N.N.
Berlin (Weltexpresso) - Die Dreigroschenoper, das Exposé und der Prozess: "Die Dreigroschenoper ist ein Versuch, der völligen Verblödung der Oper entgegenzuwirken". Bertolt Brecht
„Die Dreigroschenoper“ ist der größte Bühnenerfolg der Zeitgeschichte, ein deutsches Kulturgut und ein „Exportschlager“. Das Stück zählt zu den bekanntesten überhaupt, Zitate daraus sind zu festen Begriffen geworden, die Songs zu Welthits. Die Popularität ist bis heute ungebrochen. Das liegt einerseits an der Attraktivität der Musik, die eine Art Sound der 1920er Jahre darstellt, andererseits an der Aktualität des Stücks. Trotzdem gibt es nur wenige Verfilmungen des Stoffs, die jüngste deutschsprachige ist mehr als 50 Jahre alt und hält sich wie die anderen sehr eng an das für die Bühne geschaffene Stück. Dabei wurde bisher immer völlig übersehen, dass es ein Exposé zur Verfilmung des Welterfolgs gibt, und zwar von keinem Geringeren als dem Autor selbst: Bertolt Brecht.
Die Uraufführung der „Dreigroschenoper“ am 31. August 1928 wurde ein Sensationserfolg, das Stück bediente den Tanz auf dem Vulkan am Ende der Weimarer Republik und bot als Anti-Oper mit völlig neuer Form und Inhalt ein überraschendes Potenzial aus Kunst, Unterhaltung und Gesellschaftskritik. Legendär ist nicht nur das Stück, sondern auch das Chaos im Vorfeld. Die Ausfälle von Hauptdarstellern, die vielen Kräche und die total verpatzte Generalprobe schienen auf den erwarteten Skandal hinzudeuten. Die Premiere begann äußerst nervös, Brecht hatte seinen Schauspielern Trillerpfeifen gegeben, um auf Buhrufe reagieren zu können, doch beim Kanonensong begann der Jubel des Publikums, der bis zum Schluss anhielt.
Der Sensationserfolg und die Schallplattenaufnahmen mit den Songs, die sofort nach der Uraufführung erschienen, sorgten für ein Dreigroschenfieber in Berlin: Dreigroschenkneipen eröffneten, die Frauen verkleideten sich als Prostituierte, die Männer als Zuhälter und Ganoven. Die Dreigroschenoper lief in Berlin monatelang vor ausverkauftem Haus und schon bald in den anderen Großstädten Europas und der Welt. Kein Stück erreichte ein größeres Publikum. Kein anderes hat das Verbot und die Katastrophe des Nationalsozialismus so überdauert, dass es nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sofort wieder auf den Bühnen zu sehen war. Im zerstörten Berlin begann im Hebbel-Theater mit der Inszenierung des Stücks eine neue Zeitrechnung.
Brecht nahm den Erfolg der Dreigroschenoper zwiespältig auf und fasste den Plan, durch eine Verfilmung des Stoffs die Gesellschaftskritik konsequenter als im Stück zu betonen. Er wollte das neue Medium nicht allein der Unterhaltungsindustrie überlassen und die neuen ästhetischen Gestaltungsmittel auf den Film übertragen, mit der Haltung, „dass es Unfug wäre, Elemente eines Theaterstücks wenig verändert zu verfilmen."
Zusammen mit Kurt Weill schloss Brecht 1930 einen Vertrag mit der Nero-Film AG, der dem Autor wichtige Rechte am Drehbuch einräumte. Wegen der völlig unterschiedlichen Auffassungen des Autors und Komponisten einerseits und der Filmfirma andererseits kam es bald zum Bruch. Brecht verweigerte die weitere Zusammenarbeit, die Filmfirma engagierte eigene Drehbuchautoren und begann mit den Dreharbeiten. Daraufhin reichte Brecht – Kurt Weill schloss sich einen Tag später an – eine Klage gegen Nero ein, mit der er forderte, dass die begonnenen Dreharbeiten abgebrochen werden. Er inszenierte damit einen Prozess, den er selbst als „soziologisches Experiment“ bezeichnete. Brecht pochte auf sein Recht als Urheber des Stücks, also auf sein geistiges Eigentum. Auf der anderen Seite stand die Summe von 800.000 Mark, die Nero bereits in das Projekt gesteckt hatte. Brecht spekulierte darauf, dass die von Nero investierte Summe für das Gericht ein stärkeres 10 Argument als das Recht des Urhebers sein würde. Das Experiment wäre also gescheitert, wenn Brecht den Prozess gewonnen hätte.
Als das Gericht die Klage abwies, hatte Brecht sein Ziel erreicht. Er legte Berufung ein und sorgte dafür, dass der Fall in der Öffentlichkeit verhandelt wurde. Er beabsichtigte, „die bürgerliche Ideologie“ in der Wirklichkeit zu überprüfen und ihr nachzuweisen, dass sie verlogen sei. Die Presse in Deutschland stieg darauf ein und diskutierte den Fall ausführlich. Auch Häme blieb nicht aus: Ausgerechnet Brecht, der seine „Dreigroschenoper“ aus allen möglichen Quellen zusammengestohlen hatte, berief sich auf das Recht auf „geistiges Eigentum“. Zu diesem „Eigentum“ hatte er bereits zuvor, als man ihm ein Plagiat vorwarf, höhnisch seine „grundsätzliche Laxheit“ öffentlich bekundet: „Geistiges Eigentum ist eben so eine Sache, die zu Schrebergärtchen und dergleichen Angelegenheiten gehört.“ In der Gerichtsverhandlung ging es um Details des Films und Brechts Exposé. Brecht konnte den Film nicht verhindern, erhielt aber in einem Vergleich eine Abfindung und das Recht, den Film später selbst zu machen.
Das Fazit seines Experiments zog er in seiner Abhandlung „Der Dreigroschenprozeß“, die unter dem Motto steht: „Die Widersprüche sind die Hoffnungen“. Der Text ist viel mehr als eine Beschreibung des Prozesses. Brecht stellt grundsätzlich seine ästhetischen Vorstellungen in Gegensatz zu den herkömmlichen Produkten der Filmindustrie.
Bei dem ganzen Trubel um den Prozess ging bis heute unter, dass Brecht ein Exposé zur Verfilmung verfasst hatte: „Die Beule“, die eigentliche Filmversion der „Dreigroschenoper“. Die Änderungen gegenüber dem Stück sind einerseits medienspezifisch begründet; sie stellen andererseits eine politische Verschärfung dar, die auch als Konsequenz aus der gesellschaftlichen Entwicklung zu sehen ist.
Im Oktober 1929 stürzte der Börsencrash in New York die Welt in eine Wirtschaftskrise mit furchtbaren Auswirkungen auch in Deutschland. Seit 1930 beherrschten die Aufmärsche der SA in zunehmendem Maß die Straße. Ihre Schlägertrupps sprengten alle Veranstaltungen, die den Nazis nicht genehm waren, mit brutaler Gewalt. Auch die Aufführungen von Brechts Stücken mussten dran glauben, den Nazis war der Autor der „Dreigroschenoper“ besonders verhasst. Bald nach Hitlers Machtantritt musste Brecht nach dem Reichstagsbrand aus Deutschland fliehen. Er rettete wenigstens den Stoff, als er im Exil keine Aussicht mehr hatte, das Exposé zu verfilmen, indem er den „Dreigroschenroman“ schrieb. Mit den vier Bearbeitungen des Dreigroschenstoffs, der Oper, dem Exposé, der Schrift „Der Dreigroschenprozeß“ und dem Roman, legte Brecht umfangreiches Material vor, das eine auf dem Autor basierende Verfilmung seines ästhetisch und politisch radikalen Konzepts doch noch ermöglicht.
Für einen Film über den größten Theatererfolg der Zeitgeschichte mit dem Exposé des Dichters als Grundlage ist es höchste Zeit, es ist die erste auf Brecht basierende Verfilmung seines Welterfolgs. Ebenso spannend wie der Dreigroschenstoff ist die Entstehungsgeschichte des Exposés im Berlin der wilden 1920er Jahre vor dem Hintergrund des Tanzes auf dem Vulkan in der ausgehenden Weimarer Republik. MACKIE MESSER – BRECHTS DREIGROSCHENFILM zeigt den Film, der nie gemacht wurde und liefert dazu das Making of in der Rahmenhandlung: den Versuch, einen politisch und ästhetisch radikalen Film in Konfrontation zur Filmindustrie zu machen, ein Stoff und eine Form, die seinesgleichen sucht.
" Ich möchte eine Kunst machen, die die tiefsten Dinge berührt und 1000 Jahre dauert. Sie darf nicht so ernst sein." Bertolt Brecht
Fotos:
© Wild Bunch,
Titel: Alexander Kluge
Text: Stephan Pick
Info:
Da ARTE und SWR den Film mitfinanzierten, wird er auch bald im TV laufen.
„Mackie Messer - Brechts Dreigroschenfilm“, D 2017, 130 Minuten, FSK 6 Jahre
Regie Joachim A. Lang mit Lars Eidinger, Tobias Moretti, Hannah Herzsprung, Joachim Król, Max Raabe u.a. Kinostart am 13.9.2018
Die Uraufführung der „Dreigroschenoper“ am 31. August 1928 wurde ein Sensationserfolg, das Stück bediente den Tanz auf dem Vulkan am Ende der Weimarer Republik und bot als Anti-Oper mit völlig neuer Form und Inhalt ein überraschendes Potenzial aus Kunst, Unterhaltung und Gesellschaftskritik. Legendär ist nicht nur das Stück, sondern auch das Chaos im Vorfeld. Die Ausfälle von Hauptdarstellern, die vielen Kräche und die total verpatzte Generalprobe schienen auf den erwarteten Skandal hinzudeuten. Die Premiere begann äußerst nervös, Brecht hatte seinen Schauspielern Trillerpfeifen gegeben, um auf Buhrufe reagieren zu können, doch beim Kanonensong begann der Jubel des Publikums, der bis zum Schluss anhielt.
Der Sensationserfolg und die Schallplattenaufnahmen mit den Songs, die sofort nach der Uraufführung erschienen, sorgten für ein Dreigroschenfieber in Berlin: Dreigroschenkneipen eröffneten, die Frauen verkleideten sich als Prostituierte, die Männer als Zuhälter und Ganoven. Die Dreigroschenoper lief in Berlin monatelang vor ausverkauftem Haus und schon bald in den anderen Großstädten Europas und der Welt. Kein Stück erreichte ein größeres Publikum. Kein anderes hat das Verbot und die Katastrophe des Nationalsozialismus so überdauert, dass es nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sofort wieder auf den Bühnen zu sehen war. Im zerstörten Berlin begann im Hebbel-Theater mit der Inszenierung des Stücks eine neue Zeitrechnung.
Brecht nahm den Erfolg der Dreigroschenoper zwiespältig auf und fasste den Plan, durch eine Verfilmung des Stoffs die Gesellschaftskritik konsequenter als im Stück zu betonen. Er wollte das neue Medium nicht allein der Unterhaltungsindustrie überlassen und die neuen ästhetischen Gestaltungsmittel auf den Film übertragen, mit der Haltung, „dass es Unfug wäre, Elemente eines Theaterstücks wenig verändert zu verfilmen."
Zusammen mit Kurt Weill schloss Brecht 1930 einen Vertrag mit der Nero-Film AG, der dem Autor wichtige Rechte am Drehbuch einräumte. Wegen der völlig unterschiedlichen Auffassungen des Autors und Komponisten einerseits und der Filmfirma andererseits kam es bald zum Bruch. Brecht verweigerte die weitere Zusammenarbeit, die Filmfirma engagierte eigene Drehbuchautoren und begann mit den Dreharbeiten. Daraufhin reichte Brecht – Kurt Weill schloss sich einen Tag später an – eine Klage gegen Nero ein, mit der er forderte, dass die begonnenen Dreharbeiten abgebrochen werden. Er inszenierte damit einen Prozess, den er selbst als „soziologisches Experiment“ bezeichnete. Brecht pochte auf sein Recht als Urheber des Stücks, also auf sein geistiges Eigentum. Auf der anderen Seite stand die Summe von 800.000 Mark, die Nero bereits in das Projekt gesteckt hatte. Brecht spekulierte darauf, dass die von Nero investierte Summe für das Gericht ein stärkeres 10 Argument als das Recht des Urhebers sein würde. Das Experiment wäre also gescheitert, wenn Brecht den Prozess gewonnen hätte.
Als das Gericht die Klage abwies, hatte Brecht sein Ziel erreicht. Er legte Berufung ein und sorgte dafür, dass der Fall in der Öffentlichkeit verhandelt wurde. Er beabsichtigte, „die bürgerliche Ideologie“ in der Wirklichkeit zu überprüfen und ihr nachzuweisen, dass sie verlogen sei. Die Presse in Deutschland stieg darauf ein und diskutierte den Fall ausführlich. Auch Häme blieb nicht aus: Ausgerechnet Brecht, der seine „Dreigroschenoper“ aus allen möglichen Quellen zusammengestohlen hatte, berief sich auf das Recht auf „geistiges Eigentum“. Zu diesem „Eigentum“ hatte er bereits zuvor, als man ihm ein Plagiat vorwarf, höhnisch seine „grundsätzliche Laxheit“ öffentlich bekundet: „Geistiges Eigentum ist eben so eine Sache, die zu Schrebergärtchen und dergleichen Angelegenheiten gehört.“ In der Gerichtsverhandlung ging es um Details des Films und Brechts Exposé. Brecht konnte den Film nicht verhindern, erhielt aber in einem Vergleich eine Abfindung und das Recht, den Film später selbst zu machen.
Das Fazit seines Experiments zog er in seiner Abhandlung „Der Dreigroschenprozeß“, die unter dem Motto steht: „Die Widersprüche sind die Hoffnungen“. Der Text ist viel mehr als eine Beschreibung des Prozesses. Brecht stellt grundsätzlich seine ästhetischen Vorstellungen in Gegensatz zu den herkömmlichen Produkten der Filmindustrie.
Bei dem ganzen Trubel um den Prozess ging bis heute unter, dass Brecht ein Exposé zur Verfilmung verfasst hatte: „Die Beule“, die eigentliche Filmversion der „Dreigroschenoper“. Die Änderungen gegenüber dem Stück sind einerseits medienspezifisch begründet; sie stellen andererseits eine politische Verschärfung dar, die auch als Konsequenz aus der gesellschaftlichen Entwicklung zu sehen ist.
Im Oktober 1929 stürzte der Börsencrash in New York die Welt in eine Wirtschaftskrise mit furchtbaren Auswirkungen auch in Deutschland. Seit 1930 beherrschten die Aufmärsche der SA in zunehmendem Maß die Straße. Ihre Schlägertrupps sprengten alle Veranstaltungen, die den Nazis nicht genehm waren, mit brutaler Gewalt. Auch die Aufführungen von Brechts Stücken mussten dran glauben, den Nazis war der Autor der „Dreigroschenoper“ besonders verhasst. Bald nach Hitlers Machtantritt musste Brecht nach dem Reichstagsbrand aus Deutschland fliehen. Er rettete wenigstens den Stoff, als er im Exil keine Aussicht mehr hatte, das Exposé zu verfilmen, indem er den „Dreigroschenroman“ schrieb. Mit den vier Bearbeitungen des Dreigroschenstoffs, der Oper, dem Exposé, der Schrift „Der Dreigroschenprozeß“ und dem Roman, legte Brecht umfangreiches Material vor, das eine auf dem Autor basierende Verfilmung seines ästhetisch und politisch radikalen Konzepts doch noch ermöglicht.
Für einen Film über den größten Theatererfolg der Zeitgeschichte mit dem Exposé des Dichters als Grundlage ist es höchste Zeit, es ist die erste auf Brecht basierende Verfilmung seines Welterfolgs. Ebenso spannend wie der Dreigroschenstoff ist die Entstehungsgeschichte des Exposés im Berlin der wilden 1920er Jahre vor dem Hintergrund des Tanzes auf dem Vulkan in der ausgehenden Weimarer Republik. MACKIE MESSER – BRECHTS DREIGROSCHENFILM zeigt den Film, der nie gemacht wurde und liefert dazu das Making of in der Rahmenhandlung: den Versuch, einen politisch und ästhetisch radikalen Film in Konfrontation zur Filmindustrie zu machen, ein Stoff und eine Form, die seinesgleichen sucht.
" Ich möchte eine Kunst machen, die die tiefsten Dinge berührt und 1000 Jahre dauert. Sie darf nicht so ernst sein." Bertolt Brecht
Fotos:
© Wild Bunch,
Titel: Alexander Kluge
Text: Stephan Pick
Info:
Da ARTE und SWR den Film mitfinanzierten, wird er auch bald im TV laufen.
„Mackie Messer - Brechts Dreigroschenfilm“, D 2017, 130 Minuten, FSK 6 Jahre
Regie Joachim A. Lang mit Lars Eidinger, Tobias Moretti, Hannah Herzsprung, Joachim Król, Max Raabe u.a. Kinostart am 13.9.2018