N.N.
Tel Aviv (Weltexpresso) - Was bestimmt Ihrer Meinung nach unser Leben? Schicksal oder Zufall?
Da fehlt mir eine genau erklärende Antwort, es gibt eine Lücke zwischen unkontrollierbaren Ereignissen, die über uns hereinbrechen und Dingen, die unter unserer Kontrolle sind. Das ist wie ein Puzzle. Der Ausgangspunkt für FOXTROT liegt schon lange zurück. Meine älteste Tochter stand nie pünktlich auf, trödelte herum, wenn sie zur Schule sollte. Statt ihr ein Taxi zu rufen, habe ich sie eines Tages nach einer langen Diskussion zur Haltestelle geschickt, damit sie den Bus Nummer 5 erwischte. Eine halbe Stunde später hörte ich, dass auf diesen Bus ein Attentat verübt wurde. Ich konnte sie nicht erreichen. Es waren die schrecklichsten Stunden meines Lebens, ich fühlte mich verantwortlich, sie in den Tod geschickt zu haben. Aber sie hatte den Bus verpasst und den nächsten genommen, ihr war nichts passiert. Dieser Tag war die Inspiration für diesen Film. Es ist natürlich eine andere Situation, wenn Michael von der Armee verlangt, seinen Sohn nach Hause zu schicken. Eine richtige und logische Entscheidung, auch wenn dann ein gespenstischer Zufall folgt.
Foxtrot kann man in verschiedenen Varianten tanzen, aber der Tanz endet immer am gleichen Punkt – da, wo er begonnen hat. Befindet sich Israel in einer „Foxtrot-Situation“?
Ja und Nein. Jede der zwei Generationen nach den Holocaust-Überlebenden kämpft mit ihren Traumata aus der Armeezeit. Ich denke, die erste Generation musste gezwungenermaßen in den Krieg ziehen, das zweite Drama wäre vermeidbar gewesen. Die Situation ist nicht schwarz oder weiß. Mir lag es daran, diese endlose traumatische Situation der israelischen Gesellschaft zu zeigen. In jeder israelischen Familie gibt es Söhne und Töchter, die in der Armee dienen müssen. Jeder kennt einen Menschen, der einen anderen verloren hat.
Ihr Film erinnert an eine griechische Tragödie, nicht nur wegen der Struktur in drei Akten oder Kapiteln.
Der Film sollte jedenfalls so funktionieren. Der Protagonist Michael stellt sich gegen jeden, der ihm helfen will. Und endet genau da, wo er begonnen hat. Durch die Struktur nehme ich den Zuschauer mit auf eine emotionale Reise. Die drei Akte versinnbildlichen die emotionale Reise mit drei verschiedenen Schwerpunkten.
Sehr eindringlich erzählen Sie von der Beziehung zwischen Jonathans Eltern und ihrem Umgang mit Trauer.
Ich wollte mal mit den Stereotypen von durch den Krieg traumatisierten Männern aufräumen, die isoliert sind, ständig unter Alpträumen leiden und sich auf dem Schlachtfeld fühlen, wenn sie schweißgebadet aufwachen und dennoch jedem zeigen wollen, dass sie o.k. sind. Michael gehört zu den jungen Männern, denen man sagte, Israel muss in diesen Krieg ziehen. Als dann Freunde statt seiner vor seinen Augen starben, war das ein Schock. Sein ganzes Leben lang wollte er etwas anderes sein, stark und erfolgreich, ein renommierter Architekt und guter Familienvater. Aber die Wunde in seiner Seele blutete weiter. Er hat alles in sich hineingefressen, ließ seinen Schmerz und seine Wut nicht raus, verbarg seine Schwäche. Seine Frau Dafna machte diese Erfahrung nicht, realisiert aber seine Schwäche und merkt, dass er ein Geheimnis in sich trägt. Als Michael dann das Notebook seines Sohnes in die Hände fällt, ahnt er, dass dieser auch um sein Geheimnis wusste. Er fühlt sich schuldig und weiß nicht, wie mit dieser Schuld umzugehen. Während seine Frau am Anfang ohnmächtig umfällt, wirkt er wie gefroren. Er gehört zu dieser Generation, denen man eintrichterte, sich über nichts zu beklagen, weil ihre Eltern
die Hölle des Holocausts überlebt haben. Dabei sprachen die Eltern nie über die Vergangenheit, es herrschte Schweigen. Aber jeder wusste, dass im Vergleich mit dem Grauen des Holocaust jegliche eigene Pein verblasste. Wenn man heil aus dem Krieg herauskam, gab es deshalb nichts zu jammern. So hat man gelernt, den unerträglichen Schmerz zu verdrängen.
Die vier Soldaten am Wachposten langweilen sich, alles scheint ruhig, aber sie stehen unter Spannung.
Diese Sequenzen sind eine Metapher. Man sieht keinen Krieg, der einzige Krieg der stattfindet, ist der auf dem iPad des Kommandanten. Die Jungen tun nichts im Niemandsland. Gerade dieses Nichtstun erhöht den psychologischen Druck. Sie müssen in einem unsichtbaren Krieg präsent sein. Der Zuschauer sollte nicht nur dramatische Szenen sehen, sondern das Ganze im Blick haben. Realismus interessiert mich nicht. Die Situation spiegelt den Mikrokosmos der Gesellschaft wieder, der Container für die Soldaten ist ein Beispiel für die grassierende Angst in der Gesellschaft. Als die jungen Leute mit dem Mercedes halten, eskaliert die Situation, ein Versagen auf ganzer Linie.
Das wirft Fragen auf. Können Sie etwas zur visuellen Umsetzung sagen?
Ich habe drei Jahre für diesen Film gebraucht, dazwischen mache ich auch andere Dinge – ich schreibe, denke nach, bin nicht besessen von der Idee, einen Film nach dem anderen zu drehen. Eine Idee entzündet sich bei mir immer am visuellen Aspekt, an einem Bild im Kopf und dieser Auslöser dient dann der Geschichte. Ich mache kein naturalistisches Kino, sondern versuche mich im Bereich des Experimentellen, mein Kino reflektiert die Seele meiner Figuren. Die visuelle Dimension ist integrativer Teil des Films. Schon die lange Kamerafahrt zu Beginn durch die Wohnung erzählt viel über Michael, so sparen wir uns seitenlange Dialoge. Worte oder endlose Textteile betrachte ich oft als Feind, ich ziehe es vor, Gefühle anders auszudrücken. Teile des Films sind die bildliche Umsetzung meiner inneren Welt, meines inneren Krieges.
Sie schrecken nicht vor harten Szenen zurück und kratzen an einem Tabuthema...
Dieses Tabu ist ein Problem. Hätte ich einen Film über ein furchtbares Verbrechen bei der Polizei gemacht, hätte sich wohl keiner beschwert, sondern gesagt, das ist eben nur ein Film. Aber die Armee ist ein sehr sensibles Thema. Die Kritik ging schon los, bevor der Film überhaupt in Venedig Premiere feierte. Unsere Kulturministerin Miri Regev, die sich damit brüstet, Tschechow nicht gelesen zu haben, äußerte sich negativ, FOXTROT sei nicht ihr Film, sei zerstörerischer Mist. Dabei hatte sie den Film nicht gesehen. So beschwerte sie sich über eine Szene, in der israelische Soldaten in ein palästinensisches Dorf einfallen, ein Haus stürmen und die Familie malträtieren. Eine Szene, die im Film überhaupt nicht vorkommt... Wer Tschechow nicht liest, von dem erwarte ich auch nicht viel.
Ist Filmemachen eine Art Therapie für Sie?
SM: Bei meinem ersten Langfilm LEBANON von 2009, einer Mischung aus wahren und fiktionalen Ereignissen, würde ich sagen ja. Aber ich war nicht auf Selbstverwirklichung aus. Ich bin mir unsicher, ob man diesen erlittenen Schmerz und die Traumata überhaupt auslöschen kann. Man unterdrückt alles und lebt damit. Vielleicht ist Filmemachen und Schreiben meine ganz persönliche Form von Therapie, aber ich lasse immer eine Distanz zu den handelnden Personen und bin keinesfalls Regisseur aufgrund meiner Kriegserfahrungen geworden. Schon zur Bar Mitzva bekam ich als 13-jähriger eine Super-8-Kamera geschenkt und wollte unbedingt drehen, wie ein Zug angerauscht kommt. Die Kamera stand zwischen den Gleisen und der Zug hat sie weggefegt. Bis zu meinem 18. Lebensjahr habe ich viele Kurzfilme gemacht.
Foto:
© Verleih
Info:
„Foxtrot“ Israel/Deutschland/Frankreich/Schweiz 2017, Spielfilm, 108 Min, Filmstart 12. Juli 2018
Regie: Samuel Maoz mit Lior Ashkenazi, Sarah Adler, Yonaton Shiray, Shira Haas u.a.
Abdruck aus dem Presseheft
Die vier Soldaten am Wachposten langweilen sich, alles scheint ruhig, aber sie stehen unter Spannung.
Diese Sequenzen sind eine Metapher. Man sieht keinen Krieg, der einzige Krieg der stattfindet, ist der auf dem iPad des Kommandanten. Die Jungen tun nichts im Niemandsland. Gerade dieses Nichtstun erhöht den psychologischen Druck. Sie müssen in einem unsichtbaren Krieg präsent sein. Der Zuschauer sollte nicht nur dramatische Szenen sehen, sondern das Ganze im Blick haben. Realismus interessiert mich nicht. Die Situation spiegelt den Mikrokosmos der Gesellschaft wieder, der Container für die Soldaten ist ein Beispiel für die grassierende Angst in der Gesellschaft. Als die jungen Leute mit dem Mercedes halten, eskaliert die Situation, ein Versagen auf ganzer Linie.
Das wirft Fragen auf. Können Sie etwas zur visuellen Umsetzung sagen?
Ich habe drei Jahre für diesen Film gebraucht, dazwischen mache ich auch andere Dinge – ich schreibe, denke nach, bin nicht besessen von der Idee, einen Film nach dem anderen zu drehen. Eine Idee entzündet sich bei mir immer am visuellen Aspekt, an einem Bild im Kopf und dieser Auslöser dient dann der Geschichte. Ich mache kein naturalistisches Kino, sondern versuche mich im Bereich des Experimentellen, mein Kino reflektiert die Seele meiner Figuren. Die visuelle Dimension ist integrativer Teil des Films. Schon die lange Kamerafahrt zu Beginn durch die Wohnung erzählt viel über Michael, so sparen wir uns seitenlange Dialoge. Worte oder endlose Textteile betrachte ich oft als Feind, ich ziehe es vor, Gefühle anders auszudrücken. Teile des Films sind die bildliche Umsetzung meiner inneren Welt, meines inneren Krieges.
Sie schrecken nicht vor harten Szenen zurück und kratzen an einem Tabuthema...
Dieses Tabu ist ein Problem. Hätte ich einen Film über ein furchtbares Verbrechen bei der Polizei gemacht, hätte sich wohl keiner beschwert, sondern gesagt, das ist eben nur ein Film. Aber die Armee ist ein sehr sensibles Thema. Die Kritik ging schon los, bevor der Film überhaupt in Venedig Premiere feierte. Unsere Kulturministerin Miri Regev, die sich damit brüstet, Tschechow nicht gelesen zu haben, äußerte sich negativ, FOXTROT sei nicht ihr Film, sei zerstörerischer Mist. Dabei hatte sie den Film nicht gesehen. So beschwerte sie sich über eine Szene, in der israelische Soldaten in ein palästinensisches Dorf einfallen, ein Haus stürmen und die Familie malträtieren. Eine Szene, die im Film überhaupt nicht vorkommt... Wer Tschechow nicht liest, von dem erwarte ich auch nicht viel.
Ist Filmemachen eine Art Therapie für Sie?
SM: Bei meinem ersten Langfilm LEBANON von 2009, einer Mischung aus wahren und fiktionalen Ereignissen, würde ich sagen ja. Aber ich war nicht auf Selbstverwirklichung aus. Ich bin mir unsicher, ob man diesen erlittenen Schmerz und die Traumata überhaupt auslöschen kann. Man unterdrückt alles und lebt damit. Vielleicht ist Filmemachen und Schreiben meine ganz persönliche Form von Therapie, aber ich lasse immer eine Distanz zu den handelnden Personen und bin keinesfalls Regisseur aufgrund meiner Kriegserfahrungen geworden. Schon zur Bar Mitzva bekam ich als 13-jähriger eine Super-8-Kamera geschenkt und wollte unbedingt drehen, wie ein Zug angerauscht kommt. Die Kamera stand zwischen den Gleisen und der Zug hat sie weggefegt. Bis zu meinem 18. Lebensjahr habe ich viele Kurzfilme gemacht.
Foto:
© Verleih
Info:
„Foxtrot“ Israel/Deutschland/Frankreich/Schweiz 2017, Spielfilm, 108 Min, Filmstart 12. Juli 2018
Regie: Samuel Maoz mit Lior Ashkenazi, Sarah Adler, Yonaton Shiray, Shira Haas u.a.
Abdruck aus dem Presseheft