f Wackersdorfif Productions Erik Mosoni2Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 20. September 2018, Teil 6

N.N.

München  (Weltexpresso) -Die bürgerkriegsähnlichen Bilder haben sich ins kollektive Gedächtnis eingeprägt: Polizisten, die auf Demonstranten einschlagen und aus Wasserwerfern Reizgas schießen, Helikopter, aus denen Rauchbomben geworfen werden, Autonome, die mit Steinen auf Polizisten zielen und Autos anzünden. Und mittendrin Zehntausende Bürger, die friedlich demonstrieren, um den Bau einer Wiederaufbereitungsanlage zu verhindern. Diese soll in den Achtziger Jahren in Wackersdorf gebaut werden, einer Gemeinde im oberpfälzischen Landkreis Schwandorf. Der Ort ist einst durch Braunkohleförderung reich geworden, doch Anfang der Achtziger werden die Bergwerke geschlossen, die Arbeitslosigkeit liegt bei über zwanzig Prozent. Nun könnten tausende neue Arbeitsplätze entstehen: Die Deutsche Gesellschaft zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen (DWK), ein Zusammenschluss der zwölf größten Energieversorger der BRD, hatte jahrelang nach dem passenden Ort für die WAA gesucht, in der jährlich 500 Tonnen Atommüll bearbeitet werden sollen. Im Februar 1985 legt sie sich auf Wackersdorf fest. Darauf hatte Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß energisch hingearbeitet, der DWK pries er die Oberpfälzer als „industriegewohnte Bevölkerung“ an.

Eine Fehleinschätzung: Anwohner und Atomkraftgegner sind schon mobilisiert, seit der Standort Wackersdorf im Gespräch ist. 1981 gründet sich die „Bürgerinitiative Schwandorf“, 1982 demonstrieren 15.000 Menschen gegen die WAA-Pläne, ab 1984 finden regelmäßig „Sonntagsspaziergänge“ statt. Aber nicht alle in der Region sind gegen die WAA: Über der Frage, ob die potenziell lukrative Anlage gebaut werden soll, zerbrechen viele Familien und Freundschaften.

Am 11. Dezember 1985 beginnt die Rodung im Taxöldener Forst bei Wackersdorf. Die Gegner errichten auf dem Baugelände Hüttendörfer, die von der Polizei umgehend geräumt werden. An Heiligabend stehen die Hütten wieder, bis zu 1.500 Demonstranten feiern Weihnachten und Silvester bei klirrender Kälte. Am 7. Januar 1986 beendet die Polizei den „Weihnachtsfrieden“, macht das Hüttendorf dem Erdboden gleich und verhaftet hunderte Demonstranten. Der Widerstandsgeist wird dadurch umso größer. An Ostern gehen 100.000 Menschen zur Baustelle. Bei Auseinandersetzungen mit Militanten setzt die Polizei erstmals CS-Gas ein. Kurz darauf erhalten die Proteste eine neue Dimension – wegen der Katastrophe von Tschernobyl am 26. April 1986. Wochenende für Wochenende demonstrieren Menschen, der Protest überschreitet die Grenzen der Region.

Am Pfingstmontag eskaliert am Bauzaun die Gewalt. Polizisten schießen CS-Gas in die Menschenmenge, in der auch viele Kinder sind, und verletzen hunderte friedliche Demonstranten, viele davon schwer. Auf der Gegenseite werfen Autonome Steine und Molotow-Cocktails. Auch im Oktober 1987 kommt es am Bauzaun zu Gewalt, Spezialeinheiten der Berliner Polizei gehen besonders brutal gegen die Demonstranten vor. Und auch jenseits des Geländes setzt die Polizei der Bevölkerung zu, mit Kontrollen und Hausdurchsuchungen, mit kreisenden Aufklärungshubschraubern. Die Menschen, die ihre Heimat friedlich verteidigen wollen, müssen sich immer wieder als „Chaoten“ beschimpfen und kriminalisieren lassen.

Wie breit der Widerstand gegen die WAA ist, verdeutlicht eine Zahl: 881.000. So viele Einwendungen werden beim Erörterungstermin zur zweiten Teilerrichtungsgenehmigung 1988 eingereicht. Die CSU-geführte Staatsregierung hält dennoch an ihren Plänen fest, auch nach dem Tod von Franz Josef Strauß im Oktober desselben Jahres. Das Ende der WAA beschließt nicht die Politik, sondern die Industrie: Im April 1989 zieht sich der größte deutsche Energieproduzent VEBA (heute E.ON) zurück. „Zu langwierig, zu teuer“, lautet das Fazit des Vorstandsvorsitzenden Rudolf von Benningsen-Foerder. Die VEBA nimmt ein lukratives Angebot eines französischen Atomkonzerns an und am 31. Mai 1989 verkündet die DWK, die Bauarbeiten in Wackersdorf einzustellen. Im Juni unterzeichnen Minister aus BRD und Frankreich eine Vereinbarung für die gemeinsame Wiederaufbereitungsanlage in La Hague. Dort und in England werden heute die abgebrannten Brennstäbe aus deutschen Atomkraftwerken wiederaufbereitet. Auf dem Gelände im Taxöldener Forst befindet sich mittlerweile der „Innovationspark Wackersdorf“, ein 55 Hektar großes Industriegebiet, auf dem 3.000 Menschen für BMW und Automobil-Zulieferer arbeiten.

Bei den Protesten gegen die WAA in Wackersdorf starben zwei Demonstranten und ein Polizist, hunderte Menschen wurden verletzt, tausende verhaftet. Das Aus der WAA war ein historischer Erfolg der AntiAtomkraft-Bewegung und ein Triumph der Zivilgesellschaft. Wackersdorf steht für eine neue Bürgerbewegung, für eine Stärkung der Demokratie. Hinsichtlich der Bayerischen Staatsregierung hatten die Geschehnisse aber keine Auswirkungen: Die CSU gewann bei den Landtagswahlen 1986 und 1990 die absolute Mehrheit, wie zuvor, wie danach.

Foto:
© Verleih, Erik Mosoni

Info:
Wackersdorf · Starttermin 20. September 2018, 2 Std. 02 Min., von Oliver Haffner, mit Johannes Zeiler, Peter Jordan, Florian Brückner u.a.

Der Film wurde beim Filmfest München mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.
Er enthält erkennbar filmische Ausschnitte aus der zurückliegenden Zeit-Periode.

Abdruck aus dem Presseheft