um keine Zeit zu vergeuden. Für mich, der ohnehin niemals zufrieden ist, war das wirklich kompliziert. Ich war quasi konstant am Rande der Schizophrenie. Aber dann habe ich mich irgendwann entspannt, weil die ganze Umgebung und die Leute um mich herum so gut waren.
Wie haben Sie die weiblichen Darsteller für Ihren Film ausgewählt – allen voran natürlich Alexandra Lamy, die Florence spielt?
Ich habe nach einer Schauspielerin um die 40 gesucht: gutaussehend, frisch, strahlend, voller Leben... Eine sehr gute Schauspielerin, die uns vergessen lässt, dass sie im Film beeinträchtigt ist. Ich hatte direkt an Alexandra Lamy gedacht, die alle diese Kriterien erfüllt. Der Regisseur Eric Lavaine hat mir bestimmt hundert Mal erzählt, wie einfach es ist, mit ihr zu drehen. Ich habe da ein echtes Goldstück gefunden. Sie hatte eine sehr schwierige Rolle zu spielen, nicht nur, weil sie eine Frau mit Behinderung spielt, sondern auch, weil es eine gewisse Ambivalenz gibt: Sie weiß von Anfang an, dass er lügt, aber darf sich das nicht anmerken lassen. Alexandra arbeitet unglaublich hart und beschwert sich nie. Sie musste lernen, in einem Rollstuhl Tennis zu spielen. Sie musste lernen, Geige zu spielen. Ich bewundere ihren Enthusiasmus für alle Dinge, als seien sie ein Geschenk, und ich liebe ihre Art, zu spielen. Es war alles sehr schön.
Wie kamen Sie darauf, Elsa Zylberstein die lustige Rolle der vorbildlichen, aber komplett verrückten Assistentin spielen zu lassen?
Wir hatten bereits zusammengearbeitet. Ich kenne sie gut. Elsa ist auch eine außergewöhnliche Komikerin. Sie realisiert das jetzt erst, weil es ihr immer mehr Leute sagen. Aber sie weiß selber nicht, wie sie es eigentlich macht. Ich wollte keine parodistische Komödie. Deswegen dachte ich mir, es wäre eine gute Idee, eine bekannte, kluge Schauspielerin wie Elsa zu engagieren und sie dann lustig-schräg zu machen. Elsa will immer alles verstehen und analysieren. Ich habe noch nie ein Drehbuch gesehen, in dem so viele Notizen eingetragen sind, wie in ihrem. Aber das Ergebnis ist phänomenal, weil sie immer alles gibt.
Ihr bester Freund im Film wird von Gérard Darmon gespielt, der einen wunderbaren schwulen Doktor abgibt...
Dass er schwul ist, ist ein Zufall. Wir reiten auf dem Thema nicht herum. Es ist kein großes Ding. Gérard Darmon ist einer meiner Lieblingsschauspieler aus Frankreich. Er ist immer herausragend. Er war der erste Schauspieler, dem ich das Buch zeigte. Und auch der erste, der zusagte. Ich brauchte diesen Charakter, diesen Freund, der etwas reifer, gesetzter ist – mehr ein Vater als ein Kumpel.
Wo haben Sie Caroline Anglade gefunden, die Florences Schwester Julie spielt?
Ich war auf der Suche nach einer hübschen jungen Frau, die der Grund für Jocelyns ursprüngliche Lüge ist. Wir haben Castings für die Rolle gemacht. Bei ihr habe ich direkt gedacht: Das passt wie die Faust aufs Auge. Caroline hat Frische, Schönheit und Jugendlichkeit aber auch eine gewisse Reife, die ich für unabdingbar halte.
Welche Botschaft möchten Sie mit dieser zarten, verrückten und romantischen Komödie senden?
Jene, die dazu verdammt sind, nicht aufstehen zu können, sind nicht anders, als jene die es können. Sie sind nur scheinbar anders. Fundamental, im Inneren, sind sie absolut nicht anders. Ich bin bei dem Thema recht sensibel, aber ich will nicht belehren. Ich halte keine Vorlesungen. Ich wollte nur ausdrücken, dass man sich dafür interessieren sollte, wie die Menschen in ihrem Inneren sind. Wir können alle aufstehen. Wenn wir es wollen...
Foto:
© Verleih
Info:
DARSTELLER
Jocelyn Franck DUBOSC
Florence Alexandra LAMY
Marie Elsa ZYLBERSTEIN
Max Gérard DARMON
Julie Caroline ANGLADE
Lucien Laurent BATEAU
Jocelyns Vater Claude BRASSEUR
Abdruck des Interviews aus dem Presseheft