Filmfest München 2018
Rita Kratzenberg und Claus Wecker
München (Weltexpresso) - Die entscheidende Meldung kam vorab: Auf einer Pressekonferenz kündigte Festivalleiterin Diana Iljine in Anwesenheit des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder an, dass der Freistaat Bayern mit einem Zusatzbudget von drei Millionen Euro helfen will, »das Filmfest München zu einem einzigartigen Medienfestival mit regionalem Bezug und internationaler Strahlkraft zu entwickeln.«
Schon bisher glänzt das Fest in der bayerischen Hauptstadt als eine große Party der hiesigen Filmbranche. Wie sonst allenfalls auf der Berlinale treffen sich Ende Juni/Anfang Juli deutsche Schauspieler, Produzenten, Regisseure, Kinobesitzer, Verleiher und Kritiker in München, einer, besonders im Sommer, immer noch bezaubernd gastfreundlichen Stadt mit einer hundertjährigen Tradition als Produktionsstandort.
Da man in der Branche die CSU mehrheitlich ablehnt, nahm man Söders Drei-Millionen-Zuckerl emotionslos an und ließ sich nicht weiter stören. Das Filmangebot war jedenfalls mit rund 160 Filmen einmal mehr überwältigend. Und den Schwerpunkt bildet in München nach wie vor der deutsche Film, der in zwei Reihen präsentiert wurde: »Neues deutsches Kino« und »Neues deutsches Fernsehen«. Die Unterschiede sind bekanntermaßen fließend, weil die deutschen Fernsehanstalten auch bei vielen Kinoproduktionen die Finger im Spiel haben. Gemeinsam mit den diversen Filmförderungsinstitutionen der Länder und der Bundesanstalt FFA wird leider viel Mittelmäßiges produziert.
Ein Film, dem man die deutschen Produktionsfirmen nicht ansah, stach heraus. Schon der englische Titel »In the Middle of the River« ließ vermuten, dass nicht vom Rhein die Rede ist. Ein Soldat kommt aus seinem Auslandseinsatz nach New Mexico zurück und landet in prekären Lebensverhältnissen. Unter veränderten Vorzeichen geht der Überlebenskampf daheim weiter.
In der TV-Reihe haben wir an zwei Beispielen gesehen, dass die deutsche Fernsehunterhaltung recht unterschiedlich ausfallen kann. »Nichts zu verlieren«, das neue Werk des Österreichers Wolfgang Murnberger, gehört zu den gelungenen Produktionen. Murnberger dreht in den letzten Jahren nur noch fürs Fernsehen. Besonders reizvoll war es, seine Fernseharbeit auf der Leinwand zu sehen, besonders weil das Sujet seinen schwarzhumorigen Kinofilmen à la »Der Knochenmann« ähnelte. Es geht diesmal um einen misslungenen Einbruch und in der Folge um die Entführung eines Reisebusses. Dabei prallen Deutsche und Österreicher mit ihren sprachlichen Eigenheiten aufeinander.
»Die Auferstehung« ist unter der Regie von Niki Stein mit Joachim Król, Herbert Knaup und Leslie Malton gut besetzt, versucht aber mit spießigen Witzen schablonenhaftes Bürgertum zu entlarven. Ein mittiger Sitzplatz hinderte uns, den Kinosaal frühzeitig zu verlassen.
»Auf beunruhigende Weise glaubwürdig verarbeiten Frauen ihre Männer zu Mimöschen: um sie dann nach Bedarf wieder auswildern zu können.« So steht es über Klaus Lemkes neuen Film »Bad Girl Avenue« im Programmheft geschrieben, und dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Mit seinen 77 Jahren macht Lemke ein erstaunlich jugendliches, cooles Kino. Da geht sogar die Widmung für François Truffaut völlig in Ordnung.
Das Schöne an Festivals ist, dass man Filme sehen kann, die niemals ins reguläre Kinoprogramm kommen werden, wie zum Beispiel »First Reformed«, Paul Schraders schräge Neuverfilmung vom »Tagebuch eines Landpfarrers«. Aus dem leidenden katholischen Piester ist hier ein Pfarrer im amerikanisch-protestantischen Milieu geworden, der sich mit der fortschreitenden Umweltzerstörung befasst. Das religiöse Drama mit einer Spur »Taxi Driver« dürfte kein Filmverleih dem deutschen Kinopublikum zumuten wollen.
Ethan Hawke, der den Priester spielt, war auch in einem anderen, äußerst unterhaltsamen Film zu sehen: als gealterter Rockstar mit unübersichtlicher Kinderschar in »Juliet, Naked« nach einem Roman von Nick Hornby. Sein Tucker Crowe ist eine ganz eigene Figur, so witzig und anrührend, wie man sie im Kino nicht allzu oft findet. Der Film hat bereits einen festen Starttermin im November.
Emma Thompson bekam einen Cinemerit Award,den sie mit den Worten entgegennahm, es sei eine große Ehre und ein großes Privileg, Teil der Filmfamilie in einem anderen Land zu sein. Ein weiterer Cinemerit Award ging an Terry Gilliam. Aus diesem Anlass lief sein hoffnungslos überfrachteter »The Man Who Killed Don Quixote« und der beeindruckende Dokumentarfilm »Lost in La Mancha« über Gilliams gescheiterten ersten Versuch, die Geschichte von Don Quixote zu verfilmen.
Dokumentationen waren besonders stark vertreten in München, und dem schwedischen Meister Ingmar Bergman, der vor gerade hundert Jahren geboren wurde, waren gleich zwei gewidmet: der sehr persönliche Essay »Auf der Suche nach Ingmar Bergman« von Margarete von Trotta, der trotz ihrer Selbstverliebtheit ein aufschlussreiches Porträt mit starken Filmausschnitten (etwa die verachtungsvolle Ansprache des Pfarrers in »Licht im Winter«) gelungen ist, und die gut recherchierte Doku »Bergman - A Year in a Life«, in der Jane Magnusson das Jahr 1957 zum Ausgangs- und Höhepunkt einer Lebensbetrachtung gewählt hat. Neben bedeutenden Theaterinszenierungen drehte Bergman in diesem Jahr »Das siebente Siegel« und »Wilde Erdbeeren«. Aktuelle Filme dieses Kalibers hatte das Filmfest in seinem Programm nicht zu bieten.