Bildschirmfoto 2018 08 08 um 21.11.55Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 9. August 2018, Teil 6

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Schaut man das Plakat zum Film an, wo eine Frau mit Pistole in der rechten Hand schützend den linken Arm um eine Frau hält, deren Kopf und Hals total bandagiert sind, einschließlich der Nase, so fallen Kinogehern sofort mindestens zwei Filme der letzten Jahre mit bandagierten Gesichtern ein: DIE HAUT, IN DER ICH WOHNE von Pedro Almodóvar, wo die Bandagen einer Geschlechtsumwandlung dienten, und PHOENIX von Christian Petzold, wo die schweren Verletzungen im KZ der Filmfigur von Nina Hoss durch Gesichtsoperationen geheilt werden sollen.

Liest und hört man dann noch, daß es um eine Geheimdienstgeschichte in Hamburg geht, dann kommt A MOST WANTED MAN von John le Carré ins Spiel, den der Fotograf und nun auch Regisseur Anton Corbijn kongenial auf die Leinwand brachte, was auch deshalb unvergessen ist, weil es Philip Seymour Hoffman in seiner letzten Hauptrolle zeigte – zutiefst melancholisch und anrührend, so daß man beim Schauen immer glaubt, er habe sein frühes Ableben vorausgeahnt. Das sind große Schuhe, diese drei filmischen Ereignisse, in den wir hier den neuen Film des israelischen Regisseurs Eran Riklis stecken. Nun ist dieser ja auch nicht ohne, denn nicht nur DIE SYRISCHE BRAUT oder LEMON TREE zeigen seine poetische Ader in der Filmkunst, eigentlich sind alle seine Filme auf eine besondere Art: besonders eben. Besonders einfühlsam, auch leicht trotz der Schwere um die es eigentlich geht.

Und auch AUS NÄCHSTER DISTANZ zeigt, über wieviel filmisches Können der Regisseur verfügt und daß ihm Frauenfiguren liegen. Denn es geht um eine so politische wie frauenspezifische Geschichte der Mossad-Agentin Naomi (Neta Riskin) und der libanesischen Informantin des Mossad Mona (Golshifthe Farahani). Erstere soll nämlich Letztere in Hamburg für zwei Wochen in einer sogenannten sicheren Wohnung bewachen, bis sich Mona von ihrer Gesichtsoperation erholt hat, die nötig war, damit sie von der Hisbollah nicht mehr erkannt wird und mit neuer Identität nach Kanada in ein neues Leben starten kann.

Das erfährt Naomi zu Hause in Israel nur unvollständig, als ihr, die eigentlich ausgemustert ist, seit vor zwei Jahren ihr Mann beim Einsatz starb, nun der Hamburgeinsatz aufgedrückt wird. Ungern macht sie sich auf die Reise ins Land der Mörder ihrer Vorfahren, wo sie weder die Stadt kennt, noch das Umfeld beurteilen kann, das ihren Schützling Mona als Verräterin hinrichten will. Ihr ist einfach nicht wohl bei dieser Aufgabe. Und als ihr Vorgesetzter (Lior Ashkenazi) ihr selbstsicher versichert: „Wir passen auf unsere eigenen Leute auf!“, da müssen wir nur ihre Miene studieren, um zu wissen, daß das eher wie eine Drohung klingt.

Aber dann sind wir längst woanders, nicht nur in Hamburg in einer eher unwirtlichen Gegend, sondern mit Mona und Naomi eingesperrt in einer Wohnung, die Mona nicht verlassen darf, und in der ein ganz anderer Film beginnt, als der politische Thriller, den wir bisher sahen. Jetzt nämlich geht es nur um diese zwei Frauen aus unterschiedlichen Welten mit unterschiedlichem Leben und doch gleichen Erfahrungen, was nicht an der gemeinsamen Arbeit für den Mossad liegt, sondern an dem, was Frauen in diesem nahöstlichen Raum eint, auch wenn sie davon vorher nicht wissen.

Die Spröde ist die Israelin, die Undurchschaubare und durch die Heilung der Gesichtshaut auch leicht Unberechenbare die Libanesin, die sich nach und nach aus ihren Verbänden als schöne Frau entpuppt. Was sich jetzt als Film im Film entwickelt, ist eine Beziehungsgeschichte zwischen diesen zwei Frauen, was zwangsläufig kommen muß, wenn man auf engem Raum und unter Ausschließen dessen, was außerhalb der Wohnung geschieht, zusammenlebt. Ein Kammerspiel läuft nun vor unseren Augen ab, denn die so ungleichen Frauen stellen beim gegenseitigen Erzählen ihres Lebens fest, daß sie die typischen Frauenschicksale teilen: etwas genommen zu bekommen, mit Verlust weiterleben zu müssen und dies zu können. Naomi kann darüber sprechen, daß sie nach dem Tod ihres Mannes dennoch mit vorausschauender Spermasicherung eine künstliche Befruchtung möglich machen will, denn beide wollten ein Kind, das sie nun auch alleine will. Und genau um ein Kind geht es auch Mona. Sie hat bei der Flucht aus dem Libanon, als sie entdeckt wurde, ihren achtjährigen Sohn dort zurückgelassen, in einer Schule, einem Art Internat.

In diese Idylle, die sich zwischen den beiden Frauen entwickelt, hält die Wirklichkeit Einzug. Denn, was der Filmzuschauer immer schon als irritierend auf der Leinwand erkennt, das ist, daß Naomi überwacht wird, der eindeutig arabisch aussehende Kioskbesitzer gegenüber dem Hauseingang registriert ihr Kommen und Gehen mit Einkaufstaschen, was wir mit Ärger beobachten. Denn natürlich wollen wir, daß die Frauen heil aus dieser Agentengeschichte herauskommen.

Was jetzt aber kommt, ist ein atemloses Durcheinander von Geheimdiensten, wobei auch der amerikanische eine Rolle spielt – und was für eine! Hier ist jeder gegen jeden angetreten – Mark Waschke darf auch mitspielen - und die beiden Frauen sind nur ein Spielball für etwas, was dahinter liegt, ohne daß wir genau wissen, was das ist. Es dräuet düster, es wabert und schwabbert – dann ist Mona verloren, sie wird entführt, wobei klar ist, was ihr droht, Naomi will sich um ihren im Libanon zurückgelassenen Sohn kümmern, fliegt dorthin, doch da geht das Rätselraten weiter...und am Schluß ist alles ganz anders, als uns der Film weismacht, die Aussage des Mossadführers scheint wahr zu werden, wenn wir sehen, wer das Flugzeug nach Kanada alles betritt....

P.S. Ich könnte mir vorstellen, daß dieser Film von Frauen als sehr viel besser beurteilt wird als von männlichen Rezensenten.


Fotos:
© Verleih

Info:
Darsteller
MONA            GOLSHIFTEH FARAHANI
NAOMI           NETA RISKIN
AVNER           YEHUDA ALMAGOR
NAIM              DORAID LIDDAWI
YUSSEF         DAVID HAMADE
SEBASTIAN   AUGUST WITTGENSTEIN
BERNHARD   MARK WASCHKE
AHMET           HALUK BILGINER