hwk 07 BabylonBerlin CopyrightFredericBatierDie ARD-Serie startet am 22. / 23. September in 150  Kinos

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - Leute, die sich brüsten, seit Jahren keinen „Tatort“ mehr gesehen zu haben und das öffentlich-rechtliche Fernsehen verabscheuen, lobpreisen plötzlich die kommende neue ARD-Serie „Babylon Berlin“. Die bisher teuerste deutsche TV-Produktion sei endlich „der internationale Durchbruch“ und die „Ehrenrettung des deutschen Fernsehens.“ Was ist dran an diesem Rummel?

Die Serie, die Mitregisseur Tom Tykwer „eigentlich einen 12-Stunden-Film“ nennt, entführt uns nach Berlin ins Frühjahr 1929: Kommissar Gereon Rath aus Köln zerschlägt mit der Berliner „Sitte“ ein Pornofilm-Studio. Insgeheim versucht er einen Erpresser des Kölner Oberbürgermeisters zu entlarven. Seine spätere Geliebte „Charly“ arbeitet als Schreibkraft bei der Kripo, des Nachts prostituiert sie sich im edlen Tanztempel „Moka Efti“. Mit ihrer Großfamilie wohnt sie ärmlichen Verhältnissen. Kommunisten und Nationalsozialisten liefern sich tödliche Kämpfe. Der 1. Mai wird verboten, in Arbeitervierteln erschießt die Polizei Demonstranten und Unbeteiligte. Ein geheimnisvoller, vermutlich mit Gold beladener Zug aus Russland, ist auf dem Weg in die Hauptstadt. Um ihn streiten sich Trotzkisten, die Reichswehr und eine verarmte russische Adelige...

Babylon, das war im Alten und Neuen Testament der Ort des Unglaubens, der Unterdrückung, der Unzucht - so wie das Berlin am Ende der Zwanzigerjahre. Der Film entwickelt in den ersten Teilen die Anfänge einer komplexen Geschichte und eines vielschichtigen Zeitbildes. Die verschiedenen Ereignisse verknüpfen sich für die geduldigen Betrachter erst nach einiger Zeit. Diverse Erzählstränge werden mit schnellen Schnitten, Großaufnahmen, eigenartigen Kameraperspektiven oder anderen modernen cineastischen Mitteln gezeigt; die exzellenten Filmbilder sind als „großes Kino“ produziert.

„Babylon“ ist mit etlichen bekannten, aber unverbrauchten Filmschauspielern gut besetzt, die Identifikation und Empathie hervorrufen. Etwa mit Volker Bruch als Kommissar Rath oder Liv Lisa Fries als Charlotte „Charly“ Ritter.

hwk BabylonBerlin VolkerKutscheramSet CopyrightFredericBatierDie Serie ist keine direkte Verfilmung der Bestseller Volker Kutschers, man darf nicht zu viel Bekanntes erwarten. Jedoch schafft der Film die gleiche Stimmung und zieht uns in den Tanz auf den Vulkan wie die Romane des Autors, er orientiert sich nur locker an deren Inhalten und Figuren. Der Stoff wird von den drei Regisseuren (neben Tykwer Henk Handloegten und Achim von Borries) ziemlich durcheinander geschüttelt und verändert. Als Serie ergibt der Film Sinn, weil die verschiedenen Erzählungen nicht in einem normalen zwei- bis dreistündigen Spielfilm unterzubringen wären.

Ärgerlich ist lediglich, dass Rath, der in Kutschers Erzählungen als eigensinniger, aber erfolgreicher Kriminalist - wie einst Horst Schimanski im „Tatort“ - dargestellt wird, im Film etwas lächerlich und täppisch daherkommt. Er ist kriegsgeschädigt, rauschgiftsüchtig und verbummelt seine Pistole. Doch vielleicht darf er sich ja im Laufe der Serie noch entwickeln. Großartig sozialkritisch dargestellt ist das proletarische Milieu, in dem „Charly“ versucht zu überleben. Diese Realität der Armen und Arbeitslosen kommt bei Kutscher nur am Rande vor.

FAZIT des Autors

„Babylon Berlin“ ist ein spannender, komplexer und aufschlussreicher Lang-Spielfilm, der gute persönliche Geschichten erzählt und dennoch die Situation am Ende der Zwanzigerjahre in Deutschland mit kräftigen Filmbildern ausmalt. Seine cineastische Qualität unterscheidet sich allerdings nicht von vielen guten „Tatorten“ oder von der ARD (und anderen Sendern) unterstützten Spielfilmproduktionen. „Babylon“ strebt nicht einfach nur die „Sogwirkung“ von Serien an, sondern die angerissenen Geschichten werden komplettiert und weitererzählt. Dadurch ist diese Serie vielleicht sogar qualitativ besser als viele ihrer gefeierten US-amerikanischen Vorbilder, in denen es oft lediglich um Spannung als Selbstzweck geht.

Foto:
© Frederic+Batier (X Verleih)
Bild 1: Tanz im Berliner Kulttempel „Moka Enti“, es sind die filmisch stärksten Szenen
Bild 2: Unten im Vordergrund Autor Volker Kutscher bei den Dreharbeiten. Er war begeistert von den Aufnahmen und fand es spannend, dass seine literarischen Fantasien zu Bildern wurden

Info:
Am 22. / 23. September werden in 150 Kinos sämtliche 16 Serienteile vorab gezeigt. Im Folgeartikel berichtet Weltexpresso über die Vorführung in Frankfurt.: https://weltexpresso.de/index.php/kino/13945-babylon-berlin-ii

Die TV-Serie startet am „Tatort-Abend“, Sonntag 30. September, um 20.15 Uhr mit drei Teilen, Fortsetzungen jeweils donnerstags um 20.15 Uhr mit zwei Teilen. Weitere Staffeln sind bereits abgedreht bzw. in Arbeit. Da „Babylon“ vom Privatsender Sky mitfinanziert und vor einem Jahr ausgestrahlt wurde, hat der Film schon etliche TV-Preise bekommen.



Bild 1: Tanz im Berliner Kulttempel „Moka Enti“, es sind die filmisch stärksten Szenen

Bild 2: Unten im Vordergrund Autor Volker Kutscher bei den Dreharbeiten. Er war begeistert von den Aufnahmen und fand es spannend, dass seine literarischen Fantasien zu Bildern wurden