Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 13. September 2018, Teil 27
Claus Wecker
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - In den 90ern haben sie von sich reden gemacht: die türkischen Jugendbanden in Frankfurt, die Turkish Powerboys, Lamina oder Club 77. Wie auch in vielen anderen deutschen Städten handelten sie mit Drogen, klauten, raubten und verprügelten jene, die ihnen nicht schnell genug auswichen. In den Zeitungen und Fernsehnachrichten gab es jede Menge Berichte über ihre Missetaten.
Die Frankfurter Regisseurinnen Andrea Stevens und Cornelia Schendel hatten als Teenager auch vom Jackenraub gehört und von all den anderen Dingen, die kolportiert wurden. »Wir haben uns gefragt, was aus den Jungs und Mädchen von damals geworden ist. Es war uns wichtig, einen differenzierten Film über Jugendbanden zu machen, ohne diese oder deren Mythos zu glorifizieren«, sagen sie heute.
Aus den ungefilterten Berichten von drei damals Beteiligten haben sie ihren Film zusammengestellt, dessen Titel auf Deutsch Backpfeife und »jemanden abziehen, ihm etwas abnehmen« bedeutet (die türkische Provinz gleichen Namens und deren Hauptstadt ist wohl nicht gemeint).
Kerem lebt als Frührentner in Frankfurt. Er ist körperlich und seelisch stark von der Vergangenheit gezeichnet.
Hakan lebt heute als Feldarbeiter in Bayat in der Türkei und hat als Staatenloser ohne Pass und unverheiratet in Ostanatolien einen schweren Stand.
Dönmez ließ sich mit 26 Jahren in die Türkei zwangsausweisen, ist dort heute glücklich verheiratet und hat einen 10-jährigen Sohn, der es einmal besser machen soll. Wenn man Arbeit habe, sei überall Amerika, sagt er.
Der Film springt mit viel Drive zwischen Frankfurt und der Türkei von heutigen Aufnahmen zu Zeitdokumenten aus den 90er-Jahren hin und her. Das ergibt ein recht lebendiges Bild und wirft ein bezeichnendes Licht auf die derzeit laufende Integrationsdebatte. Als mahnendes Beispiel soll diese Doku dann auch in Schulen gezeigt werden. Bleibt zu hoffen, dass die Untertitel den Schülern nicht so auf die Nerven fallen wie dem Kritiker, der das gebrochene Deutsch der Protagonisten sehr gut verstanden hat.
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Titel: Dönmez, Kerem © Verleih
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Info:
Filmtitel: Tokat – Das Leben schlägt zurück
von Andrea Stevens und Cornelia Schendel
Filmgattung: Dokumentarfilm
Produktionsland: Deutschland, Türkei
Produktionsjahr: 2016
Länge: 78 min
Bildformat:16:9
Ton: Dolby Digital
Sprachfassung: Deutsch/Türkisch (Originalfassung mit Untertiteln)
Vorführformat: DCP
FSK: 12
Weltexpresso hatte die Frankfurter Premiere am 13. September angekündigt:
https://weltexpresso.de/index.php/kino/13877-drei-aus-einer-frueheren-tuerkischen-frankfurter-jugendgang
Außerdem wurde der Film 2016 mit einem der Preise des Hessischen Filmpreises ausgezeichnet
https://weltexpresso.de/index.php/kino/8194-der-hessische-filmpreis