Wer gewinnt die Bären? Die Wettbewerbsfilme auf der 63. Berlinale vom 7. bis 17. Februar 2013, Teil 15/26

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Der Wettbewerbsfilm am Vorabend hatte mit den Gittern und Zäunen aufgehört, PARDÉ, der iranische Beitrag von Jafar Panahi und Kamboziya Partovi fängt am Morgen damit an. Dieser Film nimmt die politische Situation des Berufsverbot für Panahi und seinen Hausarrest zum Anlaß, darüber einen realen und surrealistischen Film zu drehen.

 

Vor dem Inhalt muß man über das Verfahren der Herstellung sprechen. Jafar Panahi, der hier 2006 für OFFSIDE den Silbernen Bären erhielt – und 2000 in Venedig für DAYEREH den Goldenen Löwen – und zudem im Jahr 2011 in die Jury der Berlinale berufen wurde, ihm aber die Ausreise verboten wurde, ist im Iran zu 6 Jahren Haft und 20 Jahren Berufs- und Reiseverbot verurteilt worden. Auf Grund der internationalen Bekanntheit und des Einsatzes ausländischer Regierungen für ihn, ist die derzeitige Situation für ihn Hausarrest. Diesen nutzte er, um zusammen mit seinem Lehrer Partovi diesen Film zu inszenieren und zu spielen, der allerdings in der Grundlage seine Idee ist, dessen Drehbuch er schrieb, den er auch selber schnitt sowie produzierte.

 

Wir haben auf diesen klaustrophischen Film sehr körperlich reagiert und sind von Migräne mit Übergebungsgefühlen heimgesucht worden, die schon deshalb aus dem Zuschauen resultierten, weil sie nach dem Film vergingen. Noch während des als unerträglich empfundenen Zuschauens überkam einen das Gefühl, man würde lieber bei der Produktion des Films mitwirken, dann nämlich hätte man konkret etwas zu tun, als diesen Film zu ertragen, indem man hilflos im Sessel sitzt, statt irgendwo gegen die Verhältnisse im Iran zu protestieren.

 

Richtig, diese Verhältnisse ändern sich dann auch nicht, wenn wir protestieren. Eine Änderung kann nur von innen kommen. Aber wenn schon eingesperrt, sagten sich wohl die Filmkünstler, dann wenigstens auf diese Weise reagieren. Wir sehen also ein Gitter quer über die Leinwand gezogen, sehen durch es durch auf einen einsamen Strand, ein Auto hält, ein Mann geht mit einer Tasche auf das Haus zu, durch dessen Gitter wir zusehen, schließt die Türe auf, läßt sich durchs Fenster vom Taxifahrer Wasser und Lebensmittel reichen, der Taxifahrer fährt davon und unser weißhaariger Mann öffnet eine schwarze Tasche, in dem brav und reglos ein Hund liegt, der gleich sehr lebendig wird und mit dem Ball spielt.

 

Als erstes verbarrikadiert sich der Mann, den wir als Schriftsteller identifizieren und der Kamboziya Partovi ist, total, indem er die Vorhänge zuzieht und mit schwarzen Stoffbahnen zusätzlich verdunkelt, damit das Licht im Haus nicht nach draußen dringt. Das ist alles ungeheuer gespenstisch und man hat viel Zeit, sich Gedanken zu machen. Auch in der Schlüsselfrage, denn er hantiert sehr auffällig mit den Schlüsseln beim mehrfachen Absperren der Haustür und wirft sie in eine hängende Stofftasche. Der Schlüssel ist ein mehrdeutiges Symbol in der Psychoanalyse, weil er sowohl aufsperrt, wie auch absperrt und noch weitere Symbolik besitzt.

 

Hier auf jeden Fall durchdringt die doch abgeschlossene Tür ein junges Paar, die angeben, er habe die Türe aufgelassen – und tatsächlich der Schlüssel fehlt. Was dann passiert, hat eben sowohl Traumcharakter wie auch surreale Elemente. Der junge Mann entfernt sich, die junge Frau geistert durchs Haus und nervt den Mann, der sich weiter – in seinem eigenen Haus?! - einrichtet, immer wieder aber in Angstattacken weitere Verstecke im Haus schafft. Eine Schlüsselstellung nimmt der Hund ein. Man bekommt nämlich mit, daß der Schriftsteller, der sich seine Haare abrasiert und kahlköpfig bleibt, in den Zeitungen mit Bild als derjenige gebrandmarkt wird, der einen Hund seiner zielgerichteten Ermordung entzog, denn Hunde gelten im Islam als unrein.

 

Folgerichtig sieht man dann im Fernsehen die grauenvollsten Hundeabschlachtungen, die nur durch den Witz gemildert werden, mit denen der Regisseur den zuschauenden Hund den Ton anstellen läßt, denn zur Beschäftigung darf der eingeschlossene Hund fernsehen – allerdings ohne Ton. Sofort läuft unser Mann herbei und macht dem Hund sein Spielzeug, die Fernbedienung kaputt, in dem er die Batterien löst. Wie der Hund dem Verenden eines Hundes im Fernsehen zuschaut, ist absolut makaber. Daß dieses Abschlachten und Zusammenknüppeln der Hunde eine übliche Praxis ist, weiß man erst durch diese Bilder, die ein Iraner aufgenommen hatte. Gerade deshalb ist nicht nur das Überleben des Hundes ein Hoffnungszeichen, sondern mehr noch sein freudiges Spiel und solidarische Verhalten, wenn es um Stillsein und Verstecken geht.

 

 

Die Polizei sucht also schon wegen des Hundes unseren Mann und sucht auch die junge Frau, läßt sich aber nach An-die -Türen-Hämmern vom dunklen Haus täuschen und zieht ab.Das Klima von Angst und Bedrohung im Haus ist körperlich spürbar und auch hier wird die klaustrophobische Situation nur gemildert durch die Rekonstruktionsversuche der Hausbewohner, zu denen inzwischen auch Jafar Panahi als Jafar Panahi gehört. Rekonstruktion will sagen, daß wie im Schachspiel man Züge zurückgehen kann und dieselben noch einmal setzen kann, hier eine bestimmte Situation wiederum bei Null beginnt und so, wie wir sie schon einmal sahen, erneut gespielt wird. Jafar Panahi allerdings spielt seine Rolle im Iran auch in diesem Haus. Er öffnet alle Vorhänge und läßt Luft und Licht ins Innere.

 

Damit sind aber die bisherigen Hausbewohner nicht einverstanden. Denn ihre Angst wird jetzt noch verstärkt und sie mischen sich ein in eine Handlung, die undurchdringlich ist und auf einmal wahrscheinlich macht, daß sie gar keine echte Menschen sind, sondern Ausgeburten der Phantasie des Filmemachers Panahi, der metapherngleich mit ihnen jongliert. Was ist wahr, was Paranoia, was erfundene Fiktion?

 

 

 

Aus der Pressekonferenz:

 

Kommen durften Kamboziya Partovi und die Schauspielerin Maryam Moghadam, nicht aber der eigentliche Filmer, Jafar Panahi. Seit 1979 sind Regisseur Partovi und Panahi befreundet. „Wir kennen uns in vielerlei Hinsicht. Partovi schildert seinen Freund privat und beruflich und sagt über ihn: „Für ihn ist das Arbeiten mühsam, aber noch sehr viel mühsamer ist es, nicht arbeiten zu dürfen.“

 

Erwarten Sie Reaktionen der Behörden“, ist eine der Fragen. „Wir wissen nicht, was uns die Zukunft bringt.“ Die Truppe des Films bestand aus ganz wenigen Personen, Fachleute, Panahi und Panahi im Wechsel als Regisseur, je nachdem, wer gerade spielte, eine sehr reduzierte Gruppe. Die Vorhänge wurden angebracht, damit das Filmen möglich ist und solche Szenen wurden dann wieder ins das Drehbuch integriert, so daß tatsächlich eine ständige Mischung von Realität und nachgemachter Wirklichkeit einsetzte.

Ob der Pahani den Film sehen konne?, wurde gefragt. Auf jeden Fall sollen alle ihn sehen. Die Prozedur mit dem Hund, der wirklich geradezu mitspielt, wurde 20 Tage vorbereitet, damit sich dieser an sein Herrchen gewöhnt. Der Hund wurde von Partovi gefunden und wurde „Sohn“ genannt, weil er mit ihm lebt.

 

Das Prozedere des Films wurde nach und nach festgelegt, im Prozeß des Drehens wurde durch Verschränkung von Echtem und einer fiktiven Handlung und fiktiven Personen ein undurchdringliches Amalgam gemischt. Es wird nach der Funktion des Selbstmordes gefragt, die im Film der jungen Frau ständig unterschoben wird. Die Frage nach dieser merkwürdigen Frau im Film, beantwortet die Schauspielerin Maryam Moghadam, daß diese vielen jungen Frauen ähnle, die nicht offen revoltieren, aber etwas anderes wollen als diesen Staat und ein solche Gesellschaft.

 

Die Bilder der Ermordung der Hunde sind authentisch. „Warum haben Sie den Film so gedreht?“ Es gibt eine Geschichte. Zwei Jahre zuvor. Nachdem Pahani wieder auf freiem Fuß war. Einer der Freunde der Filmemacher hatte ihm vorgeschlagen, Notizen niederzuschreiben, was er nicht konnte, und den Vorschlag, dann in die Kamera das alles zu sprechen, lieber verwirklicht hat. Dieser Film entspricht dem Rahmen des Möglichen. Denn das sind derzeit Pahanis Gedanken: das Eingeschlossensein.