f meckie eidingerSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 13. September 2018, Teil 14

N.N.

Berlin (Weltexpresso) - Muss man viel Selbstbewusstsein mitbringen, wenn man Brecht spielen will? Ich war in vielerlei Hinsicht extrem unsicher. Ich finde es beim Film generell schwierig, dass man zu Beginn Entscheidungen trifft, die dann für den Rest des Drehs verbindlich sind. Im Theater können sich gewisse Verkrampfungen auch erst nach drei Wochen lösen. Auf einmal hat man einen Zugang. Beim Drehen ist es ähnlich. Nur ändern kann man es dann nicht mehr. Zum Beispiel stellte sich mir die Frage, wie ich Brechts Dialekt anpacke. Brecht sprach Augsburgerisch, rollte also das „R“ sehr auffällig. Aber ich wurde bei den ersten Proben von unserem Regisseur Joachim Lang in eine andere Richtung gelenkt. Er wollte, dass ich Brecht nicht imitiere, sondern interpretiere. Ich habe mich also eher an dessen Sprachmelodik und Diktion orientiert, anstatt den Versuch zu unternehmen, ihn 1:1 zu kopieren. Ich wollte auf keinen Fall wirken wie ein Schauspieler, dem man anmerkt, dass er einen Dialekt nachmacht, der nicht sein eigener ist. Meine Hoffnung ist, dass meine Befreiung von dem Dialekt auch für den Zuschauer eine Befreiung darstellt. Letzten Endes sehe ich ja auch nicht so aus wie Brecht und bin etwa zwei Köpfe größer. Das half bei der Entscheidung, mich auch davon zu lösen, wie Brecht in Wirklichkeit sprach.


Wie sind Sie an Ihren Brecht herangegangen?

Ich finde es richtig, dass wir einen Film machen, der mit gewissen Erwartungshaltungen bricht. Entsprechend habe ich auch meinen Brecht angelegt: bescheidener, ruhiger und zurückgenommener, als man Brecht vielleicht erwartet. Vermutlich würde man sich eher eine Rampensau vorstellen, einen Provokateur. Was nicht heißt, dass mein Brecht nicht provozieren würde. Aber er macht es mit sehr speziellen Mitteln. Er predigt: Die Widersprüche sind die Hoffnungen. Das versuche ich, in meine Interpretation mit aufzunehmen. Er sagt Sachen wie: „Eine Jahr Vögeln oder ein Jahr Denken? Für einen starken Gedanken würde ich jedes Weib opfern.“ Oder es gibt Liebesgedichte, in denen er von „rauchenden Fotzen“ spricht. Wer weiß denn, dass er auch so etwas geschrieben hat? Das gefällt mir. Man ist überrascht. Dem setze ich aber eine Persönlichkeit entgegen, die ich als bescheiden beschreiben würde. Es war ihm immer wichtig, freundlich zu sein. Das empfand er als sein höchstes Gut. Es ging ihm um Menschlichkeit. Ich bin immer wieder verblüfft, dass Genies wie Brecht oder Shakespeare, zu dem es einige Parallelen gibt, nicht zu Zynikern werden. Ihr Blick auf die Menschen ist ein liebender. Wir erzählen von Räubern und Geschäftsmännern und Kapitalismus, und das mit einer sehr kritischen Haltung. Aber wir erzählen es nicht distanziert, nicht mit dem erhobenen Zeigefinger des Oberlehrers.


Der Dreigroschenfilm umfasst einen unglaublichen Cast. Könnte man sagen, dass Sie ein ähnliches Künstlerkollektiv um sich versammelt haben, wie auch Brecht es einst hatte?

Es war mir vor dem Dreh gar nicht so klar, wie sehr sich Brecht, Weigel, Hauptmann und Neher als Gruppe definiert haben. Es gibt im Film auch diese schöne Formulierung von Brecht, als er sagt: “Heute rühmen sich viele Leute, ganz alleine große Bücher verfasst zu haben. Nur auf dem kümmerlichen Material, das ein Einzelner auf seinen Arm herbeischaffen kann, bauen sie ihre Hütten. Größere Gebäude als solche kennen sie nicht als die, die ein Einziger zu bauen imstande ist.” Das richtet sich einmal gegen Thomas Mann, der ein großer Antipode war. Aber bei Brecht war es tatsächlich so, dass er immer diese Leute um sich haben wollte, weil er verstanden hatte, dass er im Kollektiv am besten funktioniert. Das hat sich für mich sinnlich erschlossen, als wir zum ersten Mal alle zusammen waren: Peri Baumeister, Hannah Herzsprung, Britta Hammelstein und Meike Droste. Plötzlich hatte es etwas „kommunenartiges“, das war ein total starker Moment. Und ich glaube, das wird auch die Zuschauer überraschen, wenn sie den Film sehen. Denn man stellt sich einen Autor immer alleine in der Kammer vor. Aber bei Brecht entstand vieles auch aus dem Spaß und einer Lust und Freude aneinander.


Was gab Ihnen die Zuversicht, dass ein so ungewöhnlicher Film auch funktionieren wird?

Als wir das Buch gelesen hatten, ging es uns allen wohl so, dass wir uns gefragt haben, ob man sich das trauen kann. Nach dem ersten Treffen mit Joachim Lang waren die Bedenken wie weggeblasen. Da wusste ich: Mit dem geht das. Es imponiert mir, wie sehr er in der Materie ist. Er weiß wirklich alles über Brecht. Er hat diese Inhalte regelrecht inhaliert. Es macht Spaß, mit jemandem zu arbeiten, von dem man weiß, dass er ganz genau weiß, was er erzählen will. Aber natürlich birgt das auch Schwierigkeiten, wenn man einerseits den Anspruch hat, sich vom tradierten Bild, das man von Brecht hat, befreien zu wollen, andererseits aber mit jemandem arbeitet, der so viel über Brecht weiß, dass da eigentlich kein Verhandlungsspielraum bleibt. Seine Liebe zu dem Autor war zu jedem Augenblick spürbar. Es war also eine Gratwanderung. Für mich war das Projekt ein bisschen so wie die Arbeit vor einem Green-Screen. Man bekommt genau erklärt, wie später alles aussehen soll, hat aber selbst keine genaue Vorstellung davon. Das Spiel mit den beiden Erzählebenen, die ja teilweise fließend ineinander übergehen, ist von Joachim genau ausgearbeitet. Er weiß genau, wie es funktionieren soll, und er erklärt es einem auch. Und doch bleibt es einem als Schauspieler doch immer auch ein bisschen rätselhaft. Man muss dem Regisseur vertrauen und sich genau an seine Anweisungen halten.


Haben Sie etwas über Brecht gelernt?

Ich freue mich als Schauspieler immer, dass ich die Gelegenheit habe, mich solchen Themen stellen zu können. Ich empfinde das als Privileg, mich in der Vorbereitung eines Films hinsetzen und mich mit Brecht beschäftigen zu können. Ich habe viel gelernt, obwohl ich als Schauspieler, der eine Schauspielschule besucht hat, natürlich auch schon viel wusste. Viele Dinge hatte ich schon einmal gehört und kamen mir bekannt vor. Aber ich hatte noch nie die Zeit, mich so intensiv und konzentriert mit Brecht zu beschäftigen, ganz verdichtet zu erfahren, um was es bei ihm geht. Ich glaube, das ist auch das Spannende, was der Film dem Publikum bietet. Er räumt mit Klischees auf und gibt einem Zugang zu einem Autor, der den Ruf hat, sperrig, akademisch und trocken zu sein. Das Gegenteil ist der Fall. Als Zuschauer ist man aufgerufen, die eigenen Sehgewohnheiten zu hinterfragen. Das kann einen auch fordern. Man muss sich öffnen für die Thematik und sich auf den Film einlassen. Dann ist er ein großes Vergnügen.


Warum ist der Stoff der Dreigroschenoper noch heute aktuell? Was macht ihn zeitlos und gibt es Parallelen zur aktuellen gesellschaftlichen Situation?

Dass dieser und andere Stoffe von Brecht zeitlos sind, liegt ja nur daran, dass wir uns immer noch an bestimmten gesellschaftlichen Konflikten abarbeiten. Sie scheinen immanent und unüberwindbar. Es wäre ja schön zu sagen: „Damals haben wir bestimmte Probleme gehabt, und heute haben wir die nicht mehr.“ Aber das Gegenteil ist der Fall: Zum Beispiel, wenn in „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ die Reichen zu den Armen sagen: “Kommt doch rauf, es ist so schön hier oben!” und dann erkennen, dass dieses System eine Schaukel mit zwei Seiten ist. Es würde gar nicht funktionieren, dass die Armen nach oben kommen, denn dann würde die Wippe sich ausgleichen. Und oben sind die Reichen nur, weil die Armen mehr und unten sind. Es sind so einfache Bilder, die Brecht entwirft, aber sie leuchten ein, heute genauso wie damals. Es ist das, was unsere Welt nach wie vor ungerecht macht. Und das benennt er. Und obwohl wir das System durchschauen, schaffen wir es nicht, es zu überwinden.

Fotos:
© Wild Bunch,


Info:
Da ARTE und SWR den Film mitfinanzierten, wird er auch bald im TV laufen.
„Mackie Messer - Brechts Dreigroschenfilm“, D 2017, 130 Minuten, FSK 6 Jahre
Regie Joachim A. Lang mit Lars Eidinger, Tobias Moretti, Hannah Herzsprung, Joachim Król, Max Raabe u.a. Kinostart am 13.9.2018

Abdruck aus dem Presseheft