Wer gewinnt die Bären? Die Wettbewerbsfilme auf der 63. Berlinale vom 7. bis 17. Februar 2013, Teil 17/26

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Hart. Harte Kost. Aber Wahrheit. Die heute so verehrte Bildhauerin und Schülerin und Geliebte von Rodin, Camille Claudel, ist von ihrer Familie in einer Irrenanstalt fern von Paris eingesperrt worden, obwohl ihre Symptome im Rahmen ihres Künstlerseins nur die andere Seite waren. Juliette Binoche ist hier für einige Tage im Jahr 1915 Camille Claudel.

 

 

Man müßte über Camille Claudel, über die es auch einen auf der Berlinale aufgeführten Film über ihr Leben gibt, eigentlich mehr wissen, über ihre kraftvollen Skulpturen, von denen ihr Lehrer Auguste Rodin so begeistert war, daß er, der Superbildhauer des 19.Jahrhunderts auf ihre Schöpfungskraft eifersüchtig war. Das mag man nicht glauben, ist aber Tatsache und von daher spielt er im weiteren Leben der Claudel eine ausgesprochen schlimme Rolle, weil er mit dafür sorgte, daß sie von ihrer Familie ins Irrenhaus weggesperrt wurde.

 

Wenn wir gleich im Film eine Kranke vorfinden, die uns unglaublich gesund vorkommt, der man aber beispielsweise Verfolgungswahn vorwirft, was im Film als ihre Wahrnehmung und ihre Ängste auch zum Ausdruck kommen, dann darf sie das haben, denn sie wurde u.a. von Rodin verfolgt. Der Film führt uns erst einmal diese Irrenanstalt in der Nähe von Avignon in ihrer realistischen Drastik vor, daß man diesem Irrsinn am liebsten durch Weglaufen aus dem Kino entgehen möchte. Camille Claudel aber hatte das laute Schreien, das manisch über Minuten mit dem Löffel auf den Tisch Klopfen, das Heulen, das Kreischen, die kleinen Gemeinheiten, die kaum von den liebevoll gemeinten zu unterscheiden ist, sie hatte das alles auszuhalten.

 

Und es gibt kein Entweichen. Denn der kleine Hof der Anstalt gibt kaum Raum und wenn der nahegelegene Hügel bestiegen wird, sind die Insassen um sie herum. Nirgends kann sie die Ruhe finden, die sie braucht und nirgends das, was an Schaffenskraft noch in ihr rumort, ausagieren. Diese Rolle übernehmen die Steine, die in dieser Gegend eine große Rolle spielen, über die sie trampeln und steigen und man sieht in diesem Steinbruch irgendwie auch ihr zerbrochenes Leben, ihre zerschlagenen Skulpturen aus Marmor.

 

Der Süden Frankreichs ist kalt. Zur rauen Landschaft kommt der Mistral hinzu, dieser Fallwind, der einen frieren läßt und im Film hervorragend eingefangen wird, denn Camille muß ständig diesem Wind trotzen und wird von ihm hin und hergeworfen. Sehr subtil setzt Regisseur und Drehbuchautor Bruno Dumont kleine Zeichen, die uns symbolisch sagen, wie sehr der Wahnsinn hier Methode hat und deutlich wird, in einer solchen Umgebung wird man verrückt.

 

Der Film ist in einer echten Irrenanstalt gedreht worden, die man heute nicht mehr so nennt, sondern Klinik sagt. Das heißt auch, daß die Mitinsassen geistig behinderte Menschen sind und der Regisseur sich auf ihr Mitspiel verlassen mußte, was er durfte. Das liegt auch daran, daß die beiden Protagonisten, zuvorderst Camille und dann ihr Bruder, der katholische Dichter und Nobelpreisträger Paul Claudel Jean-Luc Vincent ja Wahnsinnige darstellen sollen. Was nämlich im Film deutlich herüberkommt, ist der Fanatismus des sehr katholischen Claudel, der exaltiert und wie der Inquisition entsprungen eine Härte und Ignoranz an den Tag legt, die im Kontrast steht zu den liebevollen Gefühlen, die ihm die Schwester entgegenbringt. Er hat sie auch häufig besucht, aber ihre Hoffnung, daß sie spätestens nach dem Krieg entlassen wird: „Ich möchte nur bei mir zu Hause sein und die Tür schließen“, nicht zu erfüllen versucht, obwohl der Arzt dies 1915 nahelegte. Camille Claudel vegetierte noch 30 Jahre in dieser Anstalt!

 

Muß man über die Situation mehr sagen? Juliette Binoche spielt diese Figur in einer Innerlichkeit und Hoffnungslosigkeit, die von Anfang bis Ende in Bann schlägt. Denn eigentlich passiert in dem Film nicht viel, von dem die Binoche auch sagte, sie habe kein richtiges Drehbuch gehabt, sondern es ging um das Leben und Erleben im Irrenhaus, nicht so sehr um die Worte. Sie spielt die Fragilität dieser Frau und ihre Hoffnungen, ihre Ängste und Liebenswürdigkeiten denen gegenüber, die sehr viel kränker sind und eigentlich unausstehlich, denen gegenüber sie aber immer wieder wie eine ältere Schwester hilfreich ist. Eine wunderbare konzise und konsequente Darstellung, die jeden Silbernen Bären wert ist.

 

 

Aus der Pressekonferenz:

 

Anwesend sind Regisseur und Drehbuchautor Bruno Dumont, Jean-Luc Vincent spielt den Paul Claudel. Juliette Binoche wird gefragt, wie sie die Rolle angegangen habe. Sie tritt auch in der Pressekonferenz sehr klar auf. Sie wollte zeigen, wie die Seele der Claudel aussieht, die Leere, das Nichts. Sie selbst hat den Anstoß zum Film gegebene. Aber, sagte sie „ es muß einen dann jemand mitnehmen auf die große Reise“ und diesen Kapitän hat sie im Regisseur gefunden. Dumont hat lange über die Filmarbeit nachgedacht und auch über seine Hauptdarstellerin: „Es gibt viele Parallelen zwischen Juliette, die auch Malerin ist, und Camille, was sie ist und wie sie ist.“

 

Als ich von ihrem Eingesperrtsein erfuhr, wußte ich, daß es eine einfache Geschichte ist, die man konzentriert filmisch erzählen muß.“ Der Besuche ihres Bruders waren die einzige Freude der Camille, auf diese Besuche hin, ist auch der Film konzipiert. Juliette Binoche fügt hinzu: „Das Wichtige war die Abwesenheit von Leben, von Beruf, von Familie auf der Leinwand nachzuempfinden. Das Hineinfallen in die Rolle ist so weit gegangen, daß ich in Heulkrämpfe ausbrach. Aber am Ende ihres Lebens hat sie eine Leichtigkeit gefunden, eine Art Erlösung und Glück.

 

Was ist normal? Wo beginnt und endet Wahnsinn? Genau diese Grundfrage stellt der Film, ohne sie auszusprechen. Der Regisseur hat sich seine Kenntnis der Situation aus den Briefen der Claudel erlesen. Aus den Briefen geht das Unerträgliche der Anstalt hervor, der Lärm, keine Privatheit und wirklich Verrückte.

 

Wie sie sich auf die Rolle vorbereitet habe? Die Binoche gibt eine professionelle Antwort: „Ein Schauspieler muß bereit sein, sich auf die Rolle einzulassen, darum gehört das Leiden in dieser Rolle dazu. Wie man privat ist, hat mit dem Ausfüllen der Rolle nichts zu tun“, sagte sie klar denen gegenüber, die immer nach dem Anteil des Ichs bei solchen Rollen fragen. „Verlassenheit, Einsamkeit und Wahnsinn darzustellen, ist immer schwierig. Rodin hatte sie geliebt und er sie auch. Aber sie wird dann bestraft. 20 Jahre nach der Beziehung. Das ist eine bodenlose Ungerechtigkeit, die wollte ich erzählen.“

 

Warum 1915? Man hätte auch 1913 nehmen können,meint Dumont. Hinterfragt wird die Rolle des Bruders, der seinen Wahnsinn und seine Inbrunst in Gott ausdrückt. Es war ihr nicht möglich, in ihrer Zeit ihre Kunst auszuüben, dazu kam der Neid von Rodin. Heute wäre sie nicht in der Irrenanstalt gelandet.