Yves Kugelmann
Berlin (Weltexpresso) - Viele hundert Gäste liefen am vergangenen Samstagabend über den roten Teppich des legendären Berliner Kinos Zoo Palast anlässlich des 100. Geburtstags von Artur Brauner. Gekommen sind alte Weggefährten wie die Schauspieler Mario Adorf, Armin Müller-Stahl oder Klaus-Maria Brandauer oder etwa die Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters.
Die Berliner und seine Freunde nennen ihn «Atze». Als ob er immer schon Berliner gewesen wäre. Schon im Namen spiegelt sich ein Spannungsbogen, der sich wie eine rote Linie durch Brauners Leben und Schaffen zieht. Der polnische Jude, der zum Sinnbild des Berliner Filmschaffens wurde, zum Filmmogul aufstieg, Stars und Visionen in die zerstörte Stadt holte und wie Phönix aus der Asche eine Art Traumfabrik im Kleinen erschuf. Der Visionär, der im Nachkriegsdeutschland schon früh mit ernsten Stoffen versuchte, den Blick auf die jüngste Geschichte, Unrecht und Aufklärung zu richten. Dann der umstrittene Filmmogul, der mit Härte Projekte durchsetzte, sich mit Industrie und Fiskus oder auch mit Künstlern anlegte. Und schliesslich der Pragmatiker, der nach dem Krieg am Set mit vielen ehemaligen Nationalsozialisten arbeitete, arbeiten musste. Denn alle anderen waren tot oder emigriert. Letztlich steht Brauner für den Pionier, der 70 Jahre lang Deutschlands und Europas Filmschaffen prägte, Emigranten wie Fritz Lang oder Robert Siodmak aus dem amerikanischen Exil nach Europa holte und ebenso wichtig für Künstler aus Osteuropa war.
Hollywood in Deutschland
Geboren ist Artur Brauner im polnischen Lodz. Verfolgt von den Nationalsozialisten während der Besatzung Polens, konnte er in die Sowjetunion flüchten und sich verstecken. Ein Grossteil seiner Familie wurde in der Schoah ermordet. Seine Eltern und drei Geschwister überlebten und wanderten nach Israel aus. 1946gründete er in Berlin seine Produktionsgesellschaft CCC-Film und legte damit nicht nur den Grundstein für eine beispiellose Karriere, sondern auch für das Filmschaffen in Berlin generell. In Berlin Spandau errichtete er Filmstudios und eine Art Hollywood Deutschlands. Dort entstanden Hunderte von Filmen.
Begonnen aber hat alles mit einem handfesten Skandal. Einer seiner ersten Filme «Morituri» (1965) mit Klaus Kinski erzählt die Geschichte von ausgebrochenen Holocaust-Häftlingen. Doch im Deutschland von 1948 wollte das niemand sehen. Der Film wurde nach der Premiere von den Spielplänen genommen und Jahrzehnte nicht gezeigt. Dabei zeigte Brauner bereits in seinem frühen Schaffen mit einer für damalige Zeiten neuen Bildsprache bezüglich der Darstellung von Tätern, dass er letztlich die wichtigen Stoffe mit filmischer Substanz verhandeln wollte und konnte. Brauner begann nun, erfolgreiche und durchaus hochwertige Unterhaltungsfilme zu produzieren, wie Karl-May-, Indianer-, Mabuse-, Edgar-Wallace-Filme oder eine eigenwillige Art von Heimatfilmen. Die Firma boomte, und mit dem Erfolg finanzierte er anspruchsvolle und kommerziell schwierige Stoffe. Darunter 26 Filme, die den Holocaust aufarbeiten. Darunter «Babi Jar, das vergessene Verbrechen», «Zeugin aus der Hölle», «Der letzte Zug» oder «Hitlerjunge Salomon». Der Film erzählt die wahre Geschichte jüdischen Jungen Sally Perel, der als Mitglied der Hitlerjugend die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland überlebte. Dass der Film 1990 von der deutschen Filmindustrie nicht für eine Oscar-Nomination eingereicht wurde, gilt bis heute als kontrovers.
Unabhängigkeit als Mantra
Brauner hat bis heute weit über 300 Filme produziert. Darunter Perlen wie die Dürrenmatt-Adaption «Es geschah am helllichten Tage» mit Gert Fröbe und Heinz Rühmann in den Hauptrollen unter der Regie von Ladislao Vajda, «Das indische Grabmahl», ein Film, für den er Fritz Lang nach Deutschland zurückholte, oder als Co-Produzent «Die Gärten der Finzi Contini» unter der Regie von Vittorio de Sica, für den der Basler Arthur Cohn mit dem Oscar ausgezeichnet wurde. Während Cohn früh Karriere in den USA machen und sechs Oscars gewinnen sollte, entschied sich Brauner für Europa: «Hier kann ich die Filme machen, die ich möchte», sagte er und formulierte zugleich das Mantra seines Schaffens: Unabhängigkeit. Diese war ihm so viel wert, dass er seine Firmen immer wieder an den Rand der Existenz brachte. Gewonnen hat er dann doch fast alle Filmpreise.
Ende der 1960er-Jahre kamen der politische Umbruch und das Fernsehen. Für die CCC-Studios begannen schwere Zeiten. Das Kino wurde weniger wichtig, seichte Stoffe passten nicht mehr in die Zeit, und andere Städte wie München oder Köln liefen Berlin den Rang als Filmstadt ab. Brauner schloss die Studios in Spandau, die erst vor einigen Jahren von seiner Tochter Alice Brauner wieder erfolgreich eröffnet und vor allem für Produktionen von Streaming-Plattformen wie Netflix genutzt werden.
Gesellschaftspolitisches Engagement
Artur Brauner indessen arbeitete bis ins hohe Alter weiter. Im Interview mit tachles sagte er vor zehn Jahren: «Wenn man eine Aufgabe hat und etwas erreichen will, will man ja weiterleben.» Für ihn sind es vor allem die Holocaust-Stoffe, die er noch bis ins letzte Jahr weiterentwickelte. Sie blieben stets wichtiger als all jene grossen Blockbuster-Filme, mit denen er die deutsche Filmindustrie nach dem Krieg zu neuem Leben erweckte und zum Teil revolutionierte. So standen bei den vielen ausschweifenden Gespräche in Brauners Haus am Wasser in Berlin weniger Filme, sondern Politik, Entwicklungen in der jüdischen Gemeinschaft, Menschen und Schicksale im Zentrum. Brauner ging es immer um mehr als Filme, die für ihn ein Anliegen waren, um Geschichte und Geschichten zu erzählen, an Menschen und ihr Wirken zu erinnern. In vielen seiner Filme zeigt sich dieses gesellschaftspolitische Engagement, das von den Erfolgsstreifen oft verkennend überlagert wird.
Bei der Berliner Feier genoss Brauner sichtlich entspannt und zufrieden mit seinen Enkeln die Würdigungen und blickt in einem Film «Der Unerschrockene» nochmals auf sein Leben als Produzent zurück: «Ich habe mein Leben retten dürfen, damit ich etwas bewirke.» Das war das Elixier seinen Schaffens.
Die Brückenbauer
Im Film zu sehen ist auch seine grosse Liebe, seine im letzten Jahr verstorbene Ehefrau Maria. Eine markante starke Persönlichkeit mit einem grossen sozialen Engagement und einer feinen liberalen Sensibilität, die die Familie Brauner immer wieder in stürmischen Zeiten zusammenhalten sollte. Das Paar galt über Jahrzehnte als begehrte Prominenz der Berliner Gesellschaft und Brückenbauer gerade auch für die jüdische Gemeinschaft Berlins und Israels, für die sich beide offen und stark engagierten. Das zeigte sich auch in den Würdigungen bei der Berliner Feier. Am Schluss waren es dann aber nicht die vielen Stars von Rommy Schneider bis Orson Wales an der Seite von Brauner, die üppigen Filmsets, die Preisverleihungen, die roten Teppiche oder die schillernden bis exzessiven Filmnächte, nicht der brillante Filmzampano, der smart mit den Unwägbarkeiten der Filmindustrie zurechtkam und auf dem glitschigen Parkett manchen Sturm elegant parierte, die in Erinnerung bleiben, sondern ein Mann, der um Stoffe, Geschichten und damit für Gerechtigkeit in einer vom Krieg zerrissenen Gesellschaft kämpfte und nie den Blick für das Schöne verlor. So zeigt der im letzten Jahr gedrehte Dokumentarfilm am Schluss Artur und Maria Brauner im Auto auf der Fahrt durch ihren Bezirk Grunewald. Es ist ein strahlender Sommertag. Beide schweigen, schauen dankbar aus dem Fenster und kommunizieren mit innigen Blicken. Artur Brauner schaut immer noch mit den staunenden Augen eines kleinen Jungen und sagt: «Was für ein schöner Tag!»
Foto:
© tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 14. September 2018