Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 6. September 2018, Teil 4
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Selten hat mich ein Film so überrascht, so verblüfft, so berührt wie dieser Film, der keine Dokumentation ist, als Essayfilm kategorisiert ausdrücken soll, daß Hans Puttnies (Kamera, Buch und Regie), der 2008 zwei Wochen lang noch in den bekannten Ruinen von Palmyra gefilmt hatte, was nach der Zerstörung durch den Islamischen Staat 2015 buchstäblich zerbröselte, seine Gedanken zu den Bildern spricht, was mich, die ich Palmyra gut kannte, doch kalt ließ, bis ganz zum Schluß dieser fünfzehnjährige Andenkenverkäufer und Beduine das sagt, was sich mir in mein kulturelles Gedächtnis auf ewig eingebrannt hatte: „ Etwas an meinem Herzen. Es hat mit meinem Herzen zu tun.“
Und er sagt weiter: „Ich werde zurückkommen.“ Das ist fast prophetisch, wenn man bedenkt, daß dies im Jahr 2008 war, wo er ja dort lebte. Zurück, das heißt in diese Oase in der syrischen Wüstensteppe, etwa 230 Kilometer nordöstlich von Damaskus und 150 östlich von Homs. Das sind die letzten Einstellungen des Films, dessen Aufnahmen ja immerhin von 2008 rühren. Der Junge ist jetzt ein 25jähriger Mann, wenn er denn lebt. Und deshalb – und das verblüfft mich selbst – interessiert mich nach dem Schauen am allermeisten, was mit Mohamed passiert ist? Wie gut, daß es Pressehefte gibt. Dort ist nicht nur dieser Junge (groß) vor den Ruinen von Palmyra (klein) auf dem Titel abgedruckt, sondern man erfährt, daß er vom IS gefoltert wurde, „weil er seine Schwester beschützte“ (?) und im letzten Jahre (2016? - Der Filmverleih KAIROS terminiert die Entstehung des Films 'Deutschland 2017‘ ) nach Dänemark flüchten konnte. Da wünscht man sich gleich, er sei nach Deutschland gekommen und er würde unser Land bereichern und uns gut tun.
Daß Hans Puttnies nicht mit diesen Szenen anfängt, sondern aufhört, kommt einem wie dessen eigener Erlebnis- und Erkenntnisprozeß vor, den zumindest ich als Zuschauerin intellektuell und emotional nachvollziehe. Der Film fängt mit dem an, was derjenige, der mit dem Begriff PALMYRA etwas anfangen kann, erwarten darf. Er zeigt Aufnahmen der Ruinen von Palmyra und erklärt, weshalb der Filmemacher im Sommer 2008 dorthin gekommen ist – er begleitet die Witwe des Archäologen Heinz Kähler - der allerdings ist schon 1974 gestorben und war Professor für Klassische Archäologie an der Universität Köln und ist durch Schriften über die Römischen Provinzen, auch Palmyra war eine solche, bekannt - , die ihm von Palmyra vorgeschwärmt hatte, weshalb er mitfuhr und weshalb beide gleich zwei Wochen dort blieben, was dem Film gut tut. Denn alles das, was man von einem gut recherchierten Film über eine historische Stätte erwartet, liefert der Film, weshalb wir dies hier kurz halten können. Im Film selber werden die verschiedenen Glanz- und Elendszeiten der späteren römischen Provinz detailliert vorgestellt und anhand der vorhandenen Ruinen zum Leben erweckt. Das Nostalgische denken wir hinzu, denn so ist der Film nicht angelegt. Aber beim Schauen dieser herrlichen rötlichen Ruinen vor blauem Himmel, kommt einem immer wieder in den Sinn, warum denn das Ruinöse, diese Säulen und Pfeiler, die einsam in den Himmel ragen, so viel eindrücklicher sein können, als ein ‚fertiger‘, also unzerstörter Tempel oder Grabmal.
Dabei geht Puttnies nicht nur auf die Steine, auf die ursprünglichen Gebäude und ihre Bestimmung ein, sondern versucht, auch das Leben einschließlich der Vielgötterei (von rund 60 Göttern kann man ausgehen) in den Kontext der wechselnden Bewohner dieser Region einzuweben. Dabei nutzt er oft Fotos, wobei alles Bildmaterial für ihn Monumente des Geschichtsprozesses sind, den er vorführen will, „aus dem das Leben nicht gewichen ist“. Das ist ein hoher Anspruch, den er selbst in Frage stellt: „Kann ein Film dies leisten?“, weshalb er sich auch als gewitzter Filmemacher erweist, unterläuft er doch damit jegliche potentielle Kritik. Aber wir haben gar keine.
Wir, die wir glaubten, Palmyras gut zu kennen, erfahren so viel Neues, daß wir den Film über genug damit zu tun haben, diese Informationen aufzunehmen, uns einzuverleiben. Und damit sind nicht die sehens- und hörenswerten archäologischen und geschichtlichen Kenntnisse über Bel-Baal (Adler mit Schwingen), Jarchibol (Sonne) und Aglibol (Mond) gemeint, -über die man gerne einen eigenen Dokumentarfilm hätte, wie nämlich der soziale Aufstieg des Jarchibol von einer gemeinen Schutzgottheit einer Quelle zum Sonnengott vonstatten ging, was natürlich damit zu tun hat, welchen Stellenwert Wasser in der Wüste gewinnt -, also all das Eigentliche, warum man einen Film namens PALMYRA anschauen will, ist nicht mehr das Wesentliche, wenn man von mindestens zwei Sachverhalten erfährt, die einem unbekannt waren.
Palmyra gehört zu den erst später hoch gehandelten archäologischen Stätten. So hatten sich in den Ruinen der ehemals römischen Provinzstadt längst Beduinen angesiedelt und verschiedene syrische Volksstämme, die natürlich ihre arabischen Bauten in und zwischen die Ruinen setzten und wie immer, auch Tempel als Moscheen nutzten. Deutschland spielte bei der Qualifizierung als wichtige Grabungsstätte eine große Rolle. Puttnies geht auch auf den Archäologen Thomas Wiegand ein, der vom Hobby-Archäologen Kaiser Wilhelm II. in seinen vorderasiatischen Ausgrabungen gefördert wurde. Er hatte übrigens 1899 auch Priene freigelegt, „das griechische Pompeji“, in dem noch heute jährlich Ausgrabungsarbeiten der Universität Frankfurt stattfinden. Und Thomas Wiegand, der 1912 die Leitung der Antikenabteilung der Museen in Berlin übernommen hatte und das spektakuläre Markttor von Milet für das Pergamonmuseum (das er auf- und ausbaute) sicherte, stand hervorragend mit dem Osmanischen Reich und konnte auch danach im Orient weitergraben, als letzte Ausgrabung Pergamon 1927.
FORTSETZUNG FOLGT
Foto:
© Verleih
Info:
Ein Essayfilm von Hans Puttnies Deutschland 2017 – 90 Min.
Kamera, Buch und Regie: Hans Puttnies Schnitt,
Ton und Musik: Daniel Kirschbaum
Produktion: Sigrid Brügel-Puttnies
im Verleih von KAIROS Film Göttingen
www.palmyrafilm.de