f hedy lamarrSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 16. August 2018, Teil 13

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Gut, daß es diesen Film gibt, der in einem sofort die Lust nach viel mehr Bildern von und Information über Hedy Lamarr auslöst und auch durch das Herausstellen ihrer Erfindung des „frequency hopping“, 1942 patentiert als schwer anzupeilende und ziemlich störungssichere Funkfernsteuerung für Torpedos, später wesentlich für die Technologie von u.a. W-Lan einen völlig neuen Blick auf eine Schauspielerin wirft, die bisher nur als ‚schönste Frau der Welt‘ bekannt war, denen, die sie überhaupt noch kennen.

Denn die am 9. November 2014 als Hedwig Eva Maria Kiesler in Wien Geborene hatte nur für Filmenthusiasten noch eine Bedeutung, anders als andere Stars der großen Zeit der Hollywoodfilme in den Vierzigern und Fünfzigern, wie die fast zehn Jahre ältere Joan Crawford oder die über sechs Jahre ältere Bette Davies oder die fast zwei Jahre jüngere Olivia de Havilland,die inzwischen 102 Jahre alt ist und noch lebt. Uns fallen auch Katherine Hepburne ein, ebenfalls über sieben Jahre älter oder Lauren Bacall, zehn Jahre jünger, oder auch die ein Jahr ältere Viviene Leigh, Greta Garbo – auf jeden Fall dann die zweitschönste Frau der Welt – und neun Jahre älter oder auch Marlene Dietrich, die 13 Jahre älter war als Hedy Lamarr, auch Rita Hayworth, gerade mal 4 Jahre jünger. Da gibt es auch noch die drei Jahre älter Jean Harlow oder Lana Turner, sieben Jahre jünger.

Warum wir diese ganzen Filmschauspielerinnen nennen, hat damit zu tun, daß man Hedy Lamarr - wie gesagt, so man sie überhaupt noch kennt - filmgeschichtlich sehr viel früher einordnet, weil sie schon 1933 mit 19 Jahren von Wien aus ihren Welterfolg EKSTASE unter der Regie von Gustav Machaty drehte. Aus EKSTASE, in dem sie schon sehr schön ist, sind die berühmt-berüchtigten Szenen wiedergegeben, zum einen diejenigen, als sie rund zehn Minuten nackt durch den Wald eilt, und dann ihr angeblicher Orgasmus... Angeblich gleich doppelt. Daß sie als Schauspielerin diesen Orgasmus spielt, wäre selbstverständlich, aber im Film erläutert sie, wie sie beim Drehen völlig alleine war, also ohne Partner aufgenommen wurde und so spielen mußte, daß wir diesen Mann assoziieren, was wir tun. Interessant, wie sie im Detail erklärt, wie sie ihre Arme rund um ihr Gesicht formen mußte, so daß die Kamera auf dieses gerichtet, nur an ihrem Gesichtsausdruck den Orgasmus ‚sieht‘.

Doch, auch außerhalb ihrer Erfindung, eigentliches Zentrum des Films, das nur möglich war, weil 2016 Tonbandkassetten gefunden wurden, die ein sehr ausführliches Interview festhalten, erfahren wir ihre Lebensstationen: sie heiratet - ebenfalls1933 - einen reichen Wiener Fabrikanten, dessenwegen sie, die assimilierte Jüdin, zum Katholizismus übertritt, sie verläßt ihn 1937 und geht erst nach Paris, dann nach London. Halt. Das ist schon sehr viel mehr Information, als wir im Film von Alexandra Dean, bekommen. Und hier liegt – bei aller Bedeutung ihrer Erfindungen, der Stärke des Films – seine Schwachstelle. Er vermittelt nicht das Milieu aus dem sie kommt und auch nicht die familiären Hintergründe, die sie ein Leben lang mit sich schleppt.

Zwar heißt es im Film richtig, daß sie ihren Vater als „wundervolle Person“ beschreibt und als echte Vatertochter durch ihn ihr erst einmal jugendliches weibliches Selbstbewußtsein für das ganze Leben beibehält, aber man weiß nicht, daß dieser die Folgen des verlorenen Krieges von Österreich-Ungarn am eigenen Leib erlebte. Der Vater, ein assimilierter Jude aus Lemberg, aus Galizien, woher die Creme der Avantgarde nach der Hauptstadt Wien gekommen war, konnte als Bankdirektor seiner Tochter eines standesgemäße Erziehung bieten. Sie wird noch als Jugendliche das Max Reinhardt Seminar zur Schauspielausbildung besuchen. Die Mutter, eine Konzertpianistin aus Budapest, spielt im Film nur eine Rolle, als sie sich aus Wien retten kann und über London in die USA kommt, wo sie von der Tochter unterstützt wird.

Daß auf die Wiener Mädchenjahre nicht eingegangen wird, berührt negativ unmittelbar das zentrale Thema des Films, ihre sensationelle Erfindung, die sie durch ein Patent schützte, das aber nach sechs Jahren auslief, so daß, wie es am Schluß heißt, sie eigentlich um 30 Milliarden Dollar betrogen wurde. Aber wieso kommt eine Schauspielerin überhaupt dazu, sich um Frequenzen Gedanken zu machen? Diese Frage wird nicht einmal aufgeworfen. Zwar darf Hedy Lamar in einer Einstellung sagen, daß Chemie in Wien ihr Lieblingsfach war, aber mehr erfährt man nicht.

Hätte die US-Regisseurin Recherche zur Ausbildung höherer Töchter in der Wiener Nachkriegszeit betrieben, hätte sie erfahren, daß es in den reinen Mädchengymnasien gang und gäbe war, der naturwissenschaftlichen Ausbildung höchsten Rang zu geben. Meine gleichaltrige Wiener Mutter hat zwar keine Erfindung patentieren können, aber sie war in Mathematik, in Chemie, in Physik so umfassend gebildet, daß sie kaum verstehen konnte, weshalb ihre Töchter in der Koedukation mit Jungen naturwissenschaftlich so unterbelichtet blieben. Auch meine Mutter löste nachts im Bett mathematische oder naturwissenschaftliche Rätsel. Es war damals den jungen Mädchen ein Forschungsgen eingepflanzt worden, das am Beispiel der Hedy Lamarr herrliche Früchte trug.

Doch, doch, dieser Film ist trotz einiger Schwächen sehr sehenswert und zeigt eine nicht nur naturwissenschaftlich kluge und analytische Frau: „Jedes Mädchen kann glamourös sein. Du musst nur still stehen und dumm dreinschauen.“ Sie war wahrscheinlich zu klug für ihre Zeit und nicht clever genug, sich dümmer zu stellen. Ihre Persönlichkeit wird im Film zusammengefügt durch Beiträge ihrer Kinder, von Freunden, auch von Feinden, von eigenen Aussagen und aus ihrer Biographie. Zudem werden aus ihren Filmen Ausschnitte gezeigt.

Aber das alles ist uns zu häppchenhaft. Da wird eine Aussage an die andere gefügt. Sinnvoller wäre es gewesen, die Tochter, den Sohn nicht zu den jeweiligen Aspekten mit einigen Antworten abzuspeisen, sondern durch längere Interviews Wesentlicheres zur Mutter herauszukitzeln, auch Widersprüche. Daß die sechs Ehen keine größere Rolle spielen, wäre, so vermuten wir, auch im Sinne von Hedy Lamarr gewesen, die mit diesem Film sicher glücklich gewesen wäre, der sie eben nicht nur als Schauspielerin wichtig nimmt, sondern als kreativen Menschen mit einem Erfindungswillen.

Daß wir froh um diesen Film sind, wurde schon ausgesprochen. Gleichzeitig heißt es für uns, daß wir uns auf die Suche nach den beiden schon vorhandenen Filme über Hedy Lamarr begeben, von denen wir nichts wußten: CALLING HEDY LAMARR von Georg Misch aus dem Jahr 2004 und aus dem Jahr 2005 HEDY LAMARR – SECRETS OF A HOLLYWOOD STAR von Donatello und Fosco Dubini sowie Barbara Obermaier.

Uns interessiert einfach, warum ein so kluger Mensch und eine derart selbstbewußte Frau sich den Fallstricken eines öffentlichen Lebens nicht entzogen hat und dann auch noch mit naturwissenschaftlicher Bildung sich angeblichen Schönheitschirurgen ausgeliefert hat, die aus ihrem so schönen Gesicht eine furchtbare Fratze operierten. Traurig fürwahr. Wenigstens ihre Kinder bewahren ihr ein liebevolles Angedenken – wenngleich das dann wieder zu glatt daherkommt, amerikanisch eben.

Foto: 
© Verleih

Info:
von Alexandra Dean, mit Hedy Lamarr und Peter Bogdanovich