f nachdemurteilSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. August 2018, Teil 1

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Unsicher blättert die Familienrichterin in den Akten. Vor ihr sitzen Miriam (Léa Drucker) und Antoine (Denis Ménochet) wie versteinert neben ihren Anwältinnen. Die Beziehung des geschiedenen Paars ist unzweifelhaft nicht mehr zu retten. Aber müssen ihre beiden Kinder darunter leiden, braucht nicht der Sohn den Papa? Unparteiisch aus der Distanz, fast dokumentarisch und durchsetzt von spannenden Ambivalenzen legt der französische Regisseur Xavier Legrand seine Exposition um einen Sorgerechtsstreit an.

Gegen den Vater stehen schwere Anschuldigungen im Raum: Er sei gegen sie und ihre fast volljährige Tochter Joséphine mehrfach gewalttätig geworden, behauptet seine Ex-Frau, und auch einige schriftliche Zeugenaussagen sprechen dafür, dass es so gewesen sein könnte. Aber so wie die Richterin nachhakt und die Anwältinnen kontrovers argumentieren, regen sich auch Zweifel: Ist Antoine vielleicht gar nicht so jähzornig, wie ihm angelastet wird? Wiegelt die Mutter die Kinder gegen ihn auf, wie er ihr unterstellt? Aussage steht gegen Aussage, Anspruch gegen Anspruch. Er beharrt darauf, seinen Sohn alle 14 Tage zu sich holen zu dürfen, sie lehnt das mit aller Macht ab, aber die Richterin entscheidet zugunsten des Mannes.

Anders als im klassischen Gerichtsdrama, das mit dem Urteil endet, beginnt an dieser Stelle die eigentliche Handlung, und zwar mit einem Schlag in die Magengrube. Die obligatorischen Treffen an den Wochenenden mit dem Vater bedeuten für den elfjährigen Julien eine Tortur. Antoine spioniert den Jungen aus, tyrannisiert ihn und zwingt ihn dazu, Miriams neue Adresse preiszugeben, denn er will seine Frau zurück und lässt nicht locker. Aus der anfänglich nüchternen Versuchsanordnung entspinnt sich unmerklich ein beunruhigender, in einem schier alptraumartigen Finale mündender Thriller.

In tragischer Konsequenz zeichnet der preisgekrönte Film Ursachen und Kettenreaktionen bis zur Eskalation nach, wie es ein Michael Haneke nicht besser könnte, seziert wie unter einem Brennglas die verheerenden Wechselwirkungen von Angst, Wut, Ohnmacht und Enttäuschung. All diese Emotionen vermitteln sich in der präzisen Körpersprache großartiger Darsteller, unter denen der mit enormer Reife beeindruckende Thomas Gioria in der Rolle des Jungen hervorgehoben sei. Wie ein Gefangener sitzt er neben dem Vater im Auto, verspannt, bedrückt, hilflos und resigniert. Auch wenn „Nach dem Urteil“ mit einem Bild der Hoffnung endet, geht dieses Drama in seiner klinischen Nüchternheit tief unter die Haut.
Ein ergreifendes Drama um häusliche Gewalt, das in seiner kühlen Inszenierung an Thriller von Michael Haneke erinnert.

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© Verleih

Info:
Originaltitel Jusqu’à la garde Land / Jahr Frankreich 2017 Länge 94 Minuten FSK ab 12 Jahren beantragt Kinostart 23. August 2018 Regie & Drehbuch Xavier Legrand Kamera Nathalie Durand

Rollen und Darsteller
Léa Drucker (Miriam Besson) Denis Ménochet (Antoine Besson) Thomas Gioria (Julien Besson) Mathilde Auneveux (Joséphine Besson) Mathieu Saïkaly (Samuel) Saadia Bentaïeb (Richterin) Émilie Incerti-Formentini (Antoines Anwältin) Sophie Pincemaille (Miriams Anwältin)