2105655.jpg r 1920 1080 f jpg q x xxyxx1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 20. September 2018, Teil 5

Heinz Markert
 
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ein Lehrstück in zivilem Ungehorsam: Wie der Kampf um die Reduzierung der Stickoxide zurzeit in einem rechtlichen Streitverfahren entschieden wird, so kam auch der Kampf um die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf mit Rechtsmitteln zu seinem Ende. Das endgültige Aus für die WAA wurde am 31. Mai 1989 beschlossen.
Am 29. Januar 1988 hatte der bayerische Verwaltungsgerichtshof den gesamten Bebauungsplan für die Anlage für nichtig erklärt. Es verhielt sich eben nicht so, dass wie der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß meinte, die WAA kaum gefährlicher sei als eine „Fahrradspeichen-Fabrik“, obwohl es sich um die Wiederaufbereitung für angebrannte Brennstäbe handelte, bei der Plutonium abgetrennt wird.
 
In Wackersdorf wollte die bayrische Staatsregierung Recht brechen, um die Wiederaufbereitungsanlage durchzuboxen. Dahinter stand der Politiker, der sich nicht allzu sehr ums Recht scherte, sofern er nur seinen Willen durchzusetzen die Gelegenheit hatte: Franz-Josef Strauß, der bekannt dafür war, dass er die atomare Aufrüstung der Bundesrepublik anstrebte.
 
‚Fortschrittliche Technologie‘, aber reale Bedrohung
 
Der Film Wackersdorf kreist um die Person des Landrats Hans Schuierer, SPD (Johannes Zeiler) und einen überschaubaren Kreis jener, die für oder gegen die WAA stritten und mit Alias-Namen verfremdet sind. An ihnen wird typisiert: das Lehrstück von Hoffnung auf versprochenen Aufstieg im Landkreis Schwandorf, aber exemplarisch auch der Widerstand gegen ein Projekt, das als zukunftsweisendes industrielles Großprojekt in einer strukturschwachen Region ausgegeben wird, aber eine Anlage mit sich bringt, die noch in 10 000 Jahren (erhöht) strahlen wird und wo aus gewonnenem Plutonium auch waffentechnisches Material hergestellt werden könnte. Selbstverständlich wurde dem Dorf die Umgehungsstraße und der Kindergarten u.a.m. versprochen.

Im Kern geht es filmsprachlich vermittelt um den Rechtsstreit um eine Sache. Das ist eine legitime Art des Herangehens. Für die Menschen aber, die gegen das Vorhaben stritten, ging es um Leidenschaft, um Pro und Contra; dies ist mit tiefen Bindungen an ursprüngliche, angenommene oder durch Einsicht gewonnene Überzeugungen verbunden. Neben dem Landrat weisen sich andere in lokalen Rollen und Funktionen aus: Claus Bössenecker (Peter Jordan), eine Gestalt von schillernder Statur, die aber Bescheid weiß, die Aktivistin Monika Gegenfurtner und Karl Gegenfurtner, Karlheinz Billinger, der mit dem Landrat isst (Fabian Hinrichs); Innenminister, Umweltminister, Staatssekretär und F.-J. Strauß (aus dem Off), dem Paten, der seine Hände immer im Spiel hat (er wird sprachlich eingeblendet). Die nachher Gelackmeierten, von denen kaum noch jemand weiß, waren auch ein Lehrer, der wegen seiner Teilnahme an den Protesten mit Berufsverbot belegt wurde und Beamte, die ihre Pension verloren. Einzelne traf es grausam, aber sie haben menschheitlich Fortschrittsgeschichte gemacht.

Die Realität taugt zum Spielfilm, der spielt

Kurz vor der Preview des Films lief im BR-Fernsehen im Rahmen des Formats ‚Lebenslinien‘ ein Dokumentarfilm, der eine führende originale Aktivistin liebevoll dokumentierte, unter dem Titel: ‚Irmgard und die Widerstandssocken‘. Diese heute 88jährige, litt in ihrer Jugend unter langen Entbehrungen. Stricken aber war ihr stets Passion. Sie hat über viele Jahre unzählige warme Socken gestrickt und viel mehr noch von all dem, was verspricht, warm zu halten. - zeitweilig auch für die Aktivisten, die gegen die Anlage angingen, wobei sie selbst an den Aktionen unerschrocken teilnahm.

Lange führte Irmgard ihr ruhiges Leben mit Mann und bescheidener Haushaltung. Aus einem Instinkt heraus wurde sie misstrauisch, als sie vernahm, dass nahe bei ihrem Zuhause eine umstrittene WAA gebaut werden solle. Die von technokratischem Geist getriebene Härte des Staates machte sie zur Aktivistin, sie wurde auf diese Weise zu einer Legende. Denn derartiges war ihr nicht in die Wiege gelegt worden oder ins Stammbuch geschrieben.

Das Lehrstückhafte, es funktioniert

Der Lehrstückcharakter macht den Film ‚Wackersdorf‘ überzeugend. Rollenspielerinnen und Rollenspieler, die wirklichen sowie spielende, zeichnen sich durch das aus, was Menschen der Vorgeschichte (nach Marx) kennzeichnet, nämlich je nach Neigung Integrität oder Hinterlist. Durch Hinterlist diejenigen, die meinen, einem Privileg gemäß, die persönliche Machtstellung durch ein Großprojekt der kosmischen Halbwertszeiten festzementieren zu dürfen. Durch Integrität diejenigen, die dem Angriff auf die Schöpfung mit dem Ruf: ‚Wehrt Euch, leistet Widerstand!‘ begegnen, weil sie nicht möchten, dass die Erde stück für stück unbewohnbar wird. Diese Gefahr droht aktueller denn je. Aus der Größe der Sache heraus schalteten sie auch den Pfarrer mit ein, damit er ihnen an der Weg-Kapelle seine Fürbitten aufsage. Das schien zu helfen und baute langes Durchhaltevermögen und Solidarität auf.

Die Auseinandersetzung um die WAA wurde mit ungeheurer Härte geführt. Es ging unerbittlich zu. Der Film deutet das nur in Rückblenden an. Die aus der Ferne kamen und mithalfen, sorgten machtvoll dafür, dass das Projekt WAA Wackersdorf 1989 aufgegeben werden musste. Es war ein erfolgreicher Akt des zivilen Ungehorsams und des zivilrechtlichen Widerstands. Die Brechung des Rechts konnte sich nicht durchsetzen.

Im Mittelpunkt des Lehrstücks steht Landrat Schuierer, der umsichtig und im Gefühl der Verantwortung alles erstmal hinzunehmen bereit war, was da im Kreis sich anbahnte, zunehmend aber wurde er kritischer, misstrauischer und erkannte schließlich, dass ein ganz ungutes Spiel mit seiner Heimatgegend gespielt werden sollte. Strauß malte die Volksfront an die Wand und sprach von Kinderbelustigung, die aufhören müsse. Landrat Schuierer aber stellte sich quer. Parteigenossen seiner SPD wandten sich gegen ihn, wobei auch der Satz geschrieben wurde: „Schade, dass es kein KZ mehr gibt!“ (aus einem anonymen Schreiben). Der Landrat wurde zum Volksfeind. Und der Staatssekretär meinte noch schnoddrig: „Werden den Krieg gewinnen“.

Obgleich der Landrat die Unterschrift zur Genehmigung und zum Beginn des Projekts hätte geben müssen, hat die Staatsregierung die Unterschriftsvorschrift aufgehoben und versucht seine Person zu übergehen und damit auszuschalten. Dass aber die Strahlung nicht nur ein wenig erhöht wird, sondern überhand nehmen kann, hat die Kernschmelze von Tschernobyl im Jahr 1986 gezeigt. Fernseh-Zimmermann verkündete die sich nähernde Gefahr: „Belastung hat in den letzten Tagen zugenommen“, er bat die Bundesbürger die Fenster zu schließen. Boden, Salat, Pilze, Trüffel und Morscheln wurden kontaminiert, Spielplätze mussten geschlossen werden. Herr Schäuble scheute sich nicht, dem schockierten Volk eine Mär der Verharmlosung zu verkünden: dass es zu keiner Zeit eine Gefährdung gegeben habe. Tschernobyl lag aber gerade mal 2000 km weit weg und Bayern hatte den stärkeren Fallout aufzuweisen.

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© Verleih

Info:
Wackersdorf · Starttermin 20. September 2018, 2 Std. 02 Min., von Oliver Haffner, mit Johannes Zeiler, Peter Jordan, Florian Brückner u.a.

Der Film wurde beim Filmfest München mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.
Er enthält erkennbar filmische Ausschnitte aus der zurückliegenden Zeit-Periode.