Wer gewinnt die Bären? Die Wettbewerbsfilme auf der 63. Berlinale vom 7. bis 17. Februar 2013, Teil 9/26

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Am Schluß hat sie es ihm so richtig gegeben, die 58jährige Goria, die zuerst in Rudolfo ihr Glück sieht und mit ihm auch glücklich ist, wenn da nicht die ständigen Anrufe der Töchter um die Dreißig wären, die ohne ihren Vater nicht zurechtkommen, was der geschiedenen Gattin wohl auch so geht.

 

Wie stark muß man sich trennen, damit eine neue Beziehung oder eine neue Liebe – und danach sieht es auf beiden Seiten aus – überhaupt eine Chance hat, ist eine der Fragen, die der Film stellt und vordergründig auch beantwortet: so auf jeden Fall geht es nicht. Regisseur Sebastian Lelio wußte schon, was er tat, denn er hat in diese Emanzipationsbemühung von Gloria, die sich aus ihrer herkömmlichen Ehefrauenrolle neu erschaffen muß und auch kann, gleich sehr viel mehr eingepackt, was so grundsätzlich und darum leicht nebulös mit der Entwicklung der chilenischen Gesellschaft zu tun hat. Nach Allende und nach Pinochet, will man selber hinzufügen.

 

Gloria (Paulina García) sieht überhaupt nicht ein, daß das alles gewesen sein soll, was das Leben bietet. Sie fühlt sich lebendig und so verhält sie sich auch. Sie ist beruflich tätig und ihre Freizeit dient ihrem Vergnügen – von der Familie, d.h. ihren zwei Kindern, was ihr heilig ist, abgesehen. Dies Freizeit führt sie immer wieder zum Tanzen in der Single-Disco. Dort lernt sie Rudolfo kennen und mit ihm ist alles anders. Das könnte was werden und so führt sie ihn bei ihren Freunden ein, was gut geht, und in ihre Familie – der Sohn hat Geburtstag – und trifft dort zum ersten Mal auf ihren geschiedenen Mann und dessen neuer Frau. Ah, denkt man sich, jetzt, wo sie selbst einen Partner hat, geht das wieder.

 

Aber es geht nicht,weil er geht. Das alte Ehepaar ist mit den Kindern so in die Vergangenheit und die vielen Fotos verstrickt, daß Rudolfo verschwindet. Oder hat er nur für sich selbst den Vorwand gesucht, weil eine der Töchter wieder seine Hilfe wollte? So geht es im Hin und Her. Gloria lernt Neues durch Rudolfo kennen und umgekehrt. Aber sein Verhalten des Verschwindens – diesmal hat sich die Ex-Frau am Glas geschnitten – wiederholt sich. Gleichzeitig nimmt Gloria sein Verschwinden zum Anlaß, um sich wie eine Pubertierende vollaufen zu lassen, hinzu kommt eine merkwürdige Begegnung mit einem Mann, die nicht ganz zu deuten ist. Wir finden sie am nächsten Morgen zerknüllt am Strand. Dann läuft das Racheprogramm.

 

Der Film zeigt eine Frau, die in Bewegung gekommen ist. Er zeigt auch eine, die permanent Kontrolle ausüben muß, seien es Kinder oder Liebhaber. Daß sie loslassen lernt, nämlich von ihren Vorstellungen und Leben zuläßt, erkennt man an einer Kleinigkeit. Die haarlose Katze, die sich immer wieder ihre Wohnung schleicht, und von ihr schnurrstracks hinausgeworfen wird, die läßt sie auf einmal gewähren. Wir sehen einen gut gemachten Film, der zeigt, daß sich etwas im Leben von Gloria ändert, was der Regisseur für ganz Chile erhofft, so daß die verhinderte Liebesgeschichte eigentlich eine Gebrauchsanweisung für die Chilenen ist. Beende das eine, räume auf, laß Licht und Luft herein und dann fange noch einmal an.

 

Als Emanzipationsgeschichte ist dieser Film allerdings überstrapaziert. Denn auch das neue Leben der Gloria ist eine Option, aber keine Gewähr, daß sich etwas ändert. Tanzen zu gehen und Spaß zu haben, ist nicht genug. So haben wir bedauert, daß diese Gloria aber auch nicht einmal ein Buch las oder einen Gedanken mit jemandem diskutierte. Es bleibt im Privaten und schon Adorno hat gesagt: Es gibt kein richtiges Leben im falschen.

 

Aus der Pressekonferenz:

Der sehr engagierte Regisseur Sebastían Lelio sieht eine ständige Wechselwirkung der Forderungen Glorias an ihr Leben,eine Wechselwirkung, der Funken schlägt, die durch die kleine persönliche Geschichte den Kontext erhält aufs Große: Gerechtigkeit und Anerkennung des aktuellen Lebens im Chile von heute. Seine Motivation ist, ein Gleichgewicht zwischen Lachen und Weinen zu erzeugen, wie es dem Bossa Nova entspricht.

 

Zwei Aspekte werden angesprochen, die die chilenische Gesellschaft betreffen. Ist das normal, daß ältere Geschiedene noch einmal Liebe suchen? Sebastián Lelio hat sich mit Absicht um die gekümmert, die schon gelebt haben, aber sich nicht alt fühlen und noch einmal von vorne mit dem Leben und der Liebe beginnen wollen. So eine ist auch Gloria mitsamt ihren Möglichkeiten, Frauen, die das Recht einfordern, tanzen zu gehen, glücklich zu sein. Insbesondere das Spiel der Gloria durch PAULINA GARCÍA wird gelobt und ihre Offenheit, was ihr Mitspieler Sergio Hernández bezüglich der Sexszenen betont, der überhaupt über diesen schwierigen Charakter sehr gescheite Sachen sagt.

 

Die Frauen haben sich sehr geändert. Gloria erlebt etwas Neues und will darin fortfahren.Das Leben hat sich geändert und sie bewegt sich mit. Sie spürt, daß sie auf einer Begegnungsreise ist, bis zu diesem realen Gefühl: Glück. Die Frage ist, ob das zweimalige Verschwinden von Rudolfo im Kontext der chilenischen Geschichte zu erklären ist. Die Schauspielerin der Gloria stellt fest: „Freiheit ,Gleichheit, Brüderlichkeit muß es auch für Chile geben. Die Menschen bleiben wachsam und machen weiter.“